Ländmarkte gibt es immer häufiger. Was ist so faszinierend am Landleben? Abendblatt-Autorin Antonia Thiele hat sich auf die Suche gemacht.

Basthorst. Schon als ich im Auto sitze, mache ich mir Sorgen: Wird mich mein VW Golf sofort als unerfahren in Sachen Landleben outen? Hätte ich die Reise hoch zu Ross, mit dem Fahrrad oder zumindest in einem dreckverkrusteten Geländewagen mit Anhängerkupplung antreten sollen? Schließlich habe ich mir etwas vorgenommen: Der Herbstmarkt auf Gut Basthorst und seine Besucher sollen mir heute dabei helfen, herauszufinden, was die Faszination des Landlebens ausmacht.

Doch auf dem Gut angekommen, wird mir klar, dass meine Sorgen unbegründet waren. Von Einweisern in orangefarbenen Westen werde ich in eine Lücke zwischen Hunderten von Autos gewinkt, Reisebusse karren Landlustige aus Hamburg, Lübeck und Berlin an. Von dreckverkrusteten Geländewagen keine Spur - stattdessen stehen auf dem Parkplatz auffällig viele frisch polierte - und augenscheinlich teure -Wagen. Landleben scheint es nicht für lau zu geben. Das sagt mir Augenblicke später auch der Eintrittspreis von sieben Euro.

Auf dem Gutsgelände riecht es nach Stall und Räucherofen, aufgerüschte Pferde ziehen die Besucher in Kutschen über den mit Blumen dekorierten Hof. Die Mischung der Gäste ist bunt. Dennoch: Mit Gummistiefeln und Latzhose (meine erste Wahl, von der ich mich schnell wieder verabschiedet hatte) wäre ich aufgefallen. Denn scheinbar gibt es doch eine Art Dresscode. Der sieht vor: Viel Burberry-Karos, viel Wachsjacke, viel Designer-Handtasche.

"Der britische Landhausstil kommt hier sehr gut an", sagt mir Sabine Gonnsen. Sie verkauft an einem Stand Kleidungsstücke des Londoner Labels Dadarella. Gaiters heißen die stulpenähnlichen Überschuhe, die mit Klettverschlüssen an der Wade geschlossen werden. "Sie halten warm und sehen schick aus. Außerdem sind viele Kombinationen möglich", preist Sabine Gonnsen die 45 Euro teuren Gaiters an. Dasselbe gelte auch für das zweite Stück, das sie anbietet: Pferdedecken, wie ich auf den ersten Blick annehme. Aber falsch: "Body-Wraps", werde ich korrigiert. Ich lasse mich ankleiden, und stelle fest: Sabine Gonnsen hat Recht, schick ist die Kleidung tatsächlich. Dennoch habe ich die Vermutung, dass zum Landleben noch mehr gehören muss. Ich frage die Besucher.

"Auf dem Land ist das Miteinander viel entspannter als in der Stadt", erläutert Marcel Gessat, der den Markt mit seiner Frau besucht. Beide haben bis vor einigen Jahren in Hamburg gewohnt. "Ohne Garten kann ich gar nicht mehr leben. Dort kann ich mich verwirklichen", sagt Petra Gessat, die auf dem Basthorster Markt "Ideen für den eigenen Garten" sammeln will.

Dabei kann Andrin helfen. Zwischen Pampasgras namens Evita und gelben Ufo-Kürbissen, dort, wo Telekom-Kunden schon lange kein Netz mehr haben, befindet sich das Reich des Zehnjährigen. Sein Vater, ein Gärtnermeister, hat Andrin einen eigenen Verkaufsstand zugeteilt. Fachmännisch erläutert der mir sein Angebot ("Die Kürbisse kann man essen, wenn man sie vorher schält"). "Es macht Spaß hier zu verkaufen. Ich kenne mich auch aus und kann den Kunden alles erklären", sagt Andrin. Mir scheint: Kinder sind Experten in Sachen Landleben.

Helene, 1, hat von ihrem Vater Martin Kröner gerade eine Holzente zum Spielen bekommen. "Wir ziehen bald von unserer Wohnung in Hamburg-Hamm aufs Land", sagt der 27-Jährige, der ein Haus mit Garten sucht. "Das ist für das Kind einfach schöner."

Langsam wird mir klar: Mit einem Kind erklärt sich die Liebe zum Landleben fast von selbst. Leider habe ich gerade keines zur Hand, um das eigenhändig auszuprobieren. Eine Alternative muss her. Zum Glück treffe ich in diesem Moment auf Anne Dubois, die mit Beagle Jackie unterwegs ist. "Das Leben auf dem Land ist einfach entspannt und entschleunigt", sagt die 33 Jahre alte Hamburgerin. Jedes Wochenende fahren sie und Jackie ins Grüne, besuchen Anne Dubois' Schwiegermutter und gehen spazieren.

Hunde sind auf dem Basthorster Herbstmarkt fast so zahlreich vertreten wie Tweedmützen à la englische Königsfamilie. Diese Landlust-Erfahrung will ich mir nicht entgehen lassen und leihe mir kurzerhand Rauhaardackel Byron aus, der - das nur nebenbei bemerkt - einer englischen Adelsfamilie entstammt. Sein Herrchen, Artur Freiherr von Czechowicz, der Silberantiquitäten verkauft, blickt mir skeptisch hinterher, als ich mit Byron entschwinde.

Mein adeliger Begleiter enttäuscht mich allerdings ein wenig: Statt stilvoll zu flanieren, zerrt er mich an der Leine an Bergkäse und Wildspezialitäten vorbei zu Hubertus Junge. Der Hammoorer Landwirt ist gerade schwer beschäftigt: Seine mitgebrachten Hochlandkühe Heatherbelle und Hazel sind "nervös". Das überrascht mich nicht, schließlich weist ein Schild direkt neben ihrem Käfig darauf hin, dass Besucher an Hubertus Junges Stand "100 Prozent Bio-Rindersalami" erstehen können. "Die Tiere mitzubringen polarisiert schon, aber die Leute interessieren sich immer mehr dafür, was sie eigentlich essen", sagt der Hof-Besitzer. "Kunden wollen auch uns Produzenten kennenlernen", hat er festgestellt "Ganz deutlich" merke er, dass sich die Leute mehr Gedanken darüber machten, woher ihr Fleisch kommt.

In diesem Moment ertönen Hörner. Die Treibjagd ist zurück. Auch hier gilt offenbar: Kleider machen Jäger - und Jägerinnen. Das hat auch Natascha Gummersbach bemerkt und 2009 das Label Huberta gegründet, das Accessoires für jagdbegeisterte Frauen herstellt. 2007 hat die heute 40-Jährige ihren Jagdschein gemacht. "Auf der Suche nach peppiger Kleidung bin ich verzweifelt", sagt sie. Eine "Eingebung" hat die Schneiderin dazu gebracht, Huberta zu gründen. Natascha Gummersbachs neustes Stück ist das "Ich bin Jägerin"-T-Shirt. Auf der Rückseite steht: "Ich schlag' dich aus der Decke" - im Fachjargon gleichbedeutend damit, dem erlegten Rotwild das Fell abzuziehen.

Langsam wird mir klar, was den Zauber des Landlebens ausmacht: Jeder kann mitmachen. Wer keine Lust hat auf Gartenarbeit und Gummistiefel, kauft sich Antiquitäten und einen Rassehund - immer vorausgesetzt, man verfügt über das nötige Kleingeld. Denn zwei Dinge lassen sich schließlich im Gartenstuhl genauso gut genießen wie auf der Louis Quatorze-Chaiselounge: Erntebier und Selbstgebrannter.