Organisation der Rausdorfer Menschenrechtler hilft Waiapí-Indianern, die im brasilianischen Dschungel leben. Zur Einweihung gab's Karl-May-Bücher

Rausdorf. "Unser gemeinsames Kind ist Target", sagt Annette Nehberg, Ehefrau von Menschenrechtler und Survival-Experte Rüdiger Nehberg, und meint damit den gemeinnützigen Verein, den sie 2000 mit ihrem Mann gegründet hat. Das Paar, das sich 1996 bei einem Vortrag des Abenteurers und Menschenrechtlers kennenlernte, hat mit Target jetzt erneut ein Projekt fertiggestellt: eine Urwaldklinik für die Waiapí-Indianer im brasilianischen Dschungel. Rüdiger Nehberg hatte das kleine Indianervolk 2000 getroffen, als er in einem Baumstammboot den Atlantik überquerte. Vor allem habe ihn begeistert, wie die Waiapí ihr Leben fern der weißen Zivilisation bis heute sehr bewusst verteidigten.

Die Waiapí-Indianer leben in einem Schutzgebiet. Doch da es im Dorf bisher nur Erste-Hilfe-Stationen gab, mussten sie bei schwereren Krankheiten und Verletzungen nach Macapà gebracht werden, in die Hauptstadt des Bundesstaats Amapà, in dem der Dschungel liegt. In den Erste-Hilfe-Stationen waren hauptsächlich Krankenpfleger und nur selten Ärzte anwesend. Target unterstützt das Indianervolk seit 2000 mit Gesundheitsprojekten. 2002 hat die Organisation eine kleinere Krankenstation im Dorf errichtet.

Aufgrund der andauernden Probleme baten die Waiapí-Indianer vor zwei Jahren um ein kleines Krankenhaus in ihrem Gebiet. Nach zehn Monaten Bauzeit konnte die Klinik nun eröffnet werden. Sie umfasst drei Gebäude: ein Haupthaus mit Patientenräumen und Behandlungszimmer, ein Gebäude mit Labor und Gynäkologie und ein Mitarbeiterhaus mit großer Urwaldterrasse. Den Bau der Klinik konnte Target mit Vereinsgeld bezahlen, die Inneneinrichtung wurde von der brasilianischen Indianerschutzbehörde finanziert. "Es werden noch Feinarbeiten verrichtet, das Krankenhaus kann aber ab sofort genutzt werden", sagt Annette Nehberg.

Mit dem Projekt, das auch von deutschen Gynäkologen unterstützt wird, hat sich vor allem für sie ein Traum erfüllt. Als großer Winnetou-Fan beschloss sie schon im Alter von 13 Jahren, dass sie später einmal den Indianern helfen möchte.

Auch bei Rüdiger Nehberg, der sich bereits in den 80er-Jahren mit spektakulären Aktionen für den Schutz der bedrohten Yanomami-Indianer einsetzte, wurde das Interesse an Menschenrechtsverletzungen durch Karl May geweckt. Target legt den Schwerpunkt seiner Arbeit mittlerweile auf den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in islamischen Ländern. "Die Indianer sind jetzt mehr Annettes Ding, ich stecke 90 Prozent meines Herzblutes in das Projekt für die Mädchen Afrikas", sagt Nehberg. Seine Frau ergänzt: "Natürlich arbeiten wir an allen Projekten zusammen, doch bei so viel Programm muss man sich aufteilen."

Vergrößern werden Nehbergs den Verein nicht, sie wollen klar und begrenzt arbeiten. "Wir wollen anfassbar bleiben", sagt Annette Nehberg. Zwei Hauptthemen seien genug. "Manchmal ist es jetzt schon etwas zu viel, aber für uns ist es keine Arbeit, sondern Lebensgestaltung." Sie fügt lachend hinzu: "Wir haben es uns selbst eingebrockt."

Rüdiger Nehberg, der eigentlich gelernter Konditor ist, ist froh, dass seine Frau ihn und seine Lebensweise unterstützt. Denn ein anderes Leben könnte er sich nicht mehr vorstellen. "Wenn ich heute noch am Backtrog stehen müsste, wäre das mein Tod", sagt er. "Ich wollte immer kurz und knackig leben statt lange und langweilig. Jetzt lebe ich schon lange und knackig. Es kommt mir vor, als hätte ich fünf Leben gehabt." Ans Aufhören denkt der 77-Jährige noch lange nicht: "Zum Briefmarkensammeln kriegt mich niemand. Irgendwo kippe ich mal um, und dann ist es vorbei", sagt er scherzhaft.

In seiner Frau Annette habe er eine Lebenspartnerin gefunden, die ihm auch bei seinen waghalsigsten Selbstversuchen nie im Weg gestanden habe. Im Gegenteil. "Ich habe ihm sogar beim Bau des Gefährts assistiert, mit dem er den Atlantik überquerte", sagt Annette Nehberg. Und auch als ihr Mann 2003 ohne Ausrüstung den brasilianischen Urwald durchqueren wollte, habe sie hinter ihm gestanden: "Ich dachte immer, wenn es einer schafft, dann Rüdiger." Sie betont: "Bereut habe ich es nie." Bei allen Strapazen überwiege die Freude, wenn ein Projekt gelinge. Und die Nehbergs sind sich einig: "Wir sind unendlich dankbar für das, was wir machen dürfen."