Ulrike Noack über Grenzschikanen und eine Freundschaft ohne Grenzen

Im August 1973 fuhren mein Mann, mein acht Monate alter Sohn und ich in die DDR - Richtung Halberstadt, um Onkel Ernst zu besuchen. Visum und 30 Ostmark hatten wir dabei. Am Grenzübergang verging uns eigentlich schon die Lust. Wir mussten die Motorhaube hochstellen, damit wir ja nicht einfach losfahren konnten. Mein kleiner Sohn schlief auf der Rückbank. Ich musste ihn hochnehmen. Es hätte ja sein können, dass wir vielleicht etwas unter der Rückbank versteckt hatten. Bewacht wurden wir dabei von einer rothaarigen Grenzbeamtin, die mit einem Gewehr ausgestattet war. Als alles kontrolliert war, nach ungefähr einer Stunde, durften wir im Zickzackkurs langsam weiterfahren, bis wir in der eigentlichen DDR landeten.

Nachdem wir uns dann vorsichtshalber penibel an die Verkehrsregeln gehalten hatten, erreichten wir endlich unser Ziel. Bei Onkel Ernst hatte sich die halbe Nachbarschaft eingefunden, denn Besuch aus dem Westen war schon etwas Besonderes. Auch eine Abiturientin war dabei. Ich fragte sie, ob sie nicht mal in den Westen reisen möchte. Das lehnte sie entrüstet ab. Sie wüsste nicht, was sie da solle.

Wir haben dann mit Onkel Ernst noch einen Ausflug in den Harz gemacht. Dort wollten wir auch die 30 Ostmark ausgeben, die wir eintauschen mussten. Aber da hatten wir Pech. Wir mussten alles in D-Mark bezahlen. Die 30 Ostmark nahmen wir versehentlich wieder mit nach Hause. Ich habe sie dann Onkel Ernst geschickt. Der Brief ist nie angekommen. Hätten wir das Geld hier getauscht, hätten wir fünf D-Mark bekommen. Die DDR wollten wir uns nie wieder antun.

Und trotzdem bin ich von da an jedes Jahr wieder hingefahren, mit dem Schiff nach Rostock/Warnemünde. Das Reisen in die DDR auf diese Weise war angenehmer, denn alle erforderlichen Einreisebeschränkungen wurden direkt mit dem Reisebüro abgewickelt. Trotzdem war es jedes Mal ein Abenteuer. Wenn man in die Halle des Hafens kam, ging man durch einen schmalen Gang, durch den jeweils nur eine Person passte. Über große Spiegel an der Decke wurde man sehr genau

angeschaut. Auch wenn man wieder aufs Schiff zurückwollte, musste man eine Kontrolle über sich ergehen lassen. Als ich einmal von meiner Familie einen Kalender geschenkt bekommen hatte, sollte ich bei der Ausfuhr zehn Mark dafür bezahlen. Ich habe mich geweigert und denen gesagt, sie könnten den Kalender behalten. Nach langem Hin und Her durfte ich ihn doch mitnehmen. Bei einer anderen Reisenden wurde eine geschenkte Mettwurst in mehrere Teile geschnitten. Alles reine Schikane.

Trotzdem bin ich immer wieder gefahren. Und mit der Abiturientin von damals, die den Kontakt zum Westen so entrüstet abgelehnt hatte und mittlerweile drei Kinder und sechs Enkelkinder hat, bin ich bis heute befreundet. Den Kalender habe ich auch noch, er ist für mich etwas Besonderes.