Brigitte Schönfeld-Springer über eine große Überraschung vom Urgroßvater

Schon seit Wochen waren Planwagen durch das Dorf gefahren, vollgepackt mit Hausrat und Bettzeug. Eimer und Futtersäcke schaukelten unter den Brettern. Unter den runden Planen hockten mürrische Menschen. Die sahen aus, als hätten sie alles angezogen, was ihnen gehörte. Dabei war es Frühling, die Sonne schien. Wir Kinder hatten leichte Kleider an und sprangen an den langen Wagenreihen entlang. Und die Gänse vom Nachbarhof zwackten uns in die Fersen. Warum freuen die sich nicht, wenn sie verreisen? Urgroßvater sagte: "Das sind die Bauern aus Ostpreußen."

Bei uns war es wie immer. Morgens gab es Sirup aufs Brot und abends Schmalzstullen. Auf dem grünen Kachelofen mit den Bilderkacheln summte immer ein Kaffeepott. Aber dann war alles plötzlich anders. Mitten in der Nacht holte Mutter uns aus dem Bett. Sie stellte mich auf die Fensterbank und war ganz aufgeregt: "Der Himmel brennt. Das ist Stettin, wir müssen weg." Alles war rot wie Feuerwerk. Und ich hab vor Freude in die Hände geklatscht, weil ich so was Schönes noch nie gesehen hatte. Da hab ich eine geknallt gekriegt. Dann befahl Urgroßvater: "Nur einen Rucksack für jeden und so viel wir tragen können. Die Kinder in die Kinderkarre. Und die Wäsche und das schöne Geschirr und Silber wird im Keller vergraben unter den Kartoffeln, sonst haben wir gar nichts, wenn wir wiederkommen." Dann hat er sein Taschenmesser herausgeholt, seine offenen Beine mit Salbe eingeschmiert und gesagt, er bleibt.

Oma hat gezetert. Meine Schwester wollte unbedingt ihre neuen roten Schuhe mitnehmen. Aber die waren ihr viel zu groß. Sie durfte das nicht. Dann sind wir los, das war schön. Und ich hatte es bequem in der Kinderkarre. Zu essen hatten wir auch immer. Oma hat ganz viele Eier in der Milchkanne mitgenommen. Die hat Mama in die Brühe getan, die wir manchmal kriegten. Und manchmal haben sie über Urgroßvater geredet, ob er wohl noch kommt.

Mit einem Mal, als wir an einer Weggabelung waren, kam ein langer Zug von einer Seite, und unser Urgroßvater war dabei. Er lief neben einem Karren, darin saß die Urgroßmutter. Und dann so im Vorbeiziehen hat er aus seiner Jackentasche die roten Schuhe rausgezeigt. Oma hat noch geschrien: "Nach Hamburg musst du!"

Einmal ist Mutter mit uns quer durch ein Moor gelaufen. An der Straße haben uns dann welche mitgenommen. "Das sind unsere Soldaten", sagte Mama. Die haben uns auf den Lastwagen gehoben. Da war eine Plane über harten Sachen. Später haben uns Soldaten von dem Wagen heruntergehoben, und einer hat ganz laut geschrien, warum sie Frauen und Kinder auf die scharfe Munition gesetzt haben. Als er mich runtergenommen hatte, sagte er: "Du hast doch so nicht schlafen können?" "Doch", sagte ich, "ich hatte einen weichen Platz." "Dann hat sie auf dem toten Kameraden geschlafen. Dem hat ein Panzer den Kopf abgefahren."

Wir sind in Hamburg angekommen. Da lebte meine Großmutter. Die hat sich sehr gefreut, dass wir da waren. Und dann haben wir auf Urgroßvater gewartet, drei Wochen oder so. Und an einem Tag sind Kinder den Gartenweg heraufgerannt und haben geschrien: "Euer Opa kommt!"

Als Erstes hat er die roten Schuhe aus seiner Jackentasche gezogen und meiner Schwester gegeben. Und die ganze Nacht haben sie erzählt, wie alles war und dass wir jetzt wieder zusammen sind. Am nächsten Morgen ist Urgroßvater nicht aufgestanden. Mama hat geweint und gesagt, dass er eingeschlafen ist. Er sah so lieb aus mit seinem Schnauzbart, wie immer.

Die roten Schuhe hat meine Schwester lange getragen. Und als sie ihr zu klein waren, habe ich sie gekriegt. Ich habe sie auch lange getragen. Als sie mir nicht mehr passten, konnte ich mich nicht trennen. So hat meine Oma sie an den Seiten und vorne aufgeschnitten. Da passte ich noch eine Weile rein. Noch heute habe ich einen verbogenen kleinen Zeh als Erinnerung an die roten Schuhe.