Eine Beobachtung von Martina Tabel

Wie immer auf die letzte Sekunde. Noch schnell ein Schluck Kaffee, rein ins Auto, rauf aufs Gas - und los. Toll. Die Straßen sind frei. Keiner, der mit Tempo 28 durch die Stadt tuckert. Keiner, der an der grünen Ampel seinen Minutenschlaf hält. Das ist wirklich super. Endlich erweisen sich die Mitmenschen mal als solche und gewähren der eiligen Reporterin freie Bahn.

Mitmenschen? Wo sind die eigentlich? Es ist ja keiner unterwegs. Kein Wunder, dass es so flott geht. Die scheinen alle im morgendlichen Dezemberdunst wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Es herrscht so eine eigenartige Ruhe. Alles wie unter einer dicken Watteschicht. Alles in Zeitlupe. Oh weh: Vielleicht ist ja noch Feiertag und die Arbeit fängt erst morgen an!

Läden und Straßen steh'n so verlassen, nur spärlich erleuchtet jedes Haus. Ich fahre sinnierend durch die Gassen. Und das Rondeel? Sieht überhaupt nicht festlich aus. Ne, das ist nicht mehr Weihnachten. Das ist die post-natale Tristesse. Jetzt ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns dicke Erkältungen und Dauermatsch.

Merkwürdig. Der Fuß geht plötzlich vom Gas. Und das Autoradio ist auch aus. Eigentlich ganz schön, mal so durch die Stadt zu tuckern und an der grünen Ampel ein bisschen zu träumen. Die Zeit rast, aber zwischen den Jahren scheint sie stillzustehen. Das ist fast unheimlich. Aber vielleicht ist das ja das eigentliche Weihnachtswunder. Da ruft's plötzlich mit lauter Stimm: "Mensch, fahr zu! Die hektische Welt hat mich wieder. Der Mann hinter mir hupt wie blöd. Macht nix. So ein bisschen Besinnlichkeit ohne Jingle Bells, immer mal so zwischendurch, das war ganz schön im nächsten Jahr - und bitte nicht nur in der Woche nach Weihnachten.