Ein Jahr nach dem Zugstillstand bei Tremsbüttel: Polizei und Bahn informieren Retter nicht über vermeintlichen Bombenfund

Reinfeld. Es war nur ein Schulrucksack, vergessen in einem Regionalexpress, der am Freitag vor einer Woche eine stundenlange Sperrung des Reinfelder Bahnhofs auslöste, der für massive Behinderungen im Bahnverkehr sorgte. Er enthielt, anders als zunächst für möglich gehalten, keine Bombe. Ein Glücksfall im doppelten Sinne: Wäre bei der Entschärfung eines Sprengsatzes etwas schief gegangen, dann hätten Verletzte womöglich weitaus länger als nötig auf Sanitäter, Ärzte und Feuerwehrleute warten müssen. Diesen Vorwurf erhebt Markus Hilchenbach, Chef der Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe. Wieder einmal hätten seine Mitarbeiter viel zu spät und auch nur durch einen bloßen Zufall von dem Einsatz auf dem Gelände der Deutschen Bahn erfahren.

Und das sei sehr ärgerlich, so Hilchenbach. Er hat eine Stellungnahme zu Papier gebracht, die Landrat Klaus Plöger umgehend an den Innenminister Klaus Schlie (CDU) geschickt hat. Darin heißt es: "Aufgrund des hohen Gefährdungspotenzials für Polizei und Anwohner muss im Zusammenspiel mit den Entscheidungsträgern der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr eine frühzeitige Information erfolgen." Es sei wichtig, vorsorglich Rettungswagen und Notarzt vor Ort zu haben, "die bei Ausbreitung der Gefahr sofort zur Verfügung stehen und nicht erst alarmiert werden müssen".

Hilchenbach unterstreicht seine Auffassung mit dem Hinweis, dass im konkreten Fall ein Hochhaus und eine Kindertagesstätte in unmittelbarer Nähe des Einsatzgeschehens lagen. "Wir müssen trotzdem nicht gleich mit Mann und Maus ausrücken", sagt er, "aber wir müssen Informationen bekommen, wir müssen unsere Augen vor Ort haben." Davon ist die Leitstelle am 9. Dezember Lichtjahre entfernt gewesen, wie ein Protokoll belegt:

8.30 Uhr: Ein Zugbegleiter entdeckt den herrenlosen Rucksack im Regionalexpress von Lübeck nach Hamburg. Die Bahn bleibt im Reinfelder Bahnhof stehen, die Bundespolizei wird alarmiert. Der Bahnhof wird abgesperrt. Aber das weiß in der Oldesloer Leitstelle niemand.

9.25 Uhr: Die Besatzung eines Rettungswagens fährt zufällig am Bahnhof vorbei. Die Sanitäter staunen. Einer von ihnen funkt in die Leitstelle: "Am Reinfelder Bahnhof ist alles abgesperrt. Wisst ihr, was da los ist?" Die Disponenten wissen es nicht.

10.24 Uhr: Der Reinfelder Wehrführer Torben Struck kommt zufällig am Bahnhof vorbei. Er staunt. Dann ruft er in der Leitstelle an: "Wisst ihr, was da los ist?"

10.28 Uhr: Nach kurzer Beratung rufen die Leitstellen-Disponenten bei der Einsatzzentrale der Polizei in Lübeck an. Die Beamten dort bestätigen auf Anfrage, dass es offenbar einen Einsatz der Bundespolizei gebe und ihrer Kenntnis nach seit 10.12 Uhr Spezialkräfte eingetroffen seien, um eine Bombe zu entschärfen.

10.31 Uhr: Das Oldesloer Leitstellen-Personal bittet den Wehrführer Struck, noch mal zum Bahnhof zu gehen und die Lage zu erkunden.

10.33 Uhr: Ein Rettungswagen wird zum Einsatzort geschickt.

10.38 Uhr: Anruf aus Bad Oldesloe in der Notfallleitstelle der Deutschen Bahn in Hannover: "Warum haben wir keine Kenntnisse?" Die Bahn-Mitarbeiter antworten, dass es einen Polizeieinsatz gebe.

10.43 Uhr: Der organisatorische Leiter des Rettungsdienstes macht sich auf den Weg nach Reinfeld. Als er eintrifft, ist der Rucksack bereits geröntgt und vorsichtig geöffnet worden. 11.15 Uhr: Entwarnung.

Der Informationsfluss erinnert stark an einen Vorfall, der sich auf den Tag genau heute vor einem Jahr bei Tremsbüttel ereignet hat. Nach starkem Schneefall war ein Zug auf offener Strecke liegen geblieben, 600 Menschen waren in den überfüllten Waggons gefangen, einige von ihnen kollabierten. Die Rettungsleitstelle bekam auch damals nur durch Zufall Wind von der Sache - nach mehreren Stunden. Es gab in der Folge zahlreiche Krisengespräche. Bei einer Großübung im Mai dieses Jahres probte der Stormarner Katastrophenschutz daraufhin mit der Bahn den Ernstfall. So etwas, da waren sich alle einig, dürfe sich nicht wiederholen.

Nun ist diesmal niemand zu Schaden gekommen, insofern sind die Fälle nur bedingt vergleichbar. Dennoch: "Dieser Einsatz hat gezeigt, dass alle guten Vorsätze verraucht sind", sagt Markus Hilchenbach. Unterdessen hat Innenminister Schlie - er hatte um eine Schilderung des Sachverhalts gebeten - über seinen Sprecher Thomas Giebeler erklären lassen, das Innenministerium sei nicht zuständig. Das Schreiben sei an die Bundespolizeiinspektion Kiel weitergeleitet worden.

Dort räumt Sprecher Gerhard Stelke einen Fehler ein: "Die Kollegen haben den Vorfall der Polizeileitstelle in Lübeck gemeldet, weil sie der irrigen Annahme waren, dass von dort aus auch Rettungsdienst und Feuerwehr koordiniert werden." Zum Glück sei nichts passiert, die Bundespolizei ziehe Lehren aus der Geschichte. Nun sei bekannt, dass bei Einsätzen in Stormarn in Bad Oldesloe angerufen werden müsse, nicht in Lübeck.

Damit kommt die Akte Reinfeld wie ein Bumerang zurück zu Innenminister Schlie. Weshalb seine Beamten in Lübeck die für sie vollkommen sinnlose Meldung nicht nach Bad Oldesloe weitergaben, blieb bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet.