Sonnabend-Serie: Das Abendblatt stellt Stormarner und ihre Berufe vor. Wir begleiten die Menschen einen Tag oder eine Schicht, beobachten sie und lassen sie erzählen. Heute: Dr. Ulrich Fieber, Richter am Amtsgericht Ahrensburg

Leider kann ich heute nicht zum Gerichtsprozess kommen." Das ist ein Satz, den Richter Dr. Ulrich Fieber gut kennt. Auch an diesem Freitag klingelt morgens das Telefon. "Ich habe den Termin völlig vergessen. Jetzt bin ich in Hannover, habe dort einen Job auf einer Baustelle", sagt der Anrufer. Doch diese Entschuldigung reicht dem Richter am Amtsgericht Ahrensburg nicht aus. Es ist Pflicht, vor Gericht zu erscheinen. "Es ist immer wieder kurios, dass den Menschen am Verhandlungstag einfällt, dass sie einen Gerichtstermin haben", frotzelt der 40-Jährige, der seit zehn Jahren als Richter arbeitet. Der Anrufer, ein 28 Jahre alter Schweriner, soll sich heute um 14 Uhr wegen Fahrerflucht vor dem Gericht verantworten. Fieber guckt auf die Uhr. "Jetzt ist es 8.30 Uhr. Der Angeklagte könnte es also noch rechtzeitig schaffen", sagt er und tippt ein Fax an den Anwalt des Schweriners. "Ich hoffe, dieser kann ihn zum Umdenken bewegen", sagt Fieber und fügt hinzu: "Solche Anrufer sind auch der Grund, warum ich schon um 7.30 Uhr anfange zu arbeiten." Doch er macht seine Arbeit gern. "Es gibt Menschen, die haben ein Problem damit, Entscheidungen zu treffen. Das hatte ich nie und deswegen bin ich Richter geworden", sagt Fieber, der mit seiner Frau und seiner Tochter in Ahrensburg lebt. Nachdem er das Fax abgeschickt hat, beginnt die erste Verhandlung.

9 Uhr: Verhandelt wird Trunkenheit im Straßenverkehr

Tageslicht dringt durch die mit bunten Glasplatten besetzten Fenster im Saal des Amtsgerichts Ahrensburg. Es trifft auf die dunkle Vertäfelung und die massiven Holztische und -stühle. Es riecht leicht modrig. Ein Geruch, der um Punkt 9 Uhr schlagartig übertüncht wird. Der erste Angeklagte an diesem Freitagmorgen betritt den Saal, Alkoholgeruch macht sich in dem Raum breit. Der 49-Jährige ist wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr angeklagt. "Das stimmt, ich bin zu Recht angeklagt", sagt der kleine Mann mit blasser, gräulich wirkender Gesichtshaut, nachdem der Staatsanwalt die Anklage verlesen hat und fügt hinzu: "Wir können kurzen Prozess machen."

Doch darauf lässt sich Richter Ulrich Fieber nicht ein: "Möchten sie den Tatvorwurf nicht näher erläutern?" Der Jurist möchte wissen, wie es dazu kommen konnte, dass der Mann aus Lütjensee am 11. Mai, einem Mittwoch, um 15.50 Uhr mit 2,9 Promille mit seinem gedrosselten Mofa in Trittau unterwegs war. "Ich habe zwei Tage vorher ordentlich durchgezogen. Und an diesem Tag wollte ich eine Motorsäge holen", antwortet der Angeklagte mit den kurzen dunkelgrauen Haaren. Er sagt es mit einem Ton, als ob dies das normalste auf der Welt wäre. Sehr zum Erstaunen des Richters, der später sagen wird: "Wenn er noch am späten Nachmittag einen Wert von fast drei Promille hatte, will ich gar nicht wissen, wie hoch dieser am Abend zuvor war." Aber nicht nur Fieber ist über den Alkoholpegel erstaunt. Auch der Polizist, der im Zeugenstand Platz nimmt sagt: "Er wirkte erschreckend fit, konnte klare Aussagen machen und fuhr noch nicht einmal in Schlangenlinien", sagt der Polizeioberkommissar und ergänzt: "Ich habe schon Menschen mit deutlich weniger Promille gesehen und die konnten nicht einmal mehr sitzen."

Die Frage des Richters an den Angeklagten, "haben Sie ein Alkoholproblem", klingt danach eher rhetorisch. Die Antwort kommt prompt: "Ich bin Quartalstrinker, wenn ich Gas gebe, dann ordentlich." Doch Gas geben wird der Hartz-IV-Empfänger das nächste Jahr nicht mehr. Neben einer Geldstrafe von 490 Euro und einem Fahrverbot von drei Monaten, was auch für nicht führerscheinpflichtige Fahrzeuge wie ein gedrosseltes Mofa gilt, bekommt er eine einjährige Sperre. "Dann fahre ich jetzt Fahrrad", sagt der Maler und Lackierer, der seit fünf Jahren arbeitslos ist. Richter Fieber runzelt die Stirn und sagt mit nüchterner Stimme: "Sie dürfen mit 2,9 Promille noch nicht einmal Fahrrad fahren." Denn für Radfahrer gilt eine Grenze von 1,6 Promille.

Nach einer Dreiviertelstunde ist die Verhandlung abgeschlossen. "Ich sage jetzt bewusst nicht auf Wiedersehen", sagt Fieber kurz bevor der 49-Jährige den Saal verlässt. Sogleich reißt der Staatsanwalt zwei Fenster auf. Durchlüften. Eine Viertelstunde bleibt den Juristen bis zur nächsten Verhandlung. Genug Zeit für einen kurzen Smalltalk. "Wussten Sie eigentlich, dass ein Drittel der Häftlinge in Schleswig-Holstein im Gefängnis sitzen, weil sie die Geldstrafe nicht zahlen konnten?", wirft Staatsanwalt Dr. Jan Suhr in den Raum.

10 Uhr: Jetzt steht Fahrerflucht auf der Tagesordnung

Pünktlich um 10 Uhr nimmt eine 50 Jahre alte Schulbusfahrerin mit ihrem Anwalt auf der Anklagebank Platz. Der Staatsanwalt wirft der Frau vor, am 24. März eine Mutter angefahren zu haben. Anschließend habe sie sich geweigert, ihre Personalien anzugeben. "Mein Arbeitgeber hat mir mal gesagt, nie meine Adresse oder Privatnummer anzugeben, sondern immer nur die Kontaktdaten des Busunternehmens", sagt die Frau mit der Brille und dem toupierten blonden Pony. Ein Irrtum, wie sie ihr Anwalt später aufgeklärt hat. Um sich ein genaueres Bild vom Unfallhergang zu machen, lässt Richter Ulrich Fieber die Busfahrerin mithilfe von Fotos vom Unfallort erklären, was genau passiert war. An einer Schule in Bargfeld-Stegen fuhr sie in eine Buskehre. "Ich fuhr langsam durch den Kreisel", sagt die Frau. Fieber hat seine Hände auf dem Rücken verschränkt und beobachtet, wie die Frau ihren Zeigefinger im Zick-Zack-Kurs über die Fotos fährt. Sie habe nicht gemerkt, dass sie die Mutter, die auf dem Gehweg stand, mit dem Kotflügel getroffen hat. Erst als sie die Türen öffnete, sprach die Frau sie an.

"Sie hat sich auch entschuldigt, doch mir geht es darum, dass man dort nicht so wild rumfahren darf. Das geht nicht, es hätte auch ein Kind verletzt werden können", sagt die 40 Jahre alte Zeugin. "Sind Sie denn verletzt worden?", möchte Ulrich Fieber wissen. "Ich spürte einen dumpfen Schlag am Rücken, verletzt wurde ich aber nicht", sagt die Zeugin. Es ist der entscheidende Satz. Richter Fieber hat keine weiteren Fragen. Er entlässt die Zeugin und wirft dem Staatsanwalt einen klärenden Blick zu. "Sind wir uns einig", fragt er Suhr. Dieser nickt und sagt: "Kein Personenschaden." Somit ist auch nicht der Tatbestand der Fahrerflucht erfüllt. Die nächste Zeugin, die den Zusammenstoß beobachtet hat, braucht nicht mehr gehört zu werden. Es folgt nach 35 Minuten der Freispruch, bei dem sich die Schulbusfahrerin nur schwer das triumphierende Lächeln verkneifen kann.

11 Uhr: Es geht um Fahren ohne Fahrerlaubnis

Als nächstes betritt ein für das Gericht Altbekannter den Raum. Der 39-Jährige aus Rümpel hat 23 Eintragungen in seinem Strafregister und verbüßt derzeit eine Bewährungsstrafe wegen Urkundenfälschung. Doch heute ist der Mann mal wieder wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angeklagt. Er soll im April mit seinem Renault Clio auf eine Tankstelle in Bad Oldesloe gefahren sein. Einer Polizistin, die nicht im Dienst war, war das Auto dort aufgefallen. Denn statt, der üblichen TÜV-Plakette klebte ein runder Schmutzfleck auf dem Nummernschild. Ihr Ehemann, ebenfalls Polizist, kontrollierte, ob vorne am Kennzeichen eine AU-Plakette angebracht war. Doch auch dort nur ein Klecks Schmutz. Beide notierten sich das Kennzeichen und verfolgten den Fahrer. "Ich habe bei der Wache angerufen, doch es stand gerade kein Streifenwagen bereit", sagt die Zeugin, die damals die Verfolgung abbrach. Doch wieder im Dienst kontrollierte sie die Daten. Das Auto war schon seit langem nicht mehr angemeldet. Zudem hat der letzte Besitzer, den sie anhand von Fotos als den Fahrer des Clios identifizierte hatte, keinen Führerschein. Sie erstattete Anzeige. Doch war es wirklich der 39-Jährige, der im April gefahren war? Auch im Gerichtssaal erkennt die Polizistin den Fahrer wieder. Zwar habe er damals ein eingefallenes, hageres Gesicht gehabt, doch sie sei sich sicher. Der Angeklagte widerspricht, er sei nicht gefahren: "Mein Gesicht war damals geschwollen, ich bin kurz zuvor zusammengeschlagen worden."

Jetzt steht quasi Aussage gegen Aussage. Doch Richter Fieber weiß sich da zu helfen. Er ruft den Hausarzt des Angeklagten aus dem Gerichtssaal an. Nachdem der Rümpler den Mediziner von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat, bestätigt der Arzt die Aussage des Angeklagten. Der Richter hat seine Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, er tippt immer wieder seine Zeigefinger zusammen und guckt den Angeklagten mit den geschwollenen Augen an. "Wegen ihrer Vorstrafen ist nur ein Freispruch oder Gefängnis möglich." Er beschließt, die Verhandlung zu unterbrechen und den Ehemann der Polizistin an einem weiteren Prozesstag zu vernehmen.

Bis zur nächsten Verhandlung ist jetzt wieder ein wenig Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Staatsanwalt. Dabei erinnert sich Fieber an einen jungen Mann, der einem Mädchen aus seiner Klasse Liebesbriefe schrieb. "Daran ist zunächst nichts auszusetzen, doch es waren bis zu vier Stück am Tag. Der Inhalt war gar nicht anrüchig, eher schwulstig und narzisstisch. Ich glaube auch nicht, dass der Junge, der Deutsch als Leistungskurs hatte, in das Mädchen verliebt war. Eher in seine Texte", sagt Fieber und muss dabei lachen. Erst nachdem die Jugendliche ihn angezeigt hatte, wurde der Inhalt der Briefe obszön. "Ich habe den Jungen dann zu mir zitiert", sagt Fieber, der bis vor zwei Jahren auch als Jugendrichter tätig war. "Als er den Saal betrat und sah, dass ich all seine Briefe vor mir ausgebreitet hatte, wurde er knallrot im Gesicht. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass ich all seine Briefe gelesen hatte. Er versprach, so etwas nie wieder zu tun und verließ voller Scham den Raum." Der Richter hat ihn seitdem auch nicht mehr wiedergesehen.

12 Uhr: In der vierten Verhandlung geht es um Ladendiebstahl

Eine dem Gericht bekannte Frau muss sich als nächstes am heutigen Tag vor dem Richter verantworten. Angeklagt ist eine notorische Ladendiebin, deren Markenzeichen es offenbar ist, Dinge für rund 20 Euro zu bezahlen, Sachen im Wert von etwa drei Euro aber in der Handtasche verschwinden zu lassen. Doch die Frau erscheint nicht zur Verhandlung. Die Juristen beschließen, sie im sogenannten schriftlichen Verfahren zu einer Geldstrafe von 600 Euro zu verurteilen. Danach ist erst mal Pause. Fieber zieht sich in sein Büro zurück. Er muss noch Verhandlungstermine telefonisch abstimmen.

Um 14 Uhr geht es mit der fünften Verhandlung weiter. Der Angeklagte hat es rechtzeitig aus Hannover nach Ahrensburg geschafft und nimmt in seinen Bauarbeiterklamotten auf der Anklagebank Platz. Ein langer Weg, den sich der Schweriner hätte sparen können, denn die Zeugin, die beobachtet hat, wie er mit seinem 7,5-Tonner eine Werbeschild in Bad Oldesloe angefahren hat, ist nicht gekommen. Ein neuer Termin muss gefunden werden.