Landgericht Lübeck verurteilt 28-Jährigen, sieht aber von Sicherheitsverwahrung ab. Richterin sieht keine Zweifel an Tatvorwurf.

Lübeck/Reinbek. Mit gesenktem Kopf steht er vor der Richterin. Seine Hände sind gefaltet, so als ob er beten würde. Regungslos nimmt Stephan H. in dieser Position sein Urteil entgegen. Acht Jahre und neun Monate muss er ins Gefängnis. Dieses Urteil hat gestern die VII. Große Strafkammer am Landgericht Lübeck gefällt.

Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass der 28 Jahre alte Fleischer Stephan H. aus Wentorf der lange gesuchte Vergewaltiger von Reinbek ist.

Die Richter sind davon überzeugt, dass H. im März vergangenen Jahres eine Frau entführt und vergewaltigt hat. Außerdem hatte der Mann mit den blonden Haaren und den geröteten Wangen im März und April dieses Jahres versucht, Frauen zu entführen mit dem Ziel, sich später an ihnen zu vergehen. H. suchte sich seine Opfer immer an einem Sonntagmorgen nach der Ü-30-Party im Sachsenwald-Forum aus. Er lauerte ihnen in der Nähe der Party auf und nahm sie von hinten in den Würgegriff. "Wir haben keine Zweifel an dem Tatvorwurf", sagt die Vorsitzende Richterin Helga von Lukowicz. DNA- und Faserspuren, die die Ermittler sichern konnten, haben Stephan H. eindeutig als Täter überführt.

Eine auf dem Computer von H. sichergestellte Pornosammlung, die aus einigen Tausend Bildern und Hunderten von Videos besteht, ist für die Richterin ein weiterer Beweis. "Darauf ist eine Vorliebe für Sexualpraktiken zu sehen, wie sie bei der Tat ausgeübt wurden", sagt von Lukowicz.

Mit der verhängten Freiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten ging die Richterin über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Maß hinaus. Die Vertreterin der Anklagebehörde plädierte für eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten. Außerdem sprach sich die Staatsanwältin für eine Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Haft aus. Diesem Antrag folgte das Gericht jedoch nicht.

Bei der Strafzumessung berief sich die Anklägerin in ihrem Plädoyer auf das Gutachten des Forensikers. Der hatte das Rückfallrisiko für Stephan H. als sehr hoch eingeschätzt, auch nach einer längeren Haftstrafe. Zudem diagnostizierte der Mediziner aus Lübeck, dass H. nicht therapierbar sei. Der 28-Jährige könne sich eigenen Aussagen zufolge nicht an die Taten erinnern und sich somit auch nicht damit auseinandersetzen, so der Gutachter.

"Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich der Angeklagte nicht an seine Taten erinnern kann", sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Stephan H. habe schließlich einen Anwalt, der ihn sicherlich über die für ihn womöglich nachteiligen Konsequenzen der Erinnerungslücken aufgeklärt habe. Ob H. sich tatsächlich nicht an die Vergewaltigung und die versuchten Entführungen erinnern kann, konnte die Kammer nicht eindeutig feststellen. "Die Erinnerungslücken lassen sich genauso wenig belegen wie das Vortäuschen dieser", sagt die Richterin. Für das Gericht gebe es aber Indizien dafür, dass Stephan H. bei vollem Bewusstsein war.

Bei der dritten ihm zur Last gelegten Tat am 29. Mai dieses Jahres war der Wentorfer festgenommen worden. Die Polizei setzte damals während einer Ü-30-Party mehrere Beamtinnen in Zivil als Lockvögel in der Nähe des Sachsenwaldforums ein. H. tappte in die Falle. Bei der anschließenden Vernehmung sagte er, er habe die Frau lediglich umarmen wollen, um eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass er bei Frauen noch gut ankomme. Vor Gericht widerrief H. diese Aussage. Er sprach von unmenschlichen Verhörtechniken der Polizei und dass der Kriminalbeamte ihn zu der Aussage gedrängt habe. "Ich wollte, dass es aufhört", sagte H. am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht in Lübeck.

"Einige Menschen behaupten, sich nicht erinnern zu können, um nicht vor der Öffentlichkeit sowie Freunden und Familie über die Taten sprechen zu müssen", sagt die Richterin. Außerdem sei bei Stephan H. kein "Hang" zu erkennen, der eine eingeschliffene seelische Störung beschreibt. Diese entwickele sich über einen langen Zeitraum und beginne häufig in der Kindheit.

Freunde beschrieben H. als ruhigen und in sich gekehrten Typ, der gerne mal viel Alkohol trinkt. Auch der Stiefvater von H. konnte dem Gericht keine schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen beschreiben. Gegen den sogenannten Hang spricht auch, dass der 28-Jährige sozial gut funktioniert habe. Er lebte nicht isoliert, hatte Freunde, eine feste Arbeit, führte sogar längere Beziehungen mit Frauen - ein scheinbar ganz gewöhnliches Leben.

Unterdessen leiden die Opfer immer noch. Die Anwältin der 21 Jahre alten Hamburgerin, die im März 2010 von H. vergewaltigt worden war, sagt: "Meine Mandantin ist zwar stabil und macht eine Ausbildung. Doch sie meidet Partys, hat Angst, wenn sie allein abends über die Straße gehen muss." Eine 38 Jahre alte Reinbekerin, die im März dieses Jahres von Stephan H. überfallen worden war, sagte nach der Urteilsverkündung: "Ich muss das Ganze erst mal sacken lassen." Stephan H hatte auf sie eingeschlagen und versucht, sie zu vergewaltigen,