Forensischer Gutachter schätzt das Rückfallrisiko für Stephan H. als “sehr hoch“ ein

Reinbek/Lübeck. Kann sich der Vergewaltiger von Reinbek tatsächlich nicht mehr an seine grausigen Taten erinnern, oder täuscht er die Erinnerungslücken nur vor? Mit dieser Frage hatte sich ein vom Lübecker Landgericht bestellter Psychiater beschäftigt und gestern vor der Kammer sein Gutachten vorgestellt. "Medizinisch betrachtet gibt es verschiedene Möglichkeiten für Erinnerungslücken", sagt der Lübecker Arzt Claus Maschler.

Typisch sind Blackouts bei einer Epilepsie oder eine Dissoziation. Beides sei bei Stephan H. jedoch eher unwahrscheinlich. "Gegen eine Epilepsie spricht die logische Abfolge seines Handelns, und bei einer Dissoziation finden die Betroffenen es furchterregend, dass sie sich nicht erinnern können, und versuchen aufzuklären, was in den Stunden der Erinnerungslücke passiert ist."

Beides trifft laut Gutachter nicht auf Stephan H. zu. Denn der mutmaßliche Triebtäter sei bei seinen Taten sehr berechnend gewesen. Als er im März 2010 nach der Ü-30-Party eine 21-Jährige am Reinbeker Bahnhof entführte, zerrte er sie an die Gleise, um sich dort an ihr zu vergehen. Während der Tat gab er sich als Marcel aus. Anschließend nahm er seinem Opfer die Handtasche weg und flüchtete. Als einige Tage später ein Zeuge die Tasche an einem mehrere Hundert Meter entfernten Waldrand fand, war auch darin offenbar eine falsche Fährte gelegt.

Triebtäter legte falsche Fährte

Außer dem Portemonnaie und den persönlichen Sachen der 21-Jähigen war ein Brief ihres Peinigers darin. Mit den Worten auf dem rosafarbenen Papier versucht der Vergewaltiger, sich zu entschuldigen. Unterschrieben hatte er den Brief wiederum mit "Marcel". Dies sei von dem Triebtäter alles sehr berechnend gewesen.

Auch als im Mai dieses Jahres die Polizei H. mithilfe eines Lockvogels schnappte, habe der 28 Jahre alte Fleischer nicht den Eindruck erweckt, sich an nichts erinnern zu können. Dies entnahm der Psychiater den Aussagen der Polizei. Der Sachverständige spricht bei Stephan H. von einem Impulsdurchbruch zum Spannungsabbau. Sollte er sich tatsächlich nicht an die Taten erinnern, gebe es laut Gutachter keine Möglichkeit der Therapie. "Schließlich kann er sich dann nicht mit der Tat auseinandersetzen und auch nicht in das Opfer einfühlen", sagte Maschler. Auch die Prognose des Mediziners wäre schlecht: "Auch nach einer langjährigen Haftstrafe besteht ein sehr hohes Rückfallrisiko."

Stephan H. ginge es dabei nicht wie bei einem klassische Triebtäter um die Sexualität. Er sei "anal-sadistisch". Er habe eine heftige innere Spannung, die er abbauen müsse. Dabei gehe es ihm darum, Macht auszuüben. Im Alltag sei er indes ein Mann, der sozial gut funktioniere, nicht isoliert lebe, Freunde habe. Auch habe er zwei langjährige Beziehungen mit Frauen geführt. Doch seinen seine Beziehungen nicht von vertrauen und emotionaler Nähe geprägt. Man habe zusammen einfach den Alltag gemeistert.

Auch Freunde von Stephan H. die gestern vor Gericht ausgesagt haben, beschreiben ihn als in sich gekehrt und ruhig. Über Probleme habe er mit ihnen nie gesprochen.