Der Personalmangel gefährdet die Krippenplatz-Garantie ab dem Jahr 2013. Die Gewerkschaft fordert bessere Bezahlung und Ausbildung.

Reinbek. Dicke Tränen kullern der kleinen Lea an den Wangen herunter. Sie will auf den Arm. Doch kaum hat Anke Muchow die Einjährige hochgehoben, recken sich ihr fünf weitere Kinderarmpaare entgegen. Es sind Situationen wie diese, in denen sich die Erzieherin wünscht, sie wäre ein Krake mit acht Armen. Die 40-Jährige betreut gemeinsam mit einer Kollegin zehn Knirpse zwischen einem und drei Jahren in der Kindertagesstätte Eggerskoppel in Reinbek. Monatelang sogar zehn Stunden lang, fünf Tage die Woche. Denn, obwohl zwei weitere Stellen vorgesehen und auch immer wieder ausgeschrieben waren, konnten sie nicht besetzt werden - die Bewerber fehlen. Muchow gesteht: "Das war sehr hart. Da gingen wir einige Monate lang ganz schön auf dem Zahnfleisch."

Zwar ist die Personalnot seit einigen Monaten nicht mehr ganz so groß, weil eine Praktikantin als Erzieherin geblieben ist. Doch eine weitere 20-Stunden-Stelle ist noch immer nicht besetzt. Seit drei Wochen läuft erneut eine Stellenausschreibung beim Arbeitsamt. "Es gibt gerade mal eine Bewerberin", sagt Andrea Dechau, Fachbereichsleiterin der Kitas bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Stormarn.

Das Problem ist nicht neu, aber dennoch hochaktuell. Allein in den acht Kindertagesstätten der Awo in Stormarn gebe es derzeit zehn offene Stellen. Und die Situation wird sich durch den massiven Kita-Ausbau aufgrund des gesetzlichen Anspruchs auf Plätze für Kinder unter drei Jahren ab Juli 2013 weiter verschärfen. Davon geht nicht nur Dechau aus.

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) etwa rechnet damit, dass in Westdeutschland 2013 rund 24 700 Erzieherstellen nicht besetzt sein werden. Und laut DJI-Studien wird der Mangel steigen. So prognostizieren etwa Thomas Rauschenbach und Matthias Schilling in ihrer im Auftrag der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte erstellten Expertise "Droht ein Personalnotstand?", dass bis 2013 rund 600 Betreuer allein im U3-Bereich allein in Schleswig-Holstein fehlen werden, im Jahr 2015 könnten es bereits mehr als 1000 sein.

Infolge des sich bereits jetzt abzeichnenden akuten Personalmangels könnte damit die gesetzliche Krippenplatz-Garantie gefährdet sein. Darüber machen sich auch die Kommunen Sorgen, die derzeit massiv in den Kita-Ausbau investieren. Für den Neubau einer weiteren Krippe in Bargteheide etwa rechnet auch Bürgermeister Henning Görtz, dass allein dafür zehn bis 14 Betreuer gesucht werden müssen. "Ich höre aber schon lange Klagen der Träger, dass dies schwierig ist und es einen großen Wettbewerb gibt", so Görtz.

Anders als bei der Awo gibt es derzeit in den 17 Kindertagesstätten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Stormarn zwar noch keinen akuten Erziehermangel. Doch seien die Bewerber laut DRK-Kreisverbandsvorsitzenden Udo Finnern erheblich zurückgegangen. "Wir haben heute nur noch rund 20 Prozent der Bewerber, die wir noch vor vier Jahren hatten." Als Ursache dafür sieht er den "riesigen Ausbau" der Krippenlandschaft. "Wir sind dankbar, dass die Quote für 2013 eingeführt wurde, aber die Anzahl der Absolventen in den Fachschulen für Sozialpädagogik ist einfach zu gering", so Finnern weiter. Die Wohlfahrtsverbände im Land forderten deshalb eine Ausweitung des Ausbildungsplatzangebotes vom Land.

Kritik kommt aber nicht nur von Wohlfahrtsverbänden. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Schleswig-Holstein stellt Politik und Regierung an den Pranger: "Es wird schon seit Jahren nicht genug getan, um den Beruf aufzuwerten", sagt GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer. Nicht nur, dass die Verdienstmöglichkeiten bei nur rund 1200 Euro brutto für 30 Wochenstunden lägen. Auch hätten viele Erzieher häufig Probleme, überhaupt eine Vollzeitstelle zu bekommen.

Schauer rügt auch, dass Abstriche in der Qualität und bei der Ausbildung gemacht werden. So würden bereits in vielen Einrichtungen Elementar-Gruppen um bis zu fünf Plätze aufgestockt. Eine weitere Lösung, um Gruppengröße nach oben zu korrigieren und die engen Vorschriften bei Krippengruppen zu umgehen (maximal zehn Kinder pro Gruppe), sind altersgemischte Gruppen, in denen mehr Kinder betreut werden dürfen. "Die Belastungen sind dann besonders hoch. Viele Erzieher satteln deshalb nach einiger Zeit wieder um."

Zudem würden häufig nur sozialpädagogische Assistenten mit geringerem Verdienst und kürzeren Ausbildungszeiten als Betreuer eingesetzt, weiß Schauer. "Leider wird in Deutschland immer noch davon ausgegangen, dass wir im Kleinkindbereich keine hochqualifizierten Kräfte brauchen", kritisiert er. Die Ausbildung gehöre deshalb an die Hochschulen.

"In den ersten drei Jahren wird der Grundstein für so vieles gelegt: Sprache, Bewegung, Wahrnehmung, Sozialverhalten. Es passiert ganz viel", sagt Andrea Dechau von der Awo. "Die Erzieher müssen gerade im Krippenbereich einen hohen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. Die Strukturen sind heute nicht mehr die gleichen wie vor 30 Jahren. Die Erzieher in Einrichtungen - von der Krippe bis zum Hort - sind heute Erziehungspartner der Eltern."