Auf dem Oldesloer Verkehrsübungsplatz Travering lernen Polizeischüler, worauf es bei Verfolgungsjagden mit Anhaltesituation ankommt

Bad Oldesloe. Der unerfreulichste Moment wird der mit dem Bums sein, obwohl auch der überfahrene Igel nicht schön ist. Nur ob der wirklich an diesem Tag gestorben ist, lässt sich nicht endgültig klären. Und dass der Bums dafür sorgen wird, dass einer der elf Teilnehmer den Lehrgang nicht besteht, ist sicher.

Am Anfang aber zeichnet sich noch keines der Schicksale ab. Da läuft die Lehrgruppe 241 der Landespolizeischule Hamburg über den Verkehrsübungsplatz Travering in Bad Oldesloe, immer hinter einem Fahrlehrer her, untere Ringstraße, obere Ringstraße, hohle Gasse, oberes Plateau, unteres Plateau. Später sollen sie hier Verbrecher verfolgen und dann fangen, mit Blaulicht und wesentlich schneller, weil motorisiert.

Normalerweise üben hier Fahranfänger. Sie können ein Sicherheitstraining absolvieren, den Offroad-Parcours befahren und jährlich machen etwa 1000 Schüler den Fahrradführerschein.

An diesem Tag nicht. Der Platz ist heute für die übliche Kundschaft geschlossen, die Verbrecherjagd ist exklusiv für die Polizeischüler. Einsatztraining nennt sich das. Jährlich bekommt ein Polizist 24 Stunden davon, auch nach der Ausbildung. Spezialeinsatzkommandos üben häufiger. Die sieben Männer und vier Frauen der Lehrgruppe wollen einmal im mittleren Dienst arbeiten, vielleicht werden sie auch verdeckt ermitteln müssen, deshalb steht in diesem Text kein Schülername. Aktuell sind sie im vierten Semester, kurz vor einem sechs Monate dauernden Praktikum. Darin könnte so eine Verfolgungsfahrt vorkommen, deshalb wäre es gut, wenn man verfolgen könnte.

Eine der Polizeischülerinnen war schon mal bei einer solchen Fahrt dabei, es ging um Raub mit versuchtem Totschlag. "Das war das pure Chaos, zwei in Kolonne flüchtende Fahrzeuge auf der B 5", sagt sie. Und sie sagt wirklich Fahrzeuge, nicht Autos. Das macht man so bei der Polizei. Der Schlagstock heißt übrigens EKA, Einsatzstock, kurz, ausziehbar. Den dürfen die Schüler während der Übung im Holster behalten. Ihre Waffen müssen sie abgeben, das Pfefferspray auch. Stefan Reimer und Hans-Peter Lutze-Behrens, die Einsatztrainer, sammeln sie in einem Koffer. Für die Übung bekommen die Schüler Rotwaffen. Die heißen so, weil ihr Gehäuse an manchen Stellen, Überraschung, rot ist. Sie funktionieren wie richtige Waffen, fühlen sich in der Hand auch so an, nur schießen kann man damit nicht. Der Lauf ist zugeschweißt.

Um 10.25 Uhr geht es zur ersten Fahrt nach draußen auf den Platz. Um etwa 10.30 Uhr fängt es kurz an zu regnen, solange, bis die Fahrbahn ordentlich nass und rutschig ist. Aber Kriminelle arbeiten ohnehin nicht nur bei Sonne. Die Situation, genannt Lage - oder "Loahge", wie Stefan Reimer in schönstem Norddeutsch sagt, ist folgende: Täter, männlich, etwa 40 Jahre, 1,80 Meter groß, mit Schusswaffe, flüchtet im Kombi, Kennzeichen Julius Otto Punktpunktpunkt, Raub, mittlerer Geldbetrag. Zwei Polizeiautos - oder besser: Fahrzeuge - verfolgen, in jedem zwei Polizisten, einer fährt, einer funkt. Machen müssen sie beides zwei Mal an diesem Tag. Wer nicht dran ist, steht auf einem Wall am Rand der Strecke, beobachtet, macht Fotos mit seinem iPhone und lauscht dem Funkverkehr auf Kanal 384 Oberwasser.

Im Fluchtwagen mitzufahren ist, das nur nebenbei, weniger Nahtoderfahrung, als vielmehr Auslöser für den latenten Wunsch, doch noch kriminell zu werden - wenn man ihn denn nicht selbst steuern müsste. Das ist nämlich keine ganz leichte Aufgabe, deshalb übernimmt sie ein Fahrlehrer. "Als ich einmal mitgefahren bin, brauchte ich danach eine Spucktüte", sagt Hans-Peter Lutze-Behrens. Da sei die Verfolgung auch wesentlich rasanter gewesen. Für die damals knapp 90 Kilometer pro Stunde ist die Strecke zu nass, zum Schleudern und Reifenquietschen genügt aber auch etwas mehr als die Hälfte der Geschwindigkeit.

Nach ein paar Minuten Jagd, Ringstraßen, Plateaus, hohle Gasse, rauf, runter, rum, wird der Fluchtwagen gestellt. Dann ist das wichtigste die Kommunikation - mit dem Täter, aber auch mit den Kollegen. "Kommunikationkommunikationkommunikation", sagt Lutze-Behrens, denn so eine Verfolgungsfahrt ist Stress, kein Spaß, auch nicht, wenn man bloß übt. "Langsam aussteigen! Hände nach oben! Legen sie die Hände aufs Dach!" Schreien muss man können als Polizist. Wissen, wie man in Deckung geht, muss man lernen, denn: "Fremde Fahrzeuge sind Feindesland". Die Türen der Einsatzfahrzeuge bieten keinen ballistischen Schutz, das wissen die Schüler.

Und sie wissen auch, dass sie Kreuzfeuerproblematiken vermeiden sollen. Noch so ein schönes Polizeiwort. Das bedeutet, dass sie nicht so am Fluchtwagen anhalten, dass sie sich gegenüber stehen, wenn beide Teams mit ihren Waffen auf den Täter zielen. Warum das problematisch ist, erschließt sich schnell. Leicht zu vermeiden ist es trotzdem nicht. Ordentlich neben einem möglicherweise bewaffneten Autofahrer zu parken ist unter Stress nicht ganz leicht. Rückwärts fahren auch nicht, weshalb es nun auch zum Bums kommt. Nach einer Lage soll ein Polizeischüler zurücksetzen: Bums. Tatsächlich vom Beobachtungsposten auf dem Wall aus kaum zu hören, aber das Ergebnis ist eine taubengroße Delle in dem Wagen, der da stand, wohin zurück gesetzt werden sollte. Das ist der Stress, sagen beide Einsatztrainer.

In Situationen wie Verfolgungsfahrten bekämen viele einen Tunnelblick und handeln ganz automatisch. "Ich habe gar nichts gedacht", sagt eine Polizistin. Sie sei einfach ausgestiegen und hinter das Auto gelaufen, um in Deckung zu gehen. Nun könnte man argumentieren, dass der rückwärts fahrende Unfallverursacher nicht so doll unter Stress gewesen sein kann, denn er musste ja noch gar nichts verfolgen, nur wenden. Aber zu wissen, dass man in ein paar Sekunden relativ rasend hinter ein bis zwei anderen Autos her fahren muss, kann schon zu Anspannung führen. Um da richtig zu reagieren und auf alles zu achten, braucht es Übung. "Natürlich bleibt nicht alles hängen, was wir hier machen, deshalb muss es oft wiederholt werden", sagt Stefan Reimer. Gerade strukturieren er und Kollege Lutze-Behrens das Training um: weniger Theorie, mehr Praxis. "Der Tag bietet die Möglichkeit, unter Stress zu lernen", sagt Reimer.

Diese Möglichkeit wird der Unfallverursacher bald noch einmal bekommen, denn Unfall bedeutet durchgefallen. Wer dieses Training nicht besteht, darf außerhalb des Verkehrsübungsplatzes nicht mit Blaulicht fahren. Die Spuren des Unfalls eines anderen Lehrgangs sind immer noch zu sehen: eine eingedrückte Leitplanke und ein kaputtes Rasenstück. Dagegen ist die Delle nichts. Das sagt auch einer der Ausbilder: "Der Bums ist passiert, Ende." Tatsächlich ist der unter bislang ungeklärten Umständen verstorbene Igel am Fahrbahnrand schlimmer. Der Täter ist noch flüchtig, sachdienliche Hinweise nimmt die Redaktion entgegen.