Bank-Geheimnisse: Das Abendblatt trifft Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Wilhelm Nölling, ehemaliger Hamburger Wirtschafts- und Finanzsenator aus Grönwohld

Grönwohld. Mit einer gelben Klatsche geht Wilhelm Nölling auf die Jagd nach Wespen. Während er die Klatsche durch die Luft schwingen lässt, flucht er über die fliegenden Plagegeister. Doch es gibt etwas, das den emeritierten Professor und ehemaligen Hamburger Finanz-, Gesundheits- und Wirtschaftssenator noch mehr in Rage bringt. Etwas, das den Wohlstand und die Freiheit Europas bedrohe, wie er sagt. "Es ist eine Katastrophe, aus der wir nicht mehr herauskommen", klagt Nölling. Seine Stimme hebt sich: "Eine Ka-ta-strophe." Der 77-Jährige spricht über die europäische Gemeinschaftswährung, den Euro und seine Folgen. "Das ist jetzt mein Lebensthema, unser aller Schicksal", sagt Nölling.

Seine Kritik beginnt schon bei der Gestaltung der Banknoten. "Da stand die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden Pate", sagt er spöttisch. "Kein Kopf, keine Blume, kein Dokument, nur Gebäude, Erde und Steine - das Design ist an Primitivität und Fantasielosigkeit nicht zu überbieten." Nölling sitzt auf seiner Lieblingsbank unter der Remise im Garten seines Bauernhauses in Grönwohld, das seine Frau und er Anfang der 80er-Jahre bezogen haben. Vor ihm ein massiver Holztisch, den er bei einem Besuch auf Jamaika gekauft hat. An dieser Stelle hat er Aufsätze und Bücher geschrieben. Hier redet sich der Ökonom nun in Rage.

"Manche Politiker lügen sich etwas vor. Ihnen fehlt der wirtschaftspolitische Sachverstand." Derzeit werde immer wieder von einer drohenden Transferunion gesprochen. Nölling: "Da kann ich nur lachen. Die haben wir doch schon längst. Mit jedem neuen Programm wird sie für Deutschland unbezahlbarer."

Gemeinsam mit den Professoren Wilhelm Hankel, Joachim Starbatty und Karl Albrecht Schachtschneider sowie dem ehemaligen Thyssen-Vorstand Dieter Spethmann hat Nölling vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Milliardenhilfen für Griechenland geklagt. Kürzlich hat das höchste deutsche Gericht die Klage abgewiesen.

Hinter Nöllings Kritik an der Gemeinschaftswährung steht ein fundamentaler Vorwurf an die Politiker. "Sie sind dabei, den endgültigen Untergang Europas vorzubereiten", sagt Wilhelm Nölling und fügt hinzu: "Uns fehlen erfahrene politische Nationalökonomen, die den Mut haben, aufzuschreien." Einer wie er, der nicht nur die theoretische Seite der Wirtschaftswissenschaften kennt, sondern auch selbst gestaltet hat; eben nicht bloß ein "blutleerer Theoretiker".

Wilhelm Nölling ist in beiden Welten zu Hause. Er liest viel und schreibt selbst, doch genauso pflanzt er Zucchini, hält Kamerun-Schafe und erntet Zwiebeln im eigenen Garten.

Aufgewachsen ist er mit harter körperlicher Arbeit. "Meine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof mit zwölf Morgen Land gepachtet", erinnert sich der 77-Jährige an seine Kindheit im Sauerland und im Oberbergischen. Der Vater verdiente sein Geld als Waldarbeiter. Wilhelm Nölling hat elf Geschwister, die in kärglichsten Verhältnissen groß werden. Früh begeistert sich Wilhelm Nölling für Bücher. "Das traurige Schicksal Pinocchios hat mich zu Tränen gerührt." Für einige Zeit betreut er die Bücherei seiner Volksschule. "Lesen ist mein Grundnahrungsmittel geworden."

Welche Erkenntnisse sich durch die ausgiebige Lektüre ergeben haben, hat er in sein Buch "Hohe Leuchten. Auswertungen meiner Leseerfahrungen" gegossen. Als Jungen haben Nölling vor allem die Erzählungen von Robert Louis Stevenson, Daniel Defoe und Karl May beeindruckt. "An Karl Mays Büchern interessierten mich besonders die Berichte über die US-Indianer. Seine Bücher über den Nahen Osten waren mir dagegen doch zu fiktiv."

Als Lehrling bestellte sich Nölling im Alter von 17 Jahren nach und nach die gesammelten Werke von William Shakespeare. Auch Goethe entdeckt er damals. "Beide sind die genialsten Beobachter und Beschreiber menschlicher Regungen und Verhältnisse." Gerade der Faust sei so reich an Erkenntnissen.

Aus dem Klassiker zitiert Wilhelm Nölling auch in seiner aktuellen Schrift "Die Euro-Höllenfahrt. Vom Elend der Politik zum Elend der Ökonomien". Das Zitat ist eine Anspielung, darauf, dass man sich bei allen Entscheidungen einen Ausweg offen halten sollte. "Ich verwende literarische Bezüge, um mir Rat zu holen und sie mit aktuellen Problemen zu verknüpfen", sagt Nölling. Bei der Währungsunion hätten sich die Politiker festgelegt. "Sowohl Helmut Schmidt als auch Helmut Kohl haben den Euro für unumkehrbar erklärt, was den folgenschwersten Irrtum der Währungsgeschichte bedeutet." So sei der Ausweg konsequent verbaut worden. Wieder hebt sich Nöllings Stimme: "Das ist beispiellos in der Währungsgeschichte. Ein Klotz am Bein ist nichts dagegen." Der ehemalige Hamburgische Landesbankpräsident befürchtet, dass Deutschland bald nicht nur für Griechenland, Portugal oder Irland bürgen und zahlen muss, sondern auch für andere europäische Staaten wie Frankreich. "12 Länder in der Eurozone leben weit über ihre Verhältnisse", so Nölling.

"Deutschland erleidet als größter Netto-Exporteur jedes Jahr einen riesigen Abfluss an Kapital." Als noch Wettbewerb zwischen den Währungen herrschte, habe Deutschland die D- Mark noch aufwerten können und dabei die größten Wohlstandsgewinne seiner Geschichte erzielt. "Durch den Euro ist die Antwort des Marktes unterdrückt, ist die Quelle ausgetrocknet worden."

Daher hat Nölling bereits in seinem Buch "Unser Geld. Der Kampf um die Stabilität der Währung in Europa. Das Maastricht-Fiasko" von 1993 versucht, Auswege darzustellen, falls die Währungsunion scheitern sollte.

Noch heute versucht er, mit den Politikern seiner Partei, der SPD, über sein Lebensthema zu diskutieren. "Steinbrück, Steinmeier, Gabriel - ihnen allen habe ich geschrieben", sagt Nölling. "Doch die SPD will von mir nichts wissen, die Parteiführer wollen lieber für die Höllenfahrt des Euro mit verantwortlich sein." Nölling lehnt sich auf der Bank zurück. "Ich muss nicht mehr beweisen, dass ich von den Problemen eine ganze Menge verstehe."

Wilhelm Nölling blickt zum Giebel seines Hofes hinauf. "Schauen Sie sich die Schwalben an. Ich bin glücklich, wenn sie jedes Jahr wiederkehren." Auch Nölling, obwohl er sich als Hamburger fühle, ist hier draußen auf dem Land heimisch geworden. "Meine Frau und ich haben in den 53 Jahren unserer Ehe nirgendwo länger gelebt als hier." Tochter Kathy wohnt mit ihrer Familie nebenan. Während er den Flugmanövern der Schwalben zuschaut, zitiert er Napoleon: "Das einzige Kriterium zur Beurteilung eines Menschen besteht in seiner Lebensleistung. In dem, was er gemacht hat." Das scheint auch den ehemaligen Senator weiter anzutreiben. Er wirbt für seine aktuelle Broschüre über den Euro im feuerroten Umschlag. Und auch ohne die körperliche Arbeit im eigenen Garten geht es für den 77-Jährigen nicht. Da ist er Ökonom im ursprünglichen Sinne.

Wilhelm Nölling, Die Euro-Höllenfahrt. Vom Elend der Politik zum Elend der Ökonomie, A&C Druck und Verlags GmbH, 8 Euro. Zu beziehen beim Autor unter Telefon 04154/56 65.

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