Gesundheitspreis 2011: In der Trittauer Selbsthilfegruppe für Menschen mit MS wird nicht nur über Probleme geredet

Trittau. Eine Jammergruppe sei diese Selbsthilfegruppe nicht, so viel vorweg, sagt Doris Schreiber. "Wir lachen viel." Sie hat vor drei Jahren die Gruppe für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) gegründet, Angehörige dürfen auch kommen. MS ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems, Betroffene können unter anderem unter Lähmungen, Seh-, Blasen- und Darmstörungen leiden.

In Deutschland leben etwa 130 000 Erkrankte, in Schleswig-Holstein sind etwa 4000 Menschen betroffen. Die inzwischen 20 Mitglieder der Trittauer Selbsthilfegruppe treffen sich einmal im Monat. Dann sitzen sie an einem Tisch, essen Kekse und fühlen sich weniger krank. "Denn wenn alle krank sind, ist niemand etwas Besonderes", sagt Schreiber. Dann könne über die Krankheit auch mal gelacht werden.

"Und zwar so, dass andere das schon makaber finden würden." Lustig auf eine ziemlich düstere Art ist zum Beispiel, dass die durch MS verursachten Gleichgewichtsstörungen auf Unwissende wirken können, als wäre der Erkrankte betrunken. "Wir haben ja kein Schild um", sagt Schreiber. "Im Ort wird man schon oft schief angeguckt." Bei einem aus der Gruppe kam sogar die Polizei in den Kindergarten. Jemand hatte die Beamten informiert, weil er glaubte, der Erkrankte würde seine Kinder immer alkoholisiert abholen.

Um solchen Fehlinterpretationen zumindest in der näheren Umgebung vorzubeugen, hat Doris Schreiber ihre Nachbarn über die Krankheit informiert. "Sie waren sehr verständnisvoll, mir wurde viel Hilfe angeboten", sagt sie. Einige Male hätte sie schon jemand gefahren, wenn sie das nicht selbst konnte und ihre Familie keine Zeit hatte. "Aber eigentlich versuche ich, alles allein zu regeln", sagt sie. Ihre Selbstständigkeit ist ihr wichtig. "Ich habe sehr gelitten, als ich kein Auto mehr fahren konnte und mein Fahrrad noch nicht hatte." Etwa drei Jahre lang hätte sie sich zu Hause fast eingesperrt gefühlt, dann kaufte sie sich ein Dreirad. Die drei Räder braucht sie wegen der Gleichgewichtsstörungen. "Und der Elektromotor ist wichtig, weil ich beim losfahren nicht weiß, ob ich noch Kraft für den Rückweg haben werde", sagt sie.

Die Ungewissheit sei das schlimmste an der Krankheit. Man wisse nicht, was am kommenden Tag passiert, ob es einem gut geht oder nicht. "Man lebt dadurch bewusster", sagt Schreiber. Ihr jüngster Krankheitsschub trat im Mai dieses Jahres auf.

"Das war krass. Alles ist schlechter geworden: Sehen, Laufen und der Gleichgewichtssinn. Ich konnte nichts mehr alleine machen." Bis heute habe sie zu kämpfen. "Inzwischen bin ich bei der Krankengymnastik aber fast auf dem Trainingsstand, auf dem ich vor dem Schub war", sagt Doris Schreiber. Auch ihr linkes Auge sei wieder besser, ein dreiviertel Jahr hat es gedauert, bis sie wieder sehen konnte, erst schwarz-weiß, dann auch Farben.

Ihre linke Körperhälfte ist stärker betroffen. Dass Doris Schreiber Linkshänderin ist, ist da natürlich problematisch. "Aber Menschen sind flexibel, inzwischen kann ich, wenn es sein muss, auch vieles mit rechts, Zähneputzen zum Beispiel." Kartoffeln hingegen würde sie fast immer mit links schälen, denn es sei wichtig, die schwächere Seite zu trainieren. "In der Selbsthilfegruppe lernt man, mit so etwas umzugehen", sagt sie. "Man sieht ja bei den anderen, dass die Beschwerden auch wieder zurückgehen können."

In der Selbsthilfegruppe wird Verschiedenes besprochen, familiäre und psychische Probleme, aber auch finanzielle Schwierigkeiten. "Wer alleinstehend ist und in Rente gehen muss, dem bleibt wenig Geld", sagt Schreiber.

Sollte die Gruppe den mit 3000 Euro dotierten Gesundheitspreis tatsächlich gewinnen, wird das Angebot um therapeutisches Yoga oder Qigong erweitert. Das Preisgeld soll dann auch den finanziell schlechter gestellten Mitgliedern der Gruppe die Teilnahme ermöglichen.

Im vergangen Jahr engagierte die Selbsthilfegruppe einen Referenten für Gedächtnistraining. Die Übungen sind seitdem regelmäßiger Bestandteil der Treffen. "Und sonst versuchen wir, eine Mischung aus Information und Spaß zu haben", sagt Schreiber. Der Austausch über neue Medikamente und Behandlungsmethoden sei sehr hilfreich. Ebenso die Freundschaften, die entstanden sind. Denn Gesunde wissen eben doch nicht, was es bedeutet, MS zu haben. Einige Gruppenmitglieder telefonieren regelmäßig miteinander oder treffen sich zwischendurch. Und sie machen gemeinsam Ausflüge.

"Zuletzt sind wir alle nach Lübeck gefahren und dann mit dem Schiff weiter die Wakenitz runter bis Ratzeburg", sagt Doris Schreiber. Für einige wären solche Unternehmungen ohne Hilfe nicht möglich. Schreiber: "Manche haben gesagt, das wäre nun ihr Urlaub gewesen."