Es gibt wohl kein Ereignis, das sich derart nachhaltig in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat, wie die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 in Amerika. Zum zehnten Jahrestag haben wir Stormarner nach ihren ganz persönlichen Erinnerungen gefragt

"Wir fragten uns: Was passiert als Nächstes?"

Klaus Plöger aus Barsbüttel, Landrat des Kreises Stormarn: Ich war im Urlaub auf der Insel Usedom. Meine Frau und ich waren von Bansin, wo wir eine Ferienwohnung gemietet hatten, nach Zinnowitz gegangen. Immer am Wasser entlang. Wir wollten dann mit der kleinen Inselbahn wieder zurückfahren. Auf dem Zinnowitzer Bahnhof rief unsere Tochter an. Sie klang aufgeregt und fragte: "Weiß du schon, dass ein Flugzeug ins World Trade Center gerast ist?" Sie wird eigentlich sonst nicht so schnell nervös.

Wir sind dann zurück in unsere Ferienwohnung gefahren und haben da sofort den Fernseher eingeschaltet. Das waren schon erschütternde Bilder. Irgendwann war man aber auch genervt von den immer gleichen Sequenzen und den endlos wiederholten Informationen, die die Fernsehsender verbreiteten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde kaum noch etwas wirklich Neues berichtet. Da haben wir dann ausgeschaltet.

Ich habe damals und später oft gedacht, dass es besser gewesen wäre, wenn der Demokrat Bill Clinton zu dem Zeitpunkt noch US-Präsident gewesen wäre. Der wäre mit den Terroranschlägen vielleicht etwas gelassener umgegangen als der Republikaner George W. Bush. Der hätte vielleicht verhindert, dass die Sache dann in dieser Weise eskaliert ist. Der "Krieg gegen den Terror", den Bush wenige Tage nach dem Anschlag bei einer Rede vor den beiden Kongresskammern ausgerufen hat, hat den Vereinigten Staaten wirklich nicht geholfen. Das ist die falsche Reaktion gewesen.

Auf der andere Seite fragte man sich damals aber auch: Was haben die Terroristen noch im Köcher? Was passiert als Nächstes?

Aufgezeichnet von Matthias Popien

"An Arbeit war nicht mehr zu denken"

Anika Ohlsen, PR-Beraterin aus Ahrensburg: Der 11. September 2001 war für mich zunächst ein ganz normaler Arbeitstag. Ich war damals als Pressereferentin beim Heinrich Bauer Verlag für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Programmzeitschriften zuständig. Am Wochenende sollte unser lang geplanter Australien-Urlaub beginnen. Vorher noch drei Arbeitstage voller Termine. Als ich aus einem Meeting wieder in mein Büro zurückkam, empfing mich unsere Sekretärin mit der Nachricht, dass ein Flugzeug in das World Trade Center geflogen sei. Ich dachte zunächst an einen Unfall mit einer kleinen Sportmaschine, fand das zwar tragisch, kehrte aber recht schnell wieder an meinen Schreibtisch zurück.

Erst als sich die Meldungen aus New York überschlugen, wurde mir die Tragweite der Terroraktionen bewusst. Nach und nach versammelten sich alle im Büro des Chefs vor dem Fernseher. Dort sahen wir Menschen aus dem brennenden Wolkenkratzer springen und den zweiten Turm einstürzen. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Tief betroffen und fassungslos saßen wir da. In unseren sonst oft so hektischen Räumen war es still: kein Telefon, kein Fax, niemand druckte oder kopierte. Im Kollegenkreis diskutierten wir, wie es wohl weitergehen würde auf der Welt, wie mögliche Reaktionen aussehen würden, was das alles für uns bedeuten könnte.

Ich telefonierte mit meinem Mann, meinen Eltern und meinem Bruder. Das Bedürfnis, sich mit nahestehenden Menschen auszutauschen, in Worte zu fassen, was man gesehen hatte, war groß. An den Heimweg vom Verlag kann ich mich nicht mehr erinnern. Sicher bin ich U-Bahn gefahren. Was da für eine Stimmung war? Keine Ahnung.

Abends war ich mit zwei alten Freundinnen zum Kneipenbummel verabredet. Eine von ihnen war gerade aus New York zurückgekehrt. Wir verbrachten noch einige Zeit damit, die Nachrichtensendungen zu sehen. Die immer gleichen schrecklichen Bilder. Natürlich gab es wenig andere Themen als das, was später als "Nine-Eleven" in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

"Habe meine Eltern gefragt, wie so etwas passieren kann"

Nadja Käther, 22, Weitspringerin aus Ahrensburg: Obwohl ich erst zwölf Jahre alt war, als die Anschläge des 11. Septembers stattgefunden haben, kann ich mich noch sehr gut an den Tag erinnern. Ich saß mit meiner Freundin Romina zu Hause in Ahrensburg bei mir im Zimmer. Wir haben ein Spiel gespielt. Romina wohnte bei mir in der Nachbarschaft und wir spielten viel und gern. Wofür wir uns an dem Tag entschieden hatten, weiß ich nicht mehr genau. Aber meistens war es ein Kartenspiel, Monopoly oder Rummikub. Ich spiele auch heute noch für mein Leben gern, aber leider finde ich nur noch selten Mitstreiter, die genauso begeistert sind wie ich.

Jedenfalls ließen Romina und ich nebenbei immer gern das Radio laufen, so auch an jenem Tag. Plötzlich hörten wir die Meldung, dass ein Flugzeug in Amerika in ein Hochhaus geflogen sei. Wir kümmerten uns erst nicht weiter darum. Doch nach und nach gab es im Radio kein anderes Thema mehr, an Musik war gar nicht mehr zu denken. Irgendwann liefen wir runter ins Wohnzimmer zum Fernseher. Als wir die Bilder sahen, hat uns das sehr erschreckt.

Ich kann mich erinnern, dass ich den ganzen Tag über ein sehr ungutes Gefühl hatte. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie ein Mensch so etwas machen kann. Im Fernsehen wurden Bilder gezeigt, wie Leute aus den Fenstern der Hochhäuser gesprungen sind. Das hat mich noch mehr schockiert. Ich habe den restlichen Tag vor dem Bildschirm verbracht und meine Eltern gefragt, wie so etwas passieren kann. Aber richtig verstehen konnte ich es nicht.

In den nächsten Tagen haben wir in der Heimgartenschule viel über die Anschläge gesprochen. Unsere Lehrer waren genauso bestürzt wie wir Schüler. Wir sprachen über die Bilder aus dem Fernsehen und die Gründe für das schreckliche Ereignis. Als dann auch noch die Meldung in den Medien kam, dass das der Beginn eines Dritten Weltkrieges sein könnte, bekam ich ein sehr mulmiges Gefühl, das ich noch lange mit mir herumgetragen habe.

"Dieses Ereignis hat alles aus der Bahn geworfen"

Norbert Brackmann, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Stormarn/Lauenburg: Ich arbeitete damals noch beim Norddeutschen Rundfunk, als Programmbereichsleiter für die begleitenden Dienste und fürs Internetangebot. Ich war vom NDR-Funkhaus in der Rothenbaumchaussee unterwegs zu einer Konferenz mit Fernsehkollegen in Hamburg-Lokstedt. Das Autoradio lief, als NDR Info den Anschlag meldete. Der Kollege aus New York berichtete live. Er beschrieb den Rauch, der aus dem Nordturm drang. Er beschrieb auch die Ungewissheit: War es ein Unfall, hatte die Maschine einen technischen Defekt, oder war es tatsächlich ein Terroranschlag? Und wenn es einer war: Wer hat ihn zu verantworten? Wer könnte in der Lage sein, einen solchen Anschlag zu planen und auszuführen?

Ich saß wohl eine Viertelstunde vor dem NDR-Gebäude in Lokstedt in meinem Auto und hörte zu, obwohl die Konferenz schon längst angefangen hatte. Ich war ungläubig, ich war fassungslos. Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas passieren könnte.

Ich ging dann hoch in den Konferenzraum. Dort gab es eine Großbildleinwand, auf der wir die Fernsehbilder verfolgten. Furchtbare Bilder waren das. An die Konferenz war erst einmal nicht zu denken. Niemand war in der Lage, über die Dinge zu sprechen, über die wir an diesem Tag eigentlich hatten sprechen wollen. Dieses Ereignis hat alle und alles aus der Bahn geworfen.

Es wirkt auch heute noch nach. Die Ereignisse von New York lehren uns, dass man das Undenkbare denken muss. Es muss uns bewusst werden, dass auch uns jederzeit ein Terroranschlag treffen kann. Es kann hier in Deutschland genauso passieren wie überall sonst auf der Welt.

Aufgezeichnet von Matthias Popien

"Das waren keine Gegenstände, sondern Menschen"

Horst Schroth, 63, Kabarettist aus Ahrensburg: 2001 lebten wir noch in Köln. Am Dienstag, 11. September, hatte ich am Abend eine Vorstellung in Bonn. Der Nachmittag verlief gewohnt ruhig, ich war allein in der Wohnung und erledigte Büroarbeiten. Bis kurz vor 15 Uhr hatte ich heftig telefoniert, etliche Leute hatten mich angerufen, aber plötzlich blieb das Telefon stumm. Das war merkwürdig. Und obwohl es absolut nicht zu meinen Gewohnheiten gehört, am Nachmittag fernzusehen, schaltete ich den Fernseher ein.

Das erste, was ich sah, war ein brennendes Hochhaus. Ein stummes Bild, kein Kommentar, kein Ton, nichts. Ein Katastrophenfilm? Jetzt am Nachmittag? Und dann bemerkte ich das ARD-Logo und wusste: Hier stimmt was nicht. Es war immer noch das brennende Hochhaus zu sehen, immer noch die gleiche Einstellung, immer noch kein Ton. Und langsam wurde mir klar: Das ist New York, das ist das World Trade Center! Ein paar Jahre davor war ich mit meiner Frau sogar ganz oben in einem der beiden Türme gewesen.

Und dann kamen die ersten Kommentare. Ich konnte es nicht glauben, es war zu unfassbar. Also schaltete ich zu anderen Sendern, zu ZDF, RTL, CNN und BBC. Und dann war es klar. Das hier ist echt, das passiert jetzt live vor meinen Augen.

Ich blieb genau dort sitzen, wo ich saß, völlig stumm. Ich rief nur meine Frau an, die damals in unserem Haus auf dem Land war, und sagte zu ihr: Mach den Fernseher an. Und dann sah ich mir das an, hilflos und entsetzt. Immer wieder sah ich, wie vermeintlich große Gegenstände aus den brennenden Gebäuden fielen. Und erst allmählich erlaubte mir mein Verstand, das zu glauben, was mein Unterbewusstsein schon längst wusste: Das waren keine Gegenstände, das waren Menschen, die aus Verzweiflung aus den Fenstern sprangen.

Die Kommentare, die Erklärungen, die sich überstürzenden Nachrichten nahm ich nur noch wie durch einen dichten Nebel wahr, ich sah mir das an, bis zum bitteren Ende.

"Das war der traurigste Tag in meinem Leben"

Kenny Lewis, 42, Musiker und Basketball-Coach beim Ahrensburger TSV: Ich möchte meine kleine Story vom 11. September erzählen. Dabei geht eine traurige Kälte durch mein Wesen. Es tut mir von Herzen Leid für die Opfer und ihre Familien.

Ich war damals mit meiner Musikgruppe CC Catch in Russland auf Tour. Wir hatten noch zwei Shows und landeten auf dem Flughafen in Domodedovo, um zum Sheremetyevo Flughafen weiterzufahren. Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien. Alles war normal. Wir stiegen in ein Großraumtaxi und machten uns auf den Weg, die fünf Jungs von der Band, der Manager und andere. Wir lachten und redeten. Nach einer Dreiviertelstunde sagte unser russischer Tour-Manager: "Im Radio melden sie, dass das World Trade Center von einer Bombe getroffen worden sei." Ich habe zuerst laut gelacht. Dann kam die zweite Meldung: Nein, es war ein Flugzeug. Dann lachten wir alle. Wir machten Scherze. Der Pilot war wohl blind.

Nach einer halben Stunde kam die nächste Nachricht: Ein zweites Flugzeug ist in den Turm geflogen. Es war ein Terror-Anschlag. Was? Uns blieb der Mund offen stehen. Dann der Satz, der mich ins Herz traf: Ein Flugzeug ist ins Pentagon geflogen. Meine Mutter arbeitet im Pentagon! Und mein Sohn wohnt in New York! Ich stand unter Schock. Ich wollte sofort nach Hause.

Ich nahm den letzten Flug von Moskau nach Frankfurt, dann weiter mit dem Nachtzug nach Hamburg. Ich habe mit keinem Menschen geredet. In meiner Wohnung habe ich mich nicht bewegt. Ich saß den ganzen Mittwoch am Computer, ich hing am Telefon. Es war der ängstlichste und traurigste Tag meines Lebens. Am Donnerstag um 12.14 Uhr erreichte ich meinen Onkel. Er sagte mir, meiner Familie gehe es gut. Whoa!!! Welche Erleichterung.

"Sofort weiß ich, dass meine Firma am Abgrund steht"

Dr. Bernhard Weßling, Unternehmer und Kranichforscher aus Bargteheide: Am 11. September 2001 fahre ich in Wisconsin (USA) mit einem Leihwagen vom Kranichschutzgebiet Necedah National Wildlife Refuge nach Tomah, um von mir entwickelte Apparate, die wir im Schreikranich-Auswilderungsprogramm verwenden, zur Reparatur nach Deutschland zu schicken. Ich bin Chemiker, Unternehmer, nebenher als Kranichforscher im Programm zur Rettung der Schreikraniche aktiv. Wir bereiten den ersten mit Ultraleichtflugzeugen geleiteten Flug von isoliert aufgezogenen Schreikranichen von Wisconsin nach Florida vor. Sie sollen ausgewildert werden und beim Flug nach Süden lernen, wo sie herkommen, im Frühjahr allein zurückfinden. Die Apparate sind Lautsprecher mit Kleincomputer, die Betreuer der Schreikranichjungen kommunizieren so mit den Kranichen.

Ich höre in "National Public Radio" eine wundervolle Sinfonie, plötzlich Unterbrechung: ein Flugzeug ist in einen Turm des World Trade Centers geflogen, es brennt. Nur wegen einer dunklen Ahnung halte ich im nächsten Dorf und telefoniere von einer Telefonzelle aus mit meinen Finanzberatern. Genau dann fliegt ein zweites Flugzeug in den zweiten Turm, man beschreibt mir, was man im TV sieht. Sofort weiß ich, dass meine Firma Ormecon in Ammersbek am Abgrund steht. Wir finanzieren unsere Tochterfirma mit eigenem Kapital, das wir im internationalen Finanzmarkt gestreut angelegt haben. Alle Kurse stürzen ab.

Ich bin allein mitten in einem riesigen Schutzgebiet, nahezu hilflos, ohne Telefon, E-Mails nur über komplizierte Umwege. Aber ich schaffe es, Entscheidungen zu treffen, diese nach Deutschland zu kommunizieren und die Firma fortzuführen. Trotz vollständigem Flugverbot fliegen wir mit den Ultraleichtflugzeugen und den Schreikranichen, das ist meine einzige Ablenkung. Etliche Tage später miete ich mir ein Kleinflugzeug, fliege über Kanada nach Deutschland. Ormecon überlebt und entwickelt sich hervorragend, die Kraniche werden erfolgreich ausgewildert.