963 Züge auf der Strecke Hamburg-Lübeck sind im vergangenen Jahr gestrichen worden. Viele weitere waren verspätet

Ahrensburg. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben": Michail Gorbatschow wird die Deutsche Bahn nicht gekannt haben, als er das gesagt hat. Sie kommt seit Jahren immer wieder zu spät - ohne spürbare Folgen. Die viel befahrene Bahnstrecke zwischen Hamburg und Lübeck macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Im vergangenen Jahr sind 963 Züge ganz oder teilweise ausgefallen. Im Juni 2011 waren nur 89,1 Prozent der Regionalbahnen Richtung Hamburg pünktlich. Aktuellere Zahlen gibt es nicht.

Ist damit die Situation auf der Strecke Hamburg-Lübeck besonders schlecht? Bei Fachleuten gehen die Meinungen auseinander, bei den Fahrgästen nicht. Regelmäßig muss sich etwa Valeria Mix über Verspätungen auf der Strecke zwischen Hamburg und Ahrensburg ärgern. Die 38 Jahre alte technische Redakteurin fährt zweimal die Woche in die Schlossstadt. "Ich verpasse immer wieder den Bus ins Gewerbegebiet und muss dann zehn Euro für ein Taxi ausgeben. Das macht mich dann sehr wütend, wenn die Bahn zu spät kommt."

Egbert Meyer-Lovis, der Pressesprecher der Bahn, findet das alles gar nicht so schlimm. "Die Zugausfälle bewegen sich im Rahmen, das sind nur 1,1 Prozent der Gesamtverkehrsleistung." Ole Thorben Buschhüter, der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Vorsitzende des Verkehrsausschusses, sagt dagegen: "Die Bahn muss besser werden." Rund 1000 Zugausfälle im Jahr - das seien zwei bis drei Züge pro Tag: "Das ist zu viel."

Für die Kontrolle der Bahnunternehmen ist die Landesweite Verkehrsservicegesellschaft (LVS) zuständig. Dennis Fiedel, der Pressesprecher, sagt, 963 Zugausfälle seien "eine komplett normale Zahl". Bei den Verspätungen sehe es etwas anders aus. "Jeder Wert unter 90 Prozent ist nicht gut", meint er. In Schleswig-Holstein erreichten die Züge 2010 im Schnitt einen Pünktlichkeitswert von 90 Prozent. Die S-Bahn in Hamburg schaffte im vergangenen Jahr sogar 94,5 Prozent.

Davon sind die Züge auf der Strecke Hamburg-Lübeck weit entfernt. Schon allein deshalb, weil Pünktlichkeit hier anders definiert wird. Züge mit bis zu fünf Minuten Verspätung gelten noch als pünktlich. Erst danach beginnt die offizielle Unpünktlichkeit. Bei der S-Bahn fällt die Schranke früher: Jeder Zug ab drei Minuten Verspätung gehört in die Kategorie "unpünktlich".

Die Pünktlichkeitsziffern für die Regionalbahn R 10 sind besonders bedenklich. In den neun Monaten von Oktober 2010 bis zum Juni dieses Jahres wurde nur einmal der von Experten als akzeptabel angesehene Wert von 95 Prozent überschritten. Der Tiefpunkt lag im Dezember: 75,8 Prozent.

Der SPD-Abgeordnete Buschhüter ist sich sicher, dass die Verspätungen auch mit der Lage im Hamburger Hauptbahnhof zu tun haben. Der ist überlastet. "Wegen der vielen Züge gibt es dort enge Takte und ganz kurze Wartezeiten", sagt Buschhüter. "Verspätet sich eine R 10, lässt sich das nicht mehr reparieren. Dann pflanzt sich das im ganzen Fahrplan fort." Der Bau der S 4 werde die Situation verbessern. "Aber das kann ja nicht bedeuten, dass wir die aktuelle Situation aus den Augen verlieren. Und die ist schlecht."

Die Ursachenforschung fällt bei den Verspätungen durchaus schwer. Es gibt dazu keine Statistik. Bei den Ausfällen ist es anders. Ein Blick auf dieses Zahlenwerk zeigt, dass gut die Hälfte aller Probleme hausgemacht sind - also im Verantwortungsbereich der Bahn liegen.

Das bekommt auch Sven Polz, zu spüren. Der 41-Jährige fährt jeden Tag die Strecke Hamburg-Ahrensburg und muss nicht selten auf die Regionalbahn warten. "Ärgerlich, vor allem, wenn man dann zu spät zur Arbeit kommt", sagt der Elmshorner, der in einer Ahrensburger Druckerei arbeitet. Das Gute sei, sein Abteilungsleiter habe viel Verständnis dafür. "Er ist selbst Bahnfahrer", erklärt Polz, der die regelmäßige Warterei mittlerweile mit Humor nimmt: "Ich sammle Verspätungen", sagt er und fügt hinzu: "Ab 20 Minuten gibt es eine Kostenerstattung. Da kommt schon einiges zusammen".