Im Kreis gibt es immer mehr übergewichtige Kinder. Ernährungsberaterin Iris Flöhrmann über Wege aus der Kilo-Krise

Ahrensburg. Sie drücken noch nicht einmal die Schulbank, wiegen aber schon viel zu viel: Wie berichtet, ist in Stormarn jedes zehnte sechs- oder siebenjährige Kind, das kurz vor der Einschulung steht, zu schwer. Warum die Zahl der übergewichtigen Kinder seit Jahren steigt, welche Gefahren drohen und was Eltern unternehmen können - darüber sprach das Abendblatt mit Diplom-Oecotrophologin und Diätassistentin Iris Flöhrmann vom Verein "Fördekids".

Abendblatt:

Warum werden Stormarner Kinder immer dicker?

Iris Flöhrmann

: Die Ursachen sind eigentlich überall dieselben: Zuviel Medienkonsum, zu wenig Bewegung im Alltag, falsche Ernährung. Keineswegs ist es aber so, dass dicke Kinder zwangsläufig zu viel Fast-Food oder Süßigkeiten essen. Oft bekommen sie die falschen Snacks. Beispielsweise ist der "Fruchtzwerg" als Mahlzeit nebenbei schlicht ungeeignet. Diese Frischkäsezubereitung enthält viel zu viel Fett und Zucker. Auf der anderen Seite fehlen dann aber Speisen, die langfristig sättigen und fit machen, beispielsweise Obst und Gemüse.

In den USA gilt Übergewicht als vorrangig schichtenspezifisches Problem. Was sind ihre Erfahrungen?

Flöhrmann:

Studien belegen, dass fettleibige Kinder häufig aus Familien mit niedrigem Einkommen und geringerem Bildungsstand kommen. Nach meiner Erfahrung sind öfter auch Kinder aus ausländischen Familien betroffen, bei denen teilweise die irrige Meinung vorherrscht, ein rundes sei auch ein gesundes Kind. Ich hatte mal einen Vierjährigen in der Beratung, der wog 45 Kilogramm. Unfassbar.

Aber Stormarn gilt als wirtschaftlich solider Kreis mit intaktem Sozialgefüge...

Flöhrmann:

Das war auch mein Argument, warum Stormarn bis 2006 lediglich einen Anteil von sechs Prozent übergewichtiger Kinder hatte. Doch in den letzten Jahren ist auch die Zahl einkommensschwacher Familien in Stormarn gestiegen, insofern deckt sich die eine mit der anderen Entwicklung.

Erreichen Sie die Eltern?

Flöhrmann:

Leider entspricht die Nachfrage nach Präventionskursen oder Therapieangeboten nicht den steigenden Fallzahlen. Viele Eltern sind sich der Gefahren nicht bewusst, scheuen den Aufwand oder die Kosten - auch wenn die Krankenkassen einen Großteil davon als freiwillige Leistung übernehmen. Dabei drohen den Kindern dramatische gesundheitliche Folgen.

Von welchen Gefahren sprechen Sie?

Flöhrmann:

Haltungs- und Bewegungsschäden, Knieprobleme, Altersdiabetes bereits im Jugendalter. Ich spreche von einem deutlich erhöhten Risiko für Herz- und Kreislaufkrankheiten, von explodierenden Cholesterinwerten. Stark adipöse Kinder müssen sich teils einer riskanten Magenverkleinerung unterziehen - und solche Operationen nehmen zu! Hinzu kommen psychische Probleme: Gerade Mädchen werden in der Schule gnadenlos gemobbt und etwa als "Elefantenkuh" verspottet. Das hängt natürlich auch mit dem durch diverse Fernsehshows zementierten Schönheitsideal zusammen. Im Erwachsenenalter leiden mitunter schon 25-Jährige unter Schlafapnoe. Durch das Übergewicht in jungen Jahren schafft man eine Hypothek fürs Alter.

Was raten Sie den Eltern?

Flöhrmann:

Die Eltern sind meist Teil des Problems, ein Drittel ist selbst übergewichtig. Zuallererst sollten sie darauf achten, dass es regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag gibt und dass die möglichst gemeinsam eingenommen werden. In Ruhe und am Tisch, nicht vor dem Fernseher. Gerade die TV-Berieselung beim Essen sorgt dafür, dass viele Kinder gar kein Sättigungsgefühl mehr verspüren. Dazu gibt es heutzutage so eine seltsame "Draußen ist uncool"-Mentalität, schon bei den Jüngsten. Meiner Meinung nach sollten Kinder, die eine halbe Stunde im Internet oder vor der Glotze verbringen, eine ebenso lange Zeit draußen spielen. Zumal die Bewegung im Alltag ohnehin auf der Strecke bleibt. Die Kleinen werden immer häufiger mit dem Auto herumkutschiert, selbst kleine Strecken werden ihnen abgenommen - soviel Bequemlichkeit setzt an. Besser: Radeln Sie mit ihren Kindern, gehen Sie gemeinsam schwimmen! Das spornt die Kinder zu mehr Bewegung an.

Wie sieht die Therapie aus?

Flöhrmann:

Bei Fördekids setzen wir auf Ernährungsberatung und Bewegungsprogramme. Zuerst forschen wir nach den individuellen Ursachen für die Gewichtszunahme. Dann versuchen wir, die Kinder für den Umgang mit Nahrung zu sensibilisieren, ihnen klarzumachen, dass sich eine in fünf Minuten aufgefutterte Tafel Schokolade mit 600 Kilokalorien unweigerlich auf den Hüften niederschlägt. Es geht aber keinesfalls darum, den Kindern Süßes zu verbieten. Wir wollen ihnen vielmehr eine Straßenkarte fürs Schlaraffenland an die Hand geben. Ziel der Therapie ist nicht eine Gewichtsabnahme, wir wollen vor allem die weitere Gewichtszunahme stoppen, denn bei Kindern wachsen sich die überflüssigen Pfunde buchstäblich aus.

Ein praktisches Beispiel bitte: Wie sieht das ideale Pausenbrot aus?

Flöhrmann:

Mir ist klar, dass kaum ein Kind das dunkle, schwer zu kauende Vollkornbrot mag. Aber es gibt ja auch die helleren, feingemahlenen Vollkornbrote. Mit der richtigen Präsentation haben Sie schon die halbe Miete. Machen Sie aus dem Brot ein Sandwich mit einem Salatblatt und einer Gurke dazwischen, dazu eine Scheibe gekochten Schinken oder Käse mit weniger als 45 Prozent Fettanteil in der Trockenmasse. Äpfel und Gemüse am besten in portionsgerechte Stücke schneiden. Und, das ist Kindern wirklich wichtig, die gesunden Sachen getrennt vom Brot aufbewahren. Dann wird's auch gegessen.

Fast jedes zehnte Kind in Schleswig-Holstein wiegt zu wenig. Woran liegt das?

Flöhrmann:

Wenn sich Mütter permanent über ihr Gewicht unterhalten und bei einem Kilo mehr auf den Rippen beinahe in Schockstarre fallen, ihren Kindern mal einen Dinkel-Cracker, aber nie etwas Süßes geben, dann darf man sich nicht wundern, wenn schon Erstklässler so ein Verhalten nachahmen. Im schlimmsten Fall führt das direkt in die Magersucht. Spätestens dann müssen die Kinderärzte übernehmen.

Kontakt Fördekids: Telefon 04102/47 38 27