Klagen von Schulleitern zurückgezogen: GEW will Arbeitskampfrecht nur noch für “einfache“ Beamte durchsetzen

Ahrensburg. Nicht die Häuptlinge, sondern die Indianer sollen es richten: Im Streit um den Lehrerstreik in Schleswig-Holstein ändert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ihre Prozesstaktik. Sie hat die Klagen von Schulleitern zurückgezogen - und durch Klagen "einfacher" Lehrer ersetzt.

Die GEW ist der Ansicht, dass verbeamtete Lehrer durchaus die Arbeit niederlegen dürfen. Die fast 2000 Disziplinarverfahren, die das Bildungsministerium nach dem Streik vor gut einem Jahr eingeleitet hatte, will die Gewerkschaft dazu nutzen, ihre Rechtsauffassung auf dem Klageweg durchzusetzen. Bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte will man sich prozessieren. Die GEW hofft, dort ein beamtenfreundliches Urteil zu bekommen.

Das ist auch weiterhin das Ziel. Aber der Weg ist nun ein anderer. Warum? "Europarechtler haben uns dazu geraten", sagt Bernd Schauer, der GEW-Landesgeschäftsführer. "Das Risiko war zu hoch, dass wir mit unseren Klagen unterliegen." Bei der GEW ist man sich mittlerweile offenbar nicht mehr sicher, dass wirklich alle verbeamteten Lehrer streiken dürfen. In den 15 zunächst eingereichten Klagen ging es nämlich ausschließlich um streikende Mitglieder der Schulleitung, um sogenannte Funktionsträger. Gegen sie hatte das Ministerium Geldbußen in Höhe von maximal 500 Euro verhängt - die höchste Strafe, die in Rahmen dieser Disziplinarverfahren ausgesprochen wird. "Diese Klagen ziehen wir zurück", so Schauer. "Stattdessen konzentrieren wir uns auf Disziplinarverfahren, die mit einem Verweis endeten." Das ist die mildeste Sanktionsform. Sechs Klagen von "einfachen" Lehrern hat die GEW beim Verwaltungsgericht eingereicht.

Dem Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) war die Rolle rückwärts noch nicht bekannt. Er sieht sich aber in seiner Rechtsauffassung bestätigt. "Der kleinmütige Taktikwechsel der GEW zeigt, auf welch dünnem Eis die Kampagne steht", sagte Klug der Abendblatt-Stormarnausgabe.

Der Lehrerstreik im Juni 2010 zog zahlreiche Verwaltungsverfahren nach sich. Am 3. Juni waren landesweit mehrere tausend angestellte und verbeamtete Lehrer auf die Straße gegangen. Grund: Das Ministerium hatte die Pflichtstundenzahl erhöht - ohne Lohnausgleich. Den mit dem Streik verbundenen Unterrichtsausfall mochte das Land nicht hinnehmen. Rund neun Prozent aller verbeamteten Lehrer im Land bekamen die Mitteilung, dass gegen sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei. Eine der größten Disziplinierungsaktionen im Land begann. Zwei Mitarbeiter stellte das Ministerium für diese Aufgabe ab. In Stormarn laufen derzeit noch 166 Disziplinarverfahren, davon die meisten gegen Grund- und Gemeinschaftsschullehrer.

Auch Ferdinand Schütt bekam Post aus Kiel. Der GEW-Vorsitzende im Kreis Herzogtum Lauenburg hatte am 3. Juni an einer Demonstration in Lübeck teilgenommen. Sein Unterricht fiel aus. "Aber kein Schüler war unbeaufsichtigt, ein Kollege hat das übernommen", sagt der 49-Jährige. Anfang Juli bekam er seine Disziplinarverfügung. Die Behörde attestierte ihm ein "Dienstvergehen" und sprach einen Verweis aus. Gemeinsam mit der Gewerkschaft entschloss sich Schütt, vor Gericht zu ziehen. Nun ist er einer der sechs Kläger, die dem Land die Stirn bieten. Dass die GEW die Sache betreibt, ist ihm recht. "Meine Finanzen hätte ich nicht damit belastet", sagt er. Er findet es gut, dass die Streikfrage nun grundsätzlich geklärt wird: "Einfache Lehrer sollten ebenso wie andere Arbeitnehmer streiken dürfen."

Bis der Europäische Gerichtshof darüber entscheidet, ob auch deutsche Beamte ein Streikrecht haben, dürften viele Jahre vergehen. Möglicherweise wächst die Zahl der Kläger auch noch. Denn noch sind längst nicht alle Disziplinarverfahren abgearbeitet. Erst in gut 200 Fällen wurde den Lehrer mitgeteilt, welche Strafe verhängt wurde. "Die restlichen 1782 Disziplinarverfügungen werden wohl im Herbst fertig sein", sagt Thomas Schunck, Sprecher des Bildungsministeriums.

Die sechs Klagen stehen erst am Anfang einer langen Reise durchs Rechtssystem. Vom Verwaltungsgericht Schleswig geht es ans Oberverwaltungsgericht, dann zum Bundesverwaltungsgericht. Erst danach ist das eigentliche Ziel erreichbar - der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Wann wird dort entschieden? "In fünf Jahren, wenn es schnell geht", sagt GEW-Geschäftsführer Bernd Schauer. Vielleicht dauert es aber auch zehn Jahre. Die GEW hat bei der Auswahl der Kläger jedenfalls aufs Alter geachtet. "Da kam schon die Frage, wann ich pensioniert werde", sagt Lehrer Schütt. Das Problem: Wenn der Kläger aus dem Schuldienst ausscheidet, stellt das Gericht das Verfahren ein.