Bank-Geheimnisse: Wir treffen Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Tierverhaltensforscher Hans Hinrich Sambraus

Bargteheide. "Immer mit den Köpfen gegeneinander", sagt Hans Hinrich Sambraus. Der gebürtige Bargteheider kennt sich aus mit tierischen Auseinandersetzungen. 1957 verließ er das Dorf, um in die Welt zu ziehen und eines Tages dem berühmten Verhaltensforscher Konrad Lorenz zu begegnen. Er hat viel gelernt. Auch darüber, wie Streitigkeiten bei Damen aussehen können - bei Damen mit Hörnern wohlgemerkt, die auf vier Hufen aufeinander losgehen. Der Ausgang ist bemerkenswert: Eine dritte Ziege geht dazwischen und trennt die erhitzten Artgenossinnen. "Immer wieder. 15 Mal und noch öfter", sagt Sambraus. Bis der Zickenkrieg vorbei ist.

So gesehen, verkehrt sich das Schimpfwort für Auseinandersetzungen in der zweibeinigen Damenwelt ins Gegenteil. "Dieses Verhalten sagt etwas über die soziale Rangfolge aus. Bei Ziegen herrscht nicht wie bei Böcken das Primat des Stärkeren. Hier wird geschlichtet", sagt Sambraus. Er ist Professor für Tierhaltung und Verhaltenskunde, Doktor für Zoologie und Tierarzt. Er muss es wissen. Die Einkehr friedliebender Vernunft in die Welt der Vierbeiner ist eine der überraschenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die er für sich in Anspruch nehmen kann.

Wie es um männliches Machtgehabe an sich bestellt ist, darüber kann Hans Hinrich Sambraus keine Auskunft geben. Er kümmert sich ausschließlich um tierische Belange: speziell um Kühe und Bullen. Zeitungen betitelten den Bargteheider Jung, der auszog und als Wissenschaftler Karriere machte, schon als "Rinderpapst".

Das hört er nicht gern. Obwohl der etwas flapsige Begriff die Sache ganz gut trifft und auch die Visitenkarte des Professors sein Forschungsfeld auf den ersten Blick offenkundig werden lässt: Braun-Weiß-Gefleckte grasen da auf grünem Grund und wandern samt Adresse und Telefonnummer in Jackett- und Handtaschen. Wer sie später wieder rauszieht, weiß sofort, worum es im Gespräch mit diesem Mann gegangen ist. "Das sind Hinterwälder", sagt Hans Hinrich Sambraus, "eine bedrohte Rasse aus dem Hochschwarzwald, die kleinste in Mitteleuropa."

Er kennt sie alle. 35 Rinderrassen gibt es in Deutschland, 500 weltweit. Das Problem: Es werden immer weniger. "Zurzeit sind in Deutschland 15 Rassen bedroht, weltweit 200", sagt Sambraus, der nicht mit der Mode geht, sondern sich seit Jahrzehnten um das Thema kümmert. 1981 gründete er die "Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen" deren Vorsitzender er lange war. 1994 erschien sein Buch "Gefährdete Nutztierrassen". Und er hat zeitlebens geforscht.

In seiner zoologischen Doktorarbeit untersucht er das Fortpflanzungsverhalten von Rindern. "Es geht um den Vergleich zwischen natürlicher und künstlicher Besamung", sagt Sambraus. Die Ergebnisse lassen sich nicht in zwei Sätzen wiedergeben. Versucht man es dennoch, kommen die folgenden beiden heraus: "Dem Bullen scheint das ziemlich egal zu sein. Und ob die Kuh auf was verzichten muss, ist nicht bekannt", sagt Sambraus und muss über die Schlichtheit dieser Aussage lachen. Entscheidender war die Erkenntnis, dass die Kuh bei künstlicher Befruchtung nur in 65 Prozent der Fälle tragend wird, während die Fruchtbarkeit beim natürlichen Liebesakt auf 80 Prozent steigt. "Aber es geht nicht um dem Spaßfaktor", sagt Sambraus. Und wieder lacht der 75-Jährige, der viel draußen ist, Tiere beobachtet und braun gebrannt einen kernigen Eindruck macht.

Wenn es nicht um Spaß geht, geht es um ernste Dinge: um die Zuchtergebnisse und um die Wirtschaftlichkeit. Bei der künstlichen Besamung werden die Söhne von sehr guten Milchkühen genommen. Und von deren Söhnen auch wieder die besten. Sambraus: "Das Ziel der Landwirte ist, die Leistung zu steigern. Die norddeutschen Schwarzbunten geben am meisten Milch. 50 Liter am Tag, 8700 Liter im Jahr."

Was die Milchbauern erfreut, ist für einen Mann wie Sambraus allerdings nicht unbedingt ein Grund zum Jubel. Das Tier als Hochleistungsmaschine? Das hat für ihn Grenzen. "Die Folge ist, dass die Kühe anfälliger werden. Sie haben mehr Euterleiden, mehr Klauenerkrankungen und mehr Fruchtbarkeitsstörungen, die auch mit Schmerzen verbunden sind", sagt der Wissenschaftler, der nicht bilanzierend daneben steht, sondern eingreift. "Artgerecht" müsse es zugehen, weil die Kreatur nicht leiden solle und weil das zugleich die beste Möglichkeit sei, die Vielfalt zu erhalten.

"Wir haben uns den Tierschutz auf die Fahnen geschrieben", sagt Sambraus, der als Kind mit einem Fernglas durchs Nienwohlder Moor streifte, Vögel beobachtete und seine Liebe zu den Tieren entdeckte. Nun ist er schon lange Mitglied der Internationalen Gesellschaft für Nutztierhaltung. "Das ist eine Gegenbewegung gegen die Intensivhaltung. Wir haben schon einiges erreicht. Die Abschaffung der Käfighaltung für Hühner und die Anbindehaltung von Zuchtsauen", sagt der Mann mit den weißen Haaren.

Aber er weiß am besten, wie mühsam der Weg ist. Zwölf Jahre war Sambraus Vorsitzender der Tierschutzkommission des Bundeslandwirtschaftsministeriums. "Wir nehmen das sehr ernst", bekamen er und seine Mitstreiter oft zu hören. "Es gab Gesetzesentwürfe des Ministeriums und Anhörungen der Kommission. Und zum Schluss? Blieb fast immer alles beim Alten."

Resigniert hat er nicht. Und das lag mit Sicherheit nicht nur daran, dass ihn der Bundespräsident 2008 in Anerkennung seines Tierschutz-Engagements mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande auszeichnete. Die Aufbruchstimmung von einst wäre auch ohne Ehrungen noch da. Der Bargteheider Junge von früher ist noch dran an der Sache. Deswegen schaut er auch immer wieder in Bargteheide vorbei. Denn auf dem Weg zum Tierpark in Warder ist ein Abstecher drin. Der Tierpark ist im Besitz von Greenpeace und hält gefährdete Rassen - zum Beispiel die braun-weiß gefleckten Hinterwälder von der Visitenkarte des "Rinderpapstes". Der Leiter des Tierparks kennt den ausgewiesenen Experten aus Bargteheide und sucht Sambraus' Rat und Wissen.

Mit seinem Professorenleben ist es indes vorbei. Als Sambraus aufhörte, keimte ein Gedanke in ihm auf: Warum nicht München verlassen und wieder nach Bargteheide ziehen? Dorthin, wo sein Vater einen Laden hatte. "Otto Sambraus Eisenwaren" stand über der Tür. An einem schönen Tag im Jahr 1932 bimmelte die Türglocke in der Lindenstraße 3 zum ersten Mal. Dann kam der Krieg, der Vater fiel. "Wir haben nie verstanden, wie er eingezogen werden konnte. Ein Mann mit vier Kindern", sagt Sambraus, noch immer verwirrt über die Ereignisse in den dunklen Zeiten. Seine Mutter zog mit dem Geschäft von der Lindenstraße an den Markt und schmiss den Laden nun ohne ihren Mann. Einzelne Nägel konnte man bei ihr kaufen. So was gibt es nicht mehr. Vorbei auch die Zeit, als Hans Hinrich Sambraus mit dem Schriftsteller Siegfried Lenz, damals auch ein Bargteheider Bengel, im Sportverein des Dorfes war. Und vorbei die Zeit, in der er mit seinen Kameraden von einer Zukunft als Tierarzt träumte. Dieser Traum hat sich mehr als erfüllt: Der berühmte Tierverhaltensforscher Konrad Lorenz wurde sein Doktorvater.

"Lorenz war ein Anhänger der Nazis. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, hat mich ein Leben begleitet", sagt Sambraus mit leiser Stimme. Lorenz veröffentlichte Artikel zu "rassenhygienischen Maßnahmen". Kritiker forderten später, er dürfe den Nobelpreis nicht annehmen. Bis zum Schluss zog er Zorn auf sich. Mit 88 Jahren sagte Lorenz in einem Interview: "Gegen Überbevölkerung hat die Menschheit nichts Vernünftiges unternommen. Man könnte daher eine gewisse Sympathie für Aids bekommen."

Aber auch die Faszination ist geblieben. "Lorenz hat uns als Wissenschaftler imponiert. Die Begriffe Prägung und Schlüsselreiz stammen von ihm. Und als Professor hat er uns begeistert. Er war der erste, bei dem keine strenge Hierarchie im Institut herrschte. Wir durften ausreden. Er ließ alle gelten und hat jeden unterstützt", sagt Sambraus. Und es klingt Stolz heraus, dabei gewesen zu sein.

Der Sohn des Bargteheider Eisenwarenhandels Otto Sambraus ist längst raus aus den Hörsälen, als Student und als Professor. Jetzt wieder zurück in die alte Heimat? Nach 30 Jahren Bayern hat Bargteheide wenig Chancen. Sambraus wird bei Freunden und Tieren im Süden bleiben. "Obwohl ich ein echter Norddeutscher bin und die Bayern bis heute nicht verstehe", sagt er und schmunzelt norddeutsch-kess, als wenn er auch darauf ein bisschen stolz wäre.