Oldesloer Händler gründeten die Vereinigung zu Zeiten der Pest, um die vielen Verstorbenen zu beerdigen. Heute ist sie ein Versicherungsverein

Bad Oldesloe. Es ist das Jahr 1625: In Deutschland wütet der Dreißigjährige Krieg. Auch durch Bad Oldesloe ziehen zahlreiche Truppen. Es kommt zu Verwüstungen, Plünderungen und Morden. Die Pest bricht aus. Viele Oldesloer sterben - zu viele. Die kirchlichen Einrichtungen reichen nicht mehr aus, um alle Toten zu beerdigen. Die Kaufleute wollen helfen. Um zu verhindern, dass sich die Pest weiter ausbreitet, gründen sie die Höker-Totengilde. Mit einem eigenen Pferd und Begräbniswagen kümmern sich die Händler fortan um die Beerdigung der vielen Oldesloer Kriegs- und Pestopfer.

Heute, 386 Jahre später, gibt es die Höker-Totengilde immer noch. "Sie hat all die Jahrhunderte überlebt und ist heute die älteste Vereinigung der Stadt", sagt Michael Koch und fügt stolz hinzu: "Sie ist sogar zwei Jahre älter als unsere Bürgerschützengilde." Koch ist seit 25 Jahren der Gildeschreiber der Vereinigung. Wenn sich die Mitglieder einmal im Jahr am Dienstag nach Pfingsten zu ihrer Generalversammlung treffen, muss er in Reinschrift ins Protokollbuch der Gilde schreiben, was besprochen wird. Am Ende der Sitzung ist es dann seine Aufgabe, das fertige Protokoll vorzulesen.

Das ist eine von drei Traditionen, an der die Mitglieder der Höker-Totengilde bereits seit knapp vier Jahrhunderten festhalten. Die zweite ist, dass sich der Vorstand ausschließlich aus Männern zusammensetzt. Und das, obwohl die Frauen rund die Hälfte der heute 350 Mitglieder stellen. "Über dieses Thema gab es schon viele Diskussionen", sagt der Gilde-Vorsitzende Hartmut Scheibel. Dennoch ist er, genauso wie seine Vorstandskollegen Michael Koch und Jörg Paulsen, fest entschlossen, an dieser Regelung nichts zu ändern. "Das hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern lediglich mit Tradition", sagt Koch und fügt wenig später hinzu: "Wir haben aber eine weibliche Kassenprüferin."

Tradition hat bei der Höker-Totengilde auch die Sitzordnung bei den Generalversammlungen. "Die Frauen nehmen links vom Vorstandstisch aus gesehen Platz, die Männer rechts", sagt Michael Koch. Doch es gab auch Veränderungen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts nehmen die Mitglieder zum Beispiel keine Bestattungen mehr vor. Stattdessen entwickelte sich die Gilde zu einem kleinen Versicherungsverein.

Wer Mitglied werden möchte, darf das 60. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Je nach Beitrittalter und Versicherungssumme muss er anschließend zwischen zehn Cent und 16 Euro pro Monat zahlen. Mit dem 80. Lebensjahr endet die Beitragspflicht. Im Todesfall gewährt die Gilde ihren Mitgliedern ein Sterbegeld von bis zu 3200 Euro. Koch: "Das reicht zwar nicht, um alle Kosten für die Bestattung zu decken, aber es hilft." Für eine ordentliche Beerdigung müsse mit Kosten in Höhe von 5000 bis 6000 Euro gerechnet werden, sagt Paulsen, der selbst Inhaber eines Bestattungsinstituts ist.

Im 17. Jahrhundert, als in Deutschland die Pest wütete, gründeten sich an zahlreichen Orten Totengilden. Doch viele von ihnen sind im Laufe der Jahre wieder verschwunden. "In Schleswig-Holstein gibt es heute noch 15 bis 20 Totengilden, in Stormarn sind wir die einzige", sagt Hartmut Scheibel. Doch auch die Oldesloer haben Nachwuchssorgen. "Die meisten Menschen, die bei uns Mitglied werden, sind mindestens 40 Jahre alt", sagt Paulsen. "Jüngere sind dem Thema Tod und Sterben noch nicht so aufgeschlossen. Für sie ist das alles weit weg." Ähnlich wie beim Rentensystem werde es jedoch auch für die Höker-Totengilde schwierig, wenn es viele alte, aber wenig junge Mitglieder gebe. Koch: "Die Entwicklung macht uns Sorgen. Wir müssen immer öfter Sterbegeld zahlen, aber es kommt zu wenig nach."

Probleme würden der Gilde auch die vielen Regeln bereiten, die sie bei der Aufnahme neuer Mitglieder beachten müssten - wie zum Beispiel die Verwendung eines offiziellen Beitrittformulars. "Das schreckt viele ab", sagt Hartmut Scheibel. "Früher war es lockerer. Da wurde der Eintritt in die Gilde in der Kneipe auf einem Bierdeckel oder einem Zehn-Mark-Schein besiegelt." Heute gehe so etwas nicht mehr. Koch: "Wir unterliegen der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums und müssen denen Jahresberichte und die Protokolle vorlegen."

Viel über die Geschichte der Gilde haben Jörg Paulsen und Michael Koch aus alten Protokollen erfahren. Zeitgeschehen spiegele das wieder, sagt Paulsen. Zwei Jahre lang widmeten sich die Oldesloer der Übersetzung der Protokolle aus den Jahren 1907 bis 1951 aus der deutschen Schrift in die lateinische Ausgangsschrift. Das sei gar nicht so leicht gewesen. Paulsen: "Bei den Sitzungen gab es Braunbier. Der Protokollführer hat mitgetrunken. Zu Beginn war die Schrift noch klar und deutlich, doch dann wurde sie immer unleserlicher."

Dementsprechend lustig lesen sich auch die Protokolle. So heißt es beispielsweise in der Niederschrift aus dem Jahr 1980: "Die Kassenprüfung, die auf Platt vorgetragen wurde, war sehr schnurrig. Die Prüfung wäre schon lange vor Pfingsten abgeschlossen worden, wenn der zweite Prüfer nicht dauernd sein Mittagsschläfchen halten müsste."

Spaß haben die Mitglieder auch heute noch bei ihren Generalversammlungen. "Bei uns ist es nicht so bierernst, wie man es bei einer Totengilde vielleicht erwarten würde", sagt Koch. Freibier für alle, so wie früher, gebe es jedoch heute nicht mehr. Der Gildeschreiber sagt: "Ich trinke erst, wenn ich die Unterschrift unter dem Protokoll habe."