Bank-Geheimnisse: Wir treffen Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Der Ahrensburger Zeitzeuge Harald Düwel.

Das ist eine schwierige Frage." Harald Düwel muss weit ausholen, um zu erklären, ob er schon immer in Stormarn gelebt hat. 1934 wurde der heute 77-Jährige in Wandsbek geboren, der damaligen Kreisstadt Stormarns. Als er drei Jahre alt war, machte das Groß-Hamburg-Gesetz Wandsbek zum Teil der Hansestadt. Und Düwel zum Hamburger. Seit 1965 lebt er in Ahrensburg, mit dem Umzug wurde er wieder zum Stormarner. "Obwohl ich doch eigentlich schon immer einer war", sagt er.

Der Kreis ist seine Heimat, "die Politik hat mich nur zwischenzeitlich umgetopft." Mit 8000 Mark finanzierten Düwel und seine Frau damals ihr Haus. "Ein Freund hatte uns erzählt, das sei genug und dann haben wir das einfach gemacht", sagt Harald Düwel. Mit Erfolg, in dem mittlerweile erweiterten Haus wohnen er und seine Frau noch heute.

Einfach gemacht hat der Ahrensburger in seinem Leben vieles. "Beworben habe ich mich noch nie irgendwo, die Dinge sind immer auf mich zugekommen", erzählt er. Vielen Stormarnern ist Harald Düwel als Stadtverordneter, Fraktionsvorsitzender der SPD und stellvertretender Bürgermeister bekannt. Nur wenige wissen, wie und wann er zu diesen Ämtern gekommen ist. "Nachdem ich pensioniert wurde, war mir langweilig", erinnert der Ahrensburger sich. Er habe dann bei der Partei "leichtfertigerweise" angefragt, ob vielleicht ein kleiner Posten zu vergeben sei.

Das war 1996. Einen kleinen Posten hatte die SPD nicht zu vergeben, dafür viele große. Düwel: "So hatte ich nach über 30 Berufsjahren wieder einen Vollzeit-Job." Nach einigen Jahren war es dann aber - wie immer in seinem Leben - Zeit für "etwas Neues". Im Anschluss an seine politische Karriere hat er sein Leben verschriftlicht: das 500 Seiten dicke Buch ist nur für seine Familie gedacht. Ihm selbst hat das Aufschreiben geholfen, grundlegende Erkenntnisse über sein Leben in einer "außerordentlich wechselhaften Zeit" zu gewinnen.

Nach dem Krieg begann Düwels ereignisreiches Berufsleben. Aus der Not heraus absolvierte er 1953 nach der Schule eine Ausbildung zum Buchhändler. "Ich wollte eigentlich Ingenieur werden." Aber Lehrstellen gab es nach dem Krieg nicht, bis auf eine: Die bei der Thalia-Buchhandlung in Hamburg. Zwei Jahre lang lernte Harald Düwel dort, das sei eine "ganz wichtige Entwicklungsstufe" gewesen. "Mein Leben lang bin ich nicht abgehoben, weil ich dieses Fundament hatte", sagt Düwel heute. Staub habe er gewischt und für den Hund der Prokuristin in einem Einmachglas die Essensreste aus dem Lokal nebenan geholt. "Und dabei gehörte ich doch zu den drei Prozent, die Abitur gemachte hatten, war so stolz auf mich", sagt der 77-Jährige und muss bei der Erinnerung lachen.

Nach der Lehre machte der Rowohlt Verlag ihm ein Jobangebot. Aber dann wollte der Abiturient endlich studieren. In Hamburg begann er ein BWL-Studium, wurde anschließend Reedereikaufmann bei Hapag. Aber auch da war es ihm nach einiger Zeit nicht mehr spannend genug. "Dann habe ich noch drei Semester Wirtschaftspädagogik studiert und wurde Lehrer an beruflichen Schulen." Er war Dozent für Bibliothekswesen an Fachhochschulen, später arbeitete er bis zu seiner Pensionierung als Oberschulrat der Hamburger Schulbehörde.

Als besonders spannend ist Harald Düwel seine Studienzeit in Erinnerung geblieben. Der Ahrensburger war Vorsitzender des Internationalen Studentenbundes, engagierte sich in der Europabewegung. "Das Tolle war die Internationalität", erinnert er sich. "Wir hatten Partner in Spanien, Frankreich und Italien." Die Studenten hätten einen gemeinsamen Weg für Europa gesucht. "Auf einmal waren wir keine Feinde mehr, sondern Freunde. Die Software in unseren Köpfen wurde umgekehrt." Er habe die Emotionalität dieser Zeit bis heute in Erinnerung. 1957 leitete er eine Rundreise an polnische Universitäten. Als der Direktor der Hamburger Uni ihn fragte, ob er bereit sei, den eisernen Vorhang zu übertreten, musste er erst einmal schlucken. "Aber dann war es ein wahnsinniges Erlebnis", erzählt Düwel. Spontan habe er einen Vortrag vor 200 polnischen Studenten gehalten. "Zum Glück konnten die alle Deutsch." Nach dem Krieg habe es so ausgesehen, als hätte man als junger Mensch keine Zukunft. "Und plötzlich konnten wir aktiv an unserer Zukunft mitwirken", berichtet Düwel "Es war eine Zeit des Aufbruchs."

Eine wichtige Erfahrung für jemanden, der als Kind in einer "wahnsinnig schwierigen, kaputten Zeit" gelebt hat. Als 1934 Geborener gehört Düwel zu den immer weniger werdenden Menschen, die aus eigener Anschauung über den Nationalsozialismus berichten können. "Die Jüngeren haben einfach nicht mehr genug Erinnerungen", so Düwel. Deshalb ist ihm sein Engagement in der Gruppe der Ahrensburger Zeitzeugen so wichtig.

"Wir gehen in Schulklassen und berichten aus unserem Erleben in der Zeit des Nationalsozialismus." Zuletzt hat er eine 8. Klasse des Schulzentrums Am Heimgarten in Ahrensburg besucht. "Die Schüler stellen ganz interessante Fragen, wollen konkret wissen: Wie fühlt man sich im Bunker beim Bombenangriff?" Der damals zehn Jahre alte Düwel saß aber längst nicht bei jedem Bombenangriff im Luftschutzkeller. Als Hitlerjunge hatte er Meldedienst, fuhr während der Luftangriffe mit dem Fahrrad durch die Stadt und überbrachte Nachrichten. "Dieser Dienst war auch wichtiger als die Schule", berichtet Düwel den Kindern dann. Auch die Großangriffe auf Hamburg 1943 hat der Ahrensburger miterlebt. "Es wurde einfach nicht mehr Tag", erinnert er sich.

Die Schüler wollen auch von den Zeitzeugen wissen, wie diese ihre Eltern während des Nationalsozialismus erlebt haben. "Wir erzählen ihnen dann davon, dass die Verunsicherung unserer Eltern das Schlimmste für uns Kinder war", sagt Düwel. Das Fundament seines Lebens habe gewackelt, als er seine Eltern einmal überraschte, als sie Radio London hörten. "Als ordentlicher Hitlerjunge stand ich ja in der Pflicht, sie zu melden, aber natürlich konnte ich das nicht machen." Von dieser für ihn schrecklichen Situation berichtet der Zeitzeuge den Kindern. "Auch wir haben gespielt und hatten Spaß, aber Kinder waren wir nicht, eine richtige Kindheit gab es damals nicht."

Das Kriegsende hat Düwel dann bei Bekannten in Bargteheide erlebt. Als Hitler befohlen hatte, Hamburg zu verteidigen, hatten diese der Familie Asyl gewährt. "Wir wussten, dass Hamburg nach diesem Befehl vermutlich in Schutt und Asche gelegt wird." Genau erinnert der 77-Jährige sich an den Moment, als die Familie die Nachricht von Hitlers Tod erhielt. "Wir saßen im Bunker und eine Frau kam herein und rief: 'Heil! Hitler, der Hund, ist tot.'" Um eventuelle Spitzel zu täuschen, änderte die Frau die Betonung so, dass er verstand, Hitlers Hund sei tot. Heute kann er bei der Erinnerung lachen: "Alle Erwachsenen wussten natürlich, was passiert war."

Wenn Harald Düwel diese Episoden erzählt, ist ihm die Aufmerksamkeit der Kinder und auch der Lehrer gewiss: "Von uns Zeitzeugen können sie ganz andere Dinge erfahren als aus dem Lehrbuch."

Doch nicht nur der Dialog mit der Jugend ist Düwel wichtig. Gerade hat er für das Kulturzentrum Marstall das neue Konzept der "Philosophie im Stall" mitentwickelt, Nach den Sommerferien beginnt das Programm. "Dort diskutieren wir Themen des Alltagslebens wie Liebe oder Zeit auf philosophischer Ebene."

Harald Düwel wird zu diesen Gesprächen viel beizutragen haben. Er blickt auf ein bewegtes, ereignisreiches Leben zurück und wird auch nicht müde, sich zu engagieren, um andere von seinen Erfahrungen profitieren zu lassen. Die Qualität seines Lebens sei von Negativem genauso wie von Positivem geprägt worden. Düwel: "Ich habe in der Zeit des kompletten Zusammenbruchs und Wiederaufbaus Europas gelebt." Er sei dankbar, dass er den durch die Gesellschaft ermöglichten Umschwung erleben durfte. "Ich möchte etwas zurückgeben, indem ich mich engagiere," sagt er. "Trotz der staatlichen Grausamkeiten: Mein Leben war und ist wunderbar."

Die Frage, warum er das alles mache, sich auch nach seiner Pensionierung noch ehrenamtlich einsetze, ist schnell beantwortet: "Dankbarkeit. Das ist eine ganz einfache Frage."