Vor einem Jahr wurde die junge Bargteheiderin entführt und vergewaltigt. Sie leidet bis heute unter den Folgen der Tat und will ihr Trauma bekämpfen

Bargteheide. Sie wurde entführt, missbraucht und schwer misshandelt: Jetzt, ein Jahr nach der grausigen Tat, hat Anne aus Bargteheide die Kraft gefunden, über ihr Martyrium zu sprechen.

Es war der 20. Juni 2010, als die 26-Jährige mit dem Zug aus Schwerin kam und am Bargteheider Bahnhof von Andreas K. entführt und in sein Haus in Tangstedt verschleppt wurde. Sieben Tage war sie in seiner Gewalt, wurde von dem 49-Jährigen vergewaltigt und gefoltert. Am 27. Juni ließ er die Arzthelferin nahe ihres Elternhauses frei. Ihr Peiniger beging wenige Tage später Selbstmord.

Anne lebt. Besser: Sie überlebt. Und sie versucht seitdem, mit der grausamen Tat zurechtzukommen, wie sie der "Bild"-Zeitung erzählt. Ihr Opferbeistand, Thomas Kämmer, berichtet im Gespräch mit der Stormarn-Ausgabe des Abendblatts: "Anne wohnt derzeit bei ihrer Schwester Elina in einem Dorf nahe Schwerin. Bis heute ist sie nicht in der Lage, allein vor die Tür zu gehen. Sie hat vor allem vor fremden Männern panische Angst und fürchtet, dass ihr dasselbe noch einmal passiert." Nur mit Begleitung verlasse sie das Haus. Ihre Schwester sowie mehrere enge Freundinnen seien für sie da. "Das sind wirklich moderne Heldinnen." Bei ihrem Vater in Bargteheide lebte die 26-Jährige zeitweise, doch die Erinnerungen an die Tat holten sie dort immer wieder ein. Sie will nicht mehr zurück. "Mit ihrer besten Freundin würde sie gerne eine WG gründen, am liebsten in Hamburg." Der Opferbeistand meint, ein Stabilisierungsaufenthalt täte ihr gut. Anne möchte gerne mit einer Freundin nach Spanien verreisen. Ihr Traum: Barcelona. Ein selbstständiges Leben und eine Rückkehr zur Normalität seien Aspekte, die den Heilungsverlauf der 26-Jährigen verbessern würden. Anne kann nicht mehr mit Bus oder Bahn fahren. "Öffentliche Verkehrsmittel sind für sie ein Albtraum", so Kämmer. Um trotzdem mobil zu sein, möchte die junge Frau den Führerschein machen. Wichtigste Voraussetzung für all diese Schritte zurück ins Leben sei eine stabile finanzielle Basis. Nur das könne der traumatisierten Frau die Ruhe und Sicherheit geben, ihre Erlebnisse schrittweise zu verarbeiten.

Doch im Moment gibt es diese Basis für Anne nicht. Seit dem Verbrechen ist sie arbeitsunfähig, sagt ihr Opferbeistand. Sie lebt von Krankengeld. Das Schlimmste: Auch das läuft Ende des Jahres aus. Dann stehen ihr lediglich die sogenannten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, kurz Hartz IV, zu. Besondere therapeutische Maßnahmen kann sich die 26-Jährige davon nicht leisten, obwohl sie diese dringend braucht. Zwar zahlt die Krankenkasse die Behandlung bei der Traumatherapeutin, zu der die 26-Jährige seit Spätsommer etwa einmal pro Woche geht. Bei der Schwere der Traumatisierung ist das jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie Thomas Kämmer sagt, sei es ihr sehnlichster Wunsch, im Kreise von Freunden und Familie, den Weg zurück ins Leben zu finden.

Damit sich Annes Träume erfüllen, haben ihre Freundinnen für sie ein Spendenkonto eingerichtet (Hamburger Sparkasse, Inhaberin: Anne Hondelmann, Kontonummer 1354905877, Bankleitzahl: 20050550).

Opferbeistand Thomas Kämmer betont: "Ihr Peiniger hat Anne nicht komplett zerstört." Sie sehe es als Geschenk und Chance, dass sie am Leben gelassen worden ist - von einem Mann, der auch ein Mörder war. Dies hatte ein DNA-Abgleich ergeben, der nach dem Tod von Andreas K. durchgeführt wurde. Dieser identifizierte K. als Mörder von Gabriele E, die vor 26 Jahren nach einem Discobesuch nicht mehr nach Hause gekommen war.

Als die damals 26 Jahre alte Hamburgerin am 28. Dezember 1985 gegen 6 Uhr morgens aus ihrem grünen Polo steigt und zur Haustür gehen will, wird sie von Andreas K. überwältigt und in sein Auto gezerrt. Später vergewaltigt und ermordet er sie. Ein Jäger findet Gabriele E.'s Leiche später auf einem Acker. Auf ihren Körper ist 42-Mal mit einem Messer eingestochen worden.

Der Brutalität von Andreas K. war auch Anne ausgesetzt. Im Gespräch mit der Bild-Zeitung berichtet sie, dass Andreas H. sie an sein Bett fesselte. Damit sie nicht fliehen konnte, sperrte er sie in eine Holzkiste, wenn er das Haus verließ. Opferbeistand Kämmer äußert sich zu den Misshandlungen nur vage. Doch bei der Schwere der Folterungen sei es Anne selbst unklar gewesen, ob sie das überlebt. Kämmer betont: Trotz rohester Gewalt, die der Täter tagelang auf sie ausgeübt hat, habe es Anne mit riesiger mentaler Kraft geschafft, bei dem Täter Sympathie und Mitleid zu erzeugen. "Sie hat ihn überlistet", sagt Thomas Kämmer. Dadurch habe sie überlebt.

"Anne hat einen gefestigten Charakter und eine stabile Persönlichkeitsstruktur", sagt Kämmer. Er sieht daher gute Chancen, dass sich Anne unter den richtigen Bedingungen aus diesem Trauma befreien kann.