Auch wer nicht mit dem Darmbakterium infiziert ist, kann ihm nicht entgehen - zumindest gedanklich. Die Sorge bestimmt unseren Alltag

Die Zahl der EHEC-Infektionen steigt nach wie vor täglich - bundesweit, in Schleswig-Holstein, im Kreis Stormarn. Auch wer nicht erkrankt ist, kommt an dem Darmbakterium nicht vorbei. Die Sorge vor einer Ansteckung ist omnipräsent, in unseren Gedanken. Wohl kaum eine der großen Krankheitswellen der letzten Jahre hat so weitreichende Auswirkungen auf den Alltag. Die Redaktion der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn hat einige Beispiele dafür zusammengetragen.

Den Keim zum Gärtner machen

Neben den vielen Problemen, die EHEC in unser Leben brachte, gibt es auch Gutes: Ich zum Beispiel habe so meinen grünen Daumen entdeckt. Keine Gurken, Tomaten oder Salat mehr auf dem Speiseplan zu haben, war für mich undenkbar. Also kaufte ich mir auf dem Ahrensburger Wochenmarkt Jungpflanzen kanarischer Tomaten und Stauden Delikatess-Gurken, Salatsamen nahm ich auch gleich mit. Auf meiner zehn Quadratmeter großen Terrasse trohnt jetzt ein stattliches Gemüsebeet. Dies düngte und goss ich wie einen wertvollen Schatz. Bald darauf gab es die erste Ernte. Als der Gurkensalat aus eigener Zucht auf dem Tisch stand, war ich stolz und konnte wieder sorgenfrei Grünzeug schlemmen.

Der EHEC-Filter für die Handtasche

Steril oder nicht steril. Das ist zurzeit die wichtigste Frage im Alltag. Ich betrachte meine Umwelt durch den EHEC-Filter. Jede Türklinke ist ein potenzieller Feind, jeder Gang auf eine öffentliche Toilette wie russisches Roulette. Diese Krankheit hinterlässt Spuren, auch wenn man sie nicht hat. Zweifel nagen an mir und ich frage mich ständig: Was kann ich machen, um meine Familie und mich vor Ansteckung zu schützen? Neulich ging ich in die Apotheke, um Desinfektionsmittel für die Hände zu kaufen. Die ganze Familie wollte ich versorgen, hörte aber immer wieder "Leider ausverkauft." Es ging also noch vielen anderen Menschen wie mir. Letztlich ergatterte ich in drei verschiedenen Apotheken die letzten handtaschentauglichen Sterilium-Fläschchen und konnte etwas beruhigter wieder nach Hause fahren.

Salatbeilagen, überall Salatbeilagen!

Ein überschaubares Risiko, dachte ich, als das Robert-Koch-Institut vor dem Verzehr von Blattsalat, Gurken und rohen Tomaten warnte. Dann eben keinen Salat in der Mittagspause. Doch tatsächlich sind die kritischen Gemüsesorten nahezu überall in unserem gesundheitsbewussten Alltag. Ein belegtes Brötchen beim Bäcker kommt schon lange nicht mehr ohne die nun möglichen Bakterienüberträger aus. Vom warmen, aber weniger ernährungsbewussten Snack auf die Hand, wie Döner oder Burger, ganz zu schweigen. Und jedes Fleisch- oder Fischgericht wird mir im Restaurant mit grüner Begleitung auf dem Teller serviert. Doch das Motto "Das Auge isst mit" wandelt sich bei mir nun in "Die Angst isst mit". Was bleibt noch für die Mittagspause? Currywurst mit Pommes. Na, dann Mahlzeit.

Eine mögliche Lösung: Gurkenschnaps

Lebensmittel darf man nicht wegwerfen, sagt meine Großmutter. Und deshalb habe ich mir eine Lösung für die Gurken überlegt, die wegen EHEC im Biomüll landen: Gurkenschnaps. Könnte ich den selbst brennen, müsste ich nicht mal auf den Geschmack verzichten. Denn: "Er schmeckt sogar nach Gurke", sagt jemand, der es wissen muss: Gerald Heintze. Er lässt den Schnaps in einem Spezialverfahren herstellen. Aus Gurken wird Gurkengeist und der wird dann zu 42-prozentigem Schnaps heruntergemischt. Die Bakterien müssten beim Verfahren abgetötet werden. Ein Problem: Das Verfahren ist teuer. Noch ein Problem: Ich bin nicht sicher, ob meine Großmutter es nicht doch besser findet, die noch vorhandenen Gurken wegzuschmeißen. Denn die Alternative ist, dass ihre Enkelin morgens zum Käsebrötchen Schnaps statt Gurkenscheiben konsumiert.

Mit gutem Gewissen Fastfood essen

Vor EHEC war es schwierig zu sagen: "Ich finde Fastfood lecker". Diese Aussage stieß häufig auf mehr oder weniger offen dargelegte Ablehnung. Schließlich will man ja gesund leben. Das Argument "Heidi Klum isst auch bei McDonalds" fand ebenfalls selten Anklang. Die Glaubwürdigkeit dieses Satzes steht zugegebenermaßen auch zur Diskussion. Dank EHEC stehen nun immer mehr Menschen voller Selbstbewusstsein zu ihrem Geschmack. Man muss noch nicht mal so tun, als wäre der leckere Salat der eigentlich Grund, zu McDonald's zu gehen. Schließlich lauert da ja gerade die Gefahr. Weiß ja inzwischen jeder. Voller Gesundheitsbewusstsein sagt man jetzt: "Einmal ohne Tomaten, bitte!" - und fühlt sich dabei wie im Bioladen.

Die Gurken im Supermarkt bleiben liegen

Zwischen all den Salatköpfen mit den vielen Salatblättern klebt ein Blatt. Ein Blatt Papier. "Aktuelles im Einzelnen" steht oben drauf. Schöne Überschrift, denke ich, aber worum geht's? Und was hat dieses Aktuelle im Einzelnen an der Gemüsetheke eines Supermarkts zu suchen? Ich rücke näher ran ans Blatt. Gar nicht so einfach, wenn man eigentlich Salatblätter meiden will - wegen EHEC. Aber auch das Blatt Papier, merke ich jetzt, hat mit EHEC zu tun. Denn die Supermarktkette will uns die Angst vor einer Infektion nehmen. Seit dem 11. Mai vertreibe man nur "holländische Bio- und konventionell angebaute Gurken", heißt es. Und weiter: "Darüber hinaus haben uns unsere Lieferanten bestätigt, dass spanische Gurken in frischen Salatzubereitungen nicht verarbeitet werden." Die gut gefüllten Kisten mit Gurken beweisen, dass die Verbraucher wenig Zutrauen in diese Zeilen haben. Ich mache ein Foto. "Ist das jetzt ein Beweisfoto oder was", zischt hinter mir eine Verkäuferin - und geht kopfschüttelnd davon.

Nein, mein Gemüse ess' ich so nicht!

Bisher lebten die Vegetarier trotz aller Lebensmittelskandale recht unbehelligt und konnten sich entspannt zurücklehnen. Doch nun scheint alles anders. Seit einigen Tagen ist im Obst- und Gemüselager meiner sich vitaminreich ernährenden Wohngemeinschaft ungewöhnlich viel Platz. Türmen sich sonst Salat, Gurken und Tomaten in der großen Schale auf dem Kühlschrank, liegen da nun lediglich noch ein paar Tomaten. Und diese werden nicht wie sonst frisch mit Mozzarella garniert - nein, sie werden nun zu Tode gekocht. Rohkost? Gestrichen! Nichts knackt mehr zwischen den Zähnen, selbst die Möhren werden dicker gehäutet als sonst, ehe sie im Topf landen. Hoffentlich ist die Ursache bald gefunden. Denn so ess' ich mein Gemüse nicht - nicht roh.