Irmhild Obinata ist wegen der Katastrophe in Japan mit drei Kindern nach Stormarn zurückgekehrt. Ihr Mann und die älteste Tochter sollen folgen.

Barsbüttel. Sie sind vor der radioaktiven Belastung in Japan nach Stormarn geflohen. Irmhild Obinata und ihre drei Kinder müssen in Willinghusen völlig neu anfangen. Die Englischlehrerin sucht nun vor allem Arbeit, damit auch ihr Mann und ihre ältere Tochter nach Deutschland kommen können.

Als in Japan am 11. März die Erde bebte, war Irmhild Obinata gerade im Bad. Ihr Haus in der 160 000-Einwohner-Stadt Ueda bei Nagano zitterte und schwankte, trug aber nur ein paar Risse davon. Doch die Erleichterung über den glimpflichen Ausgang währte nur kurz - schon am nächsten Tag gab es die ersten Schreckensnachrichten aus dem 200 Kilometer entfernten Fukushima.

"Als die Hülle des ersten Atomreaktors explodierte, haben sie in den Nachrichten noch gesagt, dass das absichtlich gemacht wurde, um den Druck abzulassen", erzählt die 49-Jährige. Da war in den deutschen Medien schon anderes zu hören. Irmhild Obinatas Schwester, die in der Schweiz lebt, riet ihr, Japan schnellstens zu verlassen. Auch ein Bekannter aus Österreich wollte so schnell wie möglich raus aus dem Land. Und auch die vierfache Mutter machte sich große Sorgen. Sie wollte nicht abwarten, bis das unsichtbare Gift auch ihren Wohnort erreichen würde. "Ich habe die Leute gesehen, wie sie so fröhlich durch die Straßen gingen, und nur gedacht: So wird es nie wieder sein."

Aus dem Reisebüro, in dem sie für die Familie Flugtickets nach Deutschland kaufen wollte, rief sie ihren Mann Takashi an, der als Leiter des Tourismusbüros in Sugadaira, einem Feriengebiet bei Nagano, arbeitet. Doch der wollte nicht mit. Er habe Angst, seine Arbeit zu verlieren, sagte er. Und es sei doch gar nicht so schlimm. "Er glaubt, er muss dort bleiben, weil er seine Mitmenschen nicht im Stich lassen will", sagt Irmhild Obinata. Auch ihre 16 Jahre alte Tochter Amy, die gerade die Aufnahmeprüfung an der Highschool bestanden hatte, wollte beim Vater bleiben. So verließ die verängstigte Mutter vier Tage nach dem Beben nur mit den drei jüngsten Kindern ihr Heim in Japan.

In Deutschland angekommen, geriet sie anfangs schon völlig durcheinander, als es regnete. "Ich dachte, ich darf nicht hinaus." Als sie ihr Elternhaus in Willinghusen betreten wollte, wartete der nächste Schock. Ihre Tante, die dort in zwei Zimmern ein Wohnrecht hat, hatte offenbar die Schlösser auswechseln lassen und wollte sie zunächst nicht hineinlassen. Der Betreuer der alten Dame forderte ein Gesundheitsattest als Nachweis, dass die Familie aus Japan nicht verstrahlt sei. "In dem Moment war ich sehr verzweifelt", sagt Irmhild Obinata.

Doch sie gab nicht auf und zog mit ihren Kindern wieder in das Elternhaus, das Platz für alle bot. Zwar ist vieles renovierungsbedürftig und der Garten völlig verwildert, aber sie haben ein Dach über dem Kopf. Hilfe kommt von alten Schulfreundinnen und den Eltern von Mitschülern der Kinder. Die Grundschule in Willinghusen spendete zum Beispiel 500 Euro - die Einnahmen aus der Projektwoche "Ferne Länder". Die Spende hat sie tief berührt. "Wir wollen das Geld und die Liebe, mit der es uns gegeben wurde, würdigen und es für wirklich wichtige Sachen verwenden", sagt sie dankbar.

Die Kinder Kai, 14, und Kalina, 7, stürmen herein. Sie sind hungrig und fragen auf Japanisch nach etwas Essbarem. Irmhild Obinata antwortet meistens auf Deutsch oder Englisch und nur manchmal auf Japanisch. "Ich hätte mit ihnen mehr Deutsch sprechen sollen", sagt die zierliche Frau, die in Willinghusen aufgewachsen ist. Nach dem Schulabschluss ging sie nach England und lebte anschließend 15 Jahre in den USA, wo sie auch ihren jetzigen Mann Takashi kennenlernte.

Seit 1995 lebte die Familie in Japan. Sie hat dort als Englischlehrerin gearbeitet und würde das auch in Deutschland gerne wieder tun. Um über die Runden zu kommen, hat sie erst einmal Hartz IV beantragt. Wenn sie jetzt mit ihrem Mann telefoniert, hat sie das Gefühl, er würde nachkommen, wenn sie Arbeit fände. "Wenn ich uns hier etwas Stabiles schaffen würde." Ihr Sohn und seine elfjährige Schwester besuchen seit kurzem die Sönke-Nissen-Schule in Glinde. Kai, der in Japan in die achte Klasse der Junior-Highschool ging, ist in der siebten Klasse, seine jüngere Schwester Maya in der fünften. Für die Sönke-Nissen Schule haben sie sich entschieden, weil sie Deutsch als Zielsprache anbietet.

Die siebenjährige Kalina besucht die Willinghusener Grundschule, die sie schon aus dem vergangenen Jahr kennt. Irmhild Obinata lebte drei Monate in Barsbüttel, nachdem ihre Mutter im September gestorben war. Kalina lernt die deutsche Sprache am schnellsten, aber auch Kai und Maya haben sich eingelebt und schon Freunde gefunden. Die Elfjährige war gerade zum ersten Mal mit dem Rad bei einer Freundin in Glinde. Das Fahrradfahren mache den Kindern besonders viel Spaß, sagt die Mutter. In den steilen, japanischen Alpen sei das nicht so gut möglich gewesen. Sonnabends gehen die Kinder zusätzlich auf die Japanische Schule in Halstenbek. Fast zwei Stunden brauchen sie für den Weg dorthin und noch einmal so lange zurück.

Irmhild Obinata vermisst ihr schönes Haus, die Berge, ihren Hund - einen Border Collie - und die Pferde, die sie auf einem Hof in der Nähe geritten hat. Doch sie hat sich für ihr Geburtsland entschieden und möchte nicht wieder zurück nach Japan. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich immer Angst haben muss, ob ich weiter die Luft atmen und das Wasser trinken kann."

Mit dem Entrümpeln ihres Elternhauses ist sie fast fertig. Ein paar neue Möbel hat sie sich aus den Sozialkaufhäusern in Ahrensburg und Hamburg besorgt. Wenn sie eine Arbeitsstelle findet, will sie zuerst die Küche und das Bad renovieren. Sie ist guten Mutes: "Aus Nichts etwas zu machen, ist auch reizvoll."

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