0,99-prozentige Erhöhung deckt nicht mal die Inflationsrate. Experten sprechen von “katastrophaler Entwicklung“

Ahrensburg. Bald bekommt er mehr Rente, das hat das Bundeskabinett beschlossen. Und Rolf Heitmann, der Rentner, der weiß nun gar nicht, ob er angesichts dieser Nachricht lachen oder besser weinen soll. Der 63-Jährige entscheidet kurzerhand, dass Sarkasmus eine angemessene Reaktion ist. "Neun Euro im Monat mehr. Mal schauen, was ich mir jetzt alles davon kaufe."

Rolf Heitmann ist einer von 48 405 Rentnern in Stormarn, deren Altersbezüge am 1. Juli angehoben werden sollen - um 0,99 Prozent. Die Freude über dieses Plus auf dem Papier fällt angesichts einer Inflationsrate von derzeit mehr als zwei Prozent allerdings verhalten aus. Nicht nur bei Rolf Heitmann. Experten wie Guido Bauer vom Sozialverband Deutschland (SoVD) sind sogar besorgt. Bauer spricht von einer "faktischen Rentenkürzung". "Das ist eine katastrophale Entwicklung", sagt er, "dieser Weg führt langfristig in die Altersarmut."

Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein da. Auch die Worte des Kreisvorsitzenden der Senioren-Union, Hubert Priemel, klingen alles andere als optimistisch. "Das ist nicht mal ein Nullsummenspiel, das bedeutet einen massiven Kaufkraftverlust", sagt er. Einen Kaufkraftverlust, der 22 Prozent der Stormarner Bevölkerung betrifft. So hoch ist der Anteil der Rentner im Kreis. Dass sie es eines Tages wieder besser haben werden, mag Priemel nicht so recht glauben. Er sagt: "Es kann eigentlich nur schlechter werden."

Der hässliche Begriff Altersarmut macht die Runde. Sie könnte auch in einem reichen Kreis wie Stormarn zum Problem werden. Kreissozialamtsleiter Volker Scharfenberg beobachtet, dass immer mehr ältere Menschen nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. "Ihre Renten sind schlicht nicht so hoch, als dass sie davon leben könnten", sagt er. Dann kommen sie in die Sozialämter und beantragen die sogenannte Grundsicherung. 364 Euro beträgt der Regelsatz. Das entspricht exakt Hartz IV. Hinzu kommen Kosten für die Miete, die zwischen 358 Euro für einen Alleinstehenden (435 Euro für Paare) im Norden des Kreises und 385 Euro (468 Euro) im teureren Süden variieren.

1151 Rentner in Stormarn beziehen nach Scharfenbergs Worten diese Grundsicherung, Tendenz steigend. "2005 waren es 887, seitdem sind es jedes Jahr mehr geworden", sagt der Mann vom Sozialamt. Er geht davon aus, dass die Zahlen in Zukunft noch weiter in die Höhe klettern werden. Guido Bauer vom SoVD teilt diese Einschätzung. Er sagt: "Mittlerweile haben viele ältere Arbeitnehmer gebrochene Erwerbstätigenbiografien."

Am Ende kommt oft das böse Erwachen. Martin Münstermann, Rentenberater aus Rümpel, erlebt es immer wieder. "Jeder zweite meiner Klienten ist entsetzt, wenn ich ihm ausrechne, wie wenig Rente er bekommen wird." Studien belegten, dass sogar 80 Prozent aller Berufstätigen auf der Schwelle zum Rentenalter ihre Ansprüche falsch einschätzten, sagt Münstermann. Die Durchschnittsrente in Stormarn liege bei 1100 Euro für Männer und 700 Euro für Frauen.

Rolf Heitmann weiß, wie es sich anfühlt, von einem Tag auf den anderen viel Freizeit zu haben, in der er nur wenig Geld ausgeben kann. Der pensionierte Landmaschinenmechaniker sitzt im Wohnzimmer seines winzigen Siedlungshauses am Oldesloer Stadtrand, blättert im dicken Leitz-Ordner voller Rentenpapiere und rechnet. Früher, da habe er 1800 Euro netto verdient. Dann ein Unfall, ein gebrochener Rückenwirbel, Erwerbsunfähigkeit mit 56 Jahren. "Jetzt bekomme ich 912 Euro. Und sechs Cent", sagt er. Nach Abzug der festen Kosten blieben noch 300 bis 400 Euro im Monat übrig. Davon leben sie zu zweit, bezahlen Lebensmittel, Benzin fürs Auto. Für viel mehr reicht das Geld nicht. Luxus? "Hin und wieder fahren wir mit dem Wohnwagen auf den Campingplatz", sagt Heitmann.

Zur selben Zeit im Ahrensburger Peter-Rantzau-Haus. Im Café des Seniorentreffs sitzt eine Damenrunde, sechs Frauen, die an diesem Tag nur ein Thema haben: die Rentenerhöhung. Marga Karsten, 83, ist eine von ihnen. Ihr Mann, Gärtner bei der Stadt, starb vor 25 Jahren. Sie bekommt "etwa 870" Euro Witwenrente. "472 Euro kostet die Miete", sagt Karsten, "da bleibt nicht viel übrig. Reisen ist nicht mehr drin, das Auto habe ich abgeschafft, größere Anschaffungen kann ich mir nicht leisten, ans Sparen ist erst recht nicht zu denken." Welchen Luxus sie sich gönnt? "Das da hin und wieder", sagt sie und deutet auf den Tisch vor sich. Ein Stück Blechkuchen und ein Kännchen Kaffee für 1,90 Euro.

Es sind zwei durchschnittliche Beispiele, die dennoch nicht repräsentativ sind. Hubert Priemel von der Senioren-Union berichtet von Rentnern, die trotz geringer Alterseinkünfte gut über die Runden kämen. "Das sind jene, die in ihren eigenen Häusern leben", sagt er. Und fügt hinzu: "Ich kann heute nur jedem jüngeren Menschen raten, privat vorzusorgen."

"Neun Euro", murmelt Rolf Heitmann. Er muss immer noch grinsen. "Aber arm", sagt er, ganz ohne Sarkasmus "arm sind wir nicht. Es gibt wirklich ganz viele Menschen, die noch viel, viel weniger haben als wir."