Die 85 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Ahrensburger Tafel transportieren und verteilen etwa 400 Tonnen Lebensmittel im Jahr

Ahrensburg. Bernd Linde, zweiter Vorsitzender der Ahrensburger Tafel, hat den Tag genau geplant. "Zuerst holen wir an vier Stellen Ware ab, dann fahren wir zur Ausgabestelle und bereiten alles vor, ab 14 Uhr wird ausgeteilt. Das wird 'ne lange Tour", sagt er zu mir. Ich sitze auf dem Beifahrersitz im weißen Kleintransporter, die Morgensonne wärmt durch die Scheiben. In das Geräusch des startenden Motors summe ich ein zustimmendes "Okay". Die Uhr zeigt 9.33 Uhr.

Wir halten vor der Warenannahme eines Supermarktes in Hamburg-Farmsen. Neben uns hat Pedro Lopes einen der beiden Kühltransporter der Tafel geparkt. Wie die meisten Fahrer macht er eine Tour pro Woche. Zu dritt marschieren wir in die kühle Halle. Überall stehen Einkaufswagen, Paletten und Kisten mit Salatköpfen, Grießklößchensuppe in gelb-grünen Tüten, Markenschokolade. An einer Wand türmen sich Kartons mit Mozzarella, Buttermilch, Joghurt. Alles ist laut Aufdruck noch mindestens zwei Tage haltbar.

Die Männer sortieren mit Tempo, konzentriert, routiniert. Ich bin noch unsicher. Was kann verzehrt werden, was ist tatsächlich nicht mehr genießbar? Bernd Linde beäugt acht Paletten mit Brokkoli, Stück für Stück. Er fragt mich: "Würdest du den noch essen? Und diesen?" Der Großteil landet im Müllcontainer, der Rest wird in grüne Klappkisten gestapelt.

Während Pedro alles zum Auto trägt, huscht eine Marktmitarbeiterin vorbei und wirft etwas in die Abfalltonne. Bernd Linde reckt sich und schaut nach: Würstchen mit Sauerkraut, ein Mikrowellengericht, Mindesthaltbarkeit noch eine Woche. "Ich mache ihr keinen Vorwurf", sagt er, "aber so gedankenlos gehen viele mit Essen um."

Draußen hat Pedro schon Schweißperlen auf der Stirn. Er stapelt die Kisten, die wir ihm reichen. Die 85 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Ahrensburger Tafel bewegen etwa 400 Tonnen Lebensmittel im Jahr. Die Waren sind unverkäuflich, deshalb aber nicht ungenießbar. Viele Dinge mit Mindesthaltbarkeitsdaten müssen die Händler schon vor Ablauf aus den Regalen nehmen. Andere Artikel sind optisch nicht mehr ansprechend.

Aktuell versorgen die Helfer an den drei Ausgabestellen in Ahrensburg, Bargteheide und Hamburg-Großlohe etwa 2000 Menschen. Das sind ungefähr 700 Haushalte, oft Familien mit mehreren Kindern. Täglich sind die 34 Fahrer bis zu vier Stunden unterwegs, um Waren einzusammeln und zu den Ausgabestellen zu bringen. Dort übernehmen andere Helfer die Verteilung. Nach zwei weiteren Märkten und einer Bäckerei stapeln sich etwa 60 Kisten im Transporter. Waren im Wert von 4500 Euro, sagt Bernd Linde. Hinzu komme die Ladung des Kühltransporters, der eine andere Route gefahren ist.

Ein kleiner Flachbau, einst das Gemeinschaftshaus, dient als Ausgabestelle in Hamburg-Großlohe. Fünf Menschen sitzen an einbetonierten Tischen davor. Sie beobachten mich, ein komisches Gefühl. Ein Hund bellt mich an. Einige Gehwagen und Fahrräder mit Körben stehen bereits vor der Hauswand. Noch eineinhalb Stunden bis zur Ausgabe.

Auf etwa 40 Quadratmetern hat alles System: Gemüse, Obst, Milchprodukte, Fleischwaren und Brot - wir sortieren die Lebensmittel in die Regale ein. Die Atmosphäre ist herzlich, es wird gescherzt und gelacht.

"Ich komme einmal in der Woche, genau wie der Rest des Teams", sagt Margrit Zörner, während sie je vier Stück süßes Gebäck in durchsichtige Plastiktüten steckt. "Die Arbeit macht Spaß, ich hab' tolle Kollegen und mache etwas für die Menschen in meinem Stadtteil. Und die geben uns auch ein gutes Gefühl zurück." Ein einfaches "Danke, dass du da bist" sei schon schön. Sie stemmt die Arme in die Hüften, kneift die Augen zusammen. "Ich denke, dass wir hier echt 'nen guten Job machen." Manchmal gebe es aber auch grenzwertige Situationen, sagt sie, "wenn zum Beispiel einer für sich allein 16 Eier haben möchte".

Pedro reicht mir Einweghandschuhe, die Mandarinen müssen sortiert werden. Ich reiße die Netze auf und suche die schimmeligen Früchte, um sie in den Mülleimer zu werfen. In der Ecke mit den Fleischwaren rotiert unterdessen Brigitte Quoß. Sie mache diesen Job wirklich gern, sagt sie. Leise fügt sie hinzu: "Wenn wir aber so etwas hören wie 'Friss doch dein Zeug alleine!' überlegen wir manchmal, ob wir uns das wirklich antun müssen." Pensionär Lothar Roschlaub stimmt zu: "Manch einen würde man sicher gern der Tür verweisen. Trotzdem bin ich gern hier. Wenn man helfen kann, sollte man's tun, es hilft einem ja auch. Man bewegt sich und sieht die Freude anderer Leute. Und das freut einen selbst."

Pedro hat mittlerweile seinen Pullover ausgezogen, er ist pausenlos in Bewegung. "Du übernimmst gleich den Gemüsestand", ruft er mir zu. "Die Leute sagen dir, was sie wollen. Du fragst nach der Größe des Haushalts, um abzuschätzen, wie viel sie bekommen. Du machst das schon!" Noch eine Minute. Brigitte Quoß kommt lachend hereingelaufen: "Da küsst mir doch draußen einer die Hand, damit er gleich bloß Fisch kriegt!" Es geht los, die ersten Menschen treten ein.

Kommen darf, wer nachweislich Arbeitslosengeld II oder eine kleine Rente bezieht. Alle Wartenden haben vorab ein Nummer bekommen. Nach Aufruf treten sie in Grüppchen ein. Selbstbedienung ist nicht erlaubt, wir geben die Lebensmittel aus. Jeder Kunde muss einen Euro pro Erwachsenem im Haushalt in ein Glas werfen, ein symbolischer Betrag. Die Tafel finanziert sich über Spenden von Privatpersonen, Herstellern und Händlern.

Die erste Frau kommt auf mich zu. Sie ist etwa 30 Jahre alt. "Hallo", sagt sie, "einen Brokkoli." Ich greife den grünsten und lege ihn behutsam in ihren geöffneten Ziehwagen. Sie sagt: "Eine Gurke und Möhren, bitte." Aus der Kiste wähle ich fünf makellose Karotten. Sie nickt zustimmend. "Und noch eine Paprika, rot am besten."

Auch durch die Handschuhe ist die runzelige Haut des Gemüses spürbar. "Darf ich noch Radieschen?", fragt sie vorsichtig. Pflichtbewusst erkundige ich mich: "Wie viele Personen sind Sie den?" "Vier Kinder", sagt die Frau. Ich bücke mich zum Pappkarton auf dem Boden und packe drei Bund. "Danke", lächelt sie mich an, ein offenes Gesicht, Grübchen in den Wangen.

Ob sie noch eine Aubergine haben könne, fragt sie. Die Wahl fällt mir schwer. Golfballgroße Löcher in der violetten Schale legen das schon leicht dunkel verfärbte Fruchtfleisch offen. Ich drehe jede Einzelne in den Händen, doch es ist nichts zu machen. Kritisch halte ich ihr ein Exemplar hin. "Ach", sagt sie, "das schneid' ich weg."

Zusehends leeren sich die Kisten. Ich verteile wie am Fließband, bis mich Pedro ablöst. Draußen nimmt die Schlange kein Ende. Ein Mann tritt mit zwei Tragetaschen aus der Tür. Er zeigt mir den Inhalt: Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, Brot, ein Stück Käsekuchen. Ein alltäglicher Einkauf für etwa 20 Euro. Der Mann kommt zweimal in der Woche zur Ausgabestelle. "Zum Variieren", wie er sagt, verlassen wolle er sich nicht auf die Unterstützung der Tafel.

"Die Essenskosten sind hoch. Ich trinke nicht und rauche nur ab und zu, trotzdem muss ich mich jeden Monat zusammenreißen. Was ich hier bekomme, ist ein schönes Zubrot zur Erwerbsunfähigkeitsrente. Die reicht hinten und vorne nicht." Seine Kleidung komme aus der Kleiderkammer. "Und so wie mir geht es ungefähr der Hälfte der Menschen dort vor der Tür."

Um 15.34 Uhr haben auch die letzten Nachzügler ihre gefüllten Wagen ins Freie gezogen. Etwa 130 Menschen seien es gewesen, schätzt Bernd Linde. Lothar Roschlaub steht still an ein Regal gelehnt. Pedro eilt schon wieder hin und her, lädt die Kisten ein. Gleich geht es noch ins Lager in den Ammersbeker Ortsteil Bünningstedt. Dort sortiert Johannes Kelp, Vorsitzender der Ahrensburger Tafel, mit weiteren Helfern die übrig gebliebenen Waren und Kartons. Denn morgen geht's wieder von vorn los, zur nächsten Tour.