Adeline von Schimmelmann kümmerte sich um trinkende Seeleute und zog allein drei fremde Kinder auf. Sie verkündete das Evangelium - und liebte den Luxus

Ahrensburg. Eine Frau, die im 19. Jahrhundert den Mund aufmacht und vor Hunderten von Menschen predigt, war schon ein Skandal. Noch dazu kümmerte sich diese Dame in hübschen Kleidern um harte Seemänner mit Alkoholproblemen. Als unverheiratete Frau zog sie drei fremde Kinder auf und adoptierte eines: Die Ahrensburgerin Adeline Gräfin von Schimmelmann war zu Lebzeiten ebenso bekannt wie umstritten, nicht zuletzt bei ihrer Familie.

Ruth Albrecht, Professorin für Kirchengeschichte, und vier ihrer ehemaligen Studenten haben sich intensiv mit dem Leben Adelines beschäftigt. 2005 begann die Idee als Seminarthema und ließ dann keinen mehr los. Nach Jahren der Recherche in staubigen Archiven brachten sie nun das Buch "Adeline Gräfin von Schimmelmann - adlig, fromm, exzentrisch" im Wachholtz-Verlag heraus. Drei der fünf Autoren stellten es jetzt im Ahrensburger Schloss vor.

Das Leben der Gräfin begann brav. Genau so, wie es sich für ihren Stand und ihre Zeit gehörte. Adeline wurde im Juli 1854 im Schloss geboren, in der Schlosskirche getauft und konfirmiert. Dann ging die Ur-Ur-Enkelin von Heinrich Karl von Schimmelmann als Hofdame von Kaiserin Augusta für zwölf Jahre nach Berlin. Danach begann ihr Aufsehen erregendes Leben.

Sie kümmerte sich, wie es bei den adligen Frauen durchaus üblich war, um bedürftige Menschen. Doch während die meisten Damen der guten Gesellschaft dies als lästige Pflicht ansahen, praktizierte sie ihre Sozialarbeit mit viel Leidenschaft und unüblichen Methoden. 1887 eröffnete sie ein Fischerheim auf Rügen, in dem die Männer Kaffee und Essen bekamen.

"Damals war es für Frauen üblich, sich um andere Frauen und Kinder zu kümmern, nicht um Seeleute und Fischer aus der niedersten sozialen Schicht", sagt Autorin Ruth Albrecht. Die Dame mit Hut fiel auf unter den Matrosen. Denn sie hatte nicht nur eine soziale Ader, sondern interessierte sich sehr für Mode und war immer akkurat gekleidet. "Sie liebte reiche, teure und vornehme Dinge, war großspurig und wohnte in den besten Hotels und Schlössern", sagt Albrecht. Auch legte sie großen Wert auf ihre Herkunft aus einer adligen Familie.

Ihre Autobiografie ziert ein Stich des Schlosses Ahrensburg, von dem sie auch selbst Skizzen anfertigte. Später, als sie in der Röhn lebte, gestaltete sie den Herzberghof zu einem Schloss um - mit vier Türmchen ganz ähnlich dem Ahrensburger Schloss, in dem sie aufgewachsen war. Doch Adeline wurde von ihrer Familie verstoßen. 1984 wurde sie sogar zwangsweise in die Psychiatrie in Kopenhagen eingewiesen. Ihr wurde nachgesagt, sie sei wahnsinnig. Sie kam nach sechs Wochen wieder heraus, fühlte sich aber weiter verfolgt von ihrer Familie. Denn für ihre verheirateten Brüder war sie zu exzentrisch.

So nahm die Gräfin auch Kinder bei sich auf. Drei Jungen wuchsen als ihre Ziehsöhne auf und begleiteten sie auch auf Reisen. Einen der Jungen adoptierte sie. Als Evangelistin reiste sie durch Deutschland, England und Amerika und schaffte es, dass Tausende Menschen ihr zuhörten. "Für Männer waren diese Auftritte durchaus üblich, doch Frauen taten dies damals nicht", sagt Albrecht, "Geistliche kämpften gegen Adeline, doch sie begann ihre Vorträge mit den Worten: Und das Weib redet doch."

Diverse Zeitungsartikel für und gegen die Gräfin wurden um 1900 in der Regionalzeitung Wandsbecker Bothe veröffentlicht. Damals trat Adeline dort als Evangelistin auf, und der Pastor Brodersen sprach vor der Veranstaltung einige Worte. "Er betonte, dass alle sie für krank hielten", sagt Albrecht, "ihre Geschwister saßen im Schloss und mussten zusehen, wie ihre Familiengeschichte in der Presse ausgebreitet wurde, das stimmte sie noch mehr gegen Adeline."

Gräfin Adeline starb 1913 verarmt in Hamburg. Ihr Grab auf dem Ahrensburger Friedhof ist nicht mehr zu finden. Vermutlich hat kein Familienmitglied sich darum kümmern wollen.

"Adeline Gräfin von Schimmelmann - adlig, fromm, exzentrisch", Wachholtz-Verlag, 528 Seiten, ISBN 3529 061 204, 25 Euro, www.adelineschimmelmann.de