Voller Sorge: Zwei Stormarner Ehepaare, die lange in Japan lebten, bangen um Land und Leute. “Unsere Gedanken sind bei ihnen“

Ahrensburg. Mit weit aufgerissenen Augen und tränenüberströmt weint sie ins Telefon. Die Hand, die den weißen Hörer hält, zittert. Die junge Frau ist eine von Hunderten Flüchtlingen aus dem japanischen Krisengebiet. Endlich hat sie ein Telefon gefunden, endlich kann sie mit ihren Verwandten sprechen. Die Bilder, die über den Bildschirm flackern, können Masaki Naka-shima und Kaeiko Haase kaum noch ertragen. Seit Freitag, seit dem verheerenden Erdbeben und der großen schwarzen Welle, die Tausende Menschenleben in Japan auslöschte - und vor allem seit den ständigen Horrornachrichten über die Lage in Fukushima - laufen ihre Fernseher fast rund um die Uhr. Der japanische Nachrichtensender NHK World trägt via Satellit die Katastrophe in ihre Ahrensburger und Hoisdorfer Wohnzimmer. "So ein Gefühlsausbrauch ist so untypisch für Japaner und zeigt, wie dramatisch die Situation dort ist", sagt Kaeiko Haase und reibt fassungslos ihre Hände. "Das ist nicht einfach nur ein starkes Erdbeben und ein furchtbarer Tsunami mit schrecklichen Folgen. Das ist die Apokalypse. Und das ist das einzige Wort, dass den Kern von allem trifft. Es klingt zynisch, aber das Erdbeben und der Tsunami sind nur sekundäre Probleme. Das was kommen wird, ist unvorstellbar", sagt Jürgen Haase tief bewegt. Immer wieder muss er sich räuspern, nachdenken, während er spricht.

Der Hoisdorfer hat von 1976 bis 1992 in Japan gelebt und Schiffsantriebsanlagen gebaut. Aber er hat auch Kraftwerkstechnik studiert und weiß, wie ein Atomkraftwerk aufgebaut ist. "Es gab drei Explosionen, ein Feuer. Dass erzählt wird, in Fukushima arbeiten noch immer Leute im Kraftwerk, kann nicht stimmen. Sie reden über Verletzte, doch in Wirklichkeit werden es Tote sein", sagt Haase überzeugt. Und versucht seiner Frau und den befreundeten Nakashimas den Aufbau eines Siedewasserreaktors, wie es sie in Fukushima gibt, zu erklären. Und was passiert, wenn die Reaktorbrennstäbe nicht mehr mit Wasser gekühlt werden. "Die Temperatur steigt auf 2000 Grad, selbst der zentimeterdicke Stahl des Reaktormantels hält das nicht aus. Er muss stark beschädigt sein. Die Reaktoren werden alle in die Luft gehen", sagt er mit trauriger Überzeugung.

Und gerade weil ihr Mann so ein düsteres Bild zeichnet, telefoniert Kaeiko Haase täglich mit ihrer Schwester Kazuko. Sie lebt nordöstlich von Tokio. Dort, wohin der Wind derzeit die gefährliche Atomwolke treibt. Dort, wo die Strahlenwerte mittlerweile um das zehnfache gestiegen sind. "Ich versuche sie seit drei Tagen zu überreden, zu fliehen. Irgendwo noch Benzin zu bekommen und über die Bergstraßen zur Westküste und dann in den Süden zu fahren. Aber sie will nicht. Sie geht sogar noch pflichtbewusst zur Arbeit", sagt Haase aufgeregt. Immer wieder schaut sie ungläubig auf die Bilder im Fernsehen. Sorgenfalten zeichnen sich auf ihrer Stirn ab. Sie atmet tief aus, so als könne der Atemzug sie etwas beruhigen. "Meine Schwester reagiert wie die meisten Japaner momentan. Ruhig, geduldig, auch naiv. Die Presse dort informiert aber auch einfach nicht so wie hier. Vieles wird verheimlicht. Die Wahrheit gerät nur scheibchenweise ans Licht." Kaeiko Haase könne nichts anderes tun, als weiter auf ihre Schwester einzureden. "Geht, geht, um Himmels Willen - geht, solange es noch überhaupt möglich ist."

Vielleicht sei es aber auch gut, dass die Regierung eine verhaltene Informationspolitik betreibe, fügt Gerlinde Nakashima hinzu. Und weiter: "Sonst wäre die Massenpanik vielleicht schon ausgebrochen. Wenn aus einer Stadt wie Tokio mit rund 30 Millionen Menschen plötzlich alle raus wollen, ist der Teufel los. Das ist unvorstellbar. So viele Straßen gibt es einfach gar nicht". 17 Jahre lebte sie mit ihrem Mann im japanischen Kobe, aber auch die Hauptstadt kenne sie gut. Verwandte und Freunde arbeiten in Tokio. Die Sorge um sie sei groß. "Das Gute ist, dass die meisten ihre Familien im Süden des Landes haben, in der Nähe von Kagojima. Unsere engsten Angehörigen sind dort in Sicherheit", sagt Masaki Nakashima.

Der ehemalige Chirurg am Krankenhaus Großhansdorf will im April nach Osaka fliegen, dann weiter in den Süden, Freunde und Familie besuchen. Wie die Situation dann im Land sein wird, weiß noch niemand. "Unsere Gedanken sind aber fast jede Minute bei den Menschen dort. Ich liebe dieses Land. Und ich bin sprachlos, das ihnen das passiert", sagt Gerlinde Nakashima. Die 63-Jährige nimmt ihre Brille ab und reibt sich die Tränen aus den Augen: "Man kann diese Bilder kaum noch verkraften. Durch das Fernsehen ist alles so nah. Man möchte wegschalten, aber man will auch informiert sein. Die Frage ist nur, welche Informationen, die wir bekommen, stimmen überhaupt?"