Dennis Kissel, Chef der Abfallwirtschaft Südholstein, erklärt das Ende der Wegwerfgesellschaft

Ahrensburg. Im Juni 2008 entstand die Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH), das größte kommunale Entsorgungsunternehmen in Schleswig-Holstein. Es organisiert die Müllabfuhr für 412 000 Einwohner in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg. Die AWSH ist neben der Rettungsleitstelle eine der wenigen Beispiele für Zusammenarbeit über Kreisgrenzen hinweg. Mit Dennis Kissel, dem Geschäftsführer der AWSH, sprachen wir unter anderem über die Zukunft der Abfallentsorgung.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kissel, die Geschenkeschlacht ist geschlagen, die Wohnzimmer sind aufgeräumt, die Verpackungen in der Mülltonne verschwunden. Für die AWSH fängt die Arbeit erst an. Gibt es nach Weihnachten mehr zu tun als sonst?

Dennis Kissel:

Ja.

Wie viel mehr Müll muss in diesen Tagen abtransportiert werden?

Etwa zehn Prozent mehr.

Wandert der Weihnachtsmüll in die Restmülltonne?

Ja, der größte Teil. Die Reste des Weihnachtsbratens sollten natürlich in der Biotonne landen. Packpapier gehört in die Papiertonne, aber die aufwendigere Verpackung, dieses beschichtete oder bedampfte Papier natürlich nicht. Da ist die Restmülltonne dran.

Endet das alles in der Müllverbrennungsanlage in Stapelfeld?

Ja, in diesen Wochen liefern wir mehr Müll an als im Schnitt.

Was kann man als Verbraucher besser machen, damit es zu Weihnachten nicht wieder so viel Müll gibt?

Das sind die üblichen Tipps, die wir alle seit 20 Jahren kennen.

Aber sie werden offenbar nicht beherzigt.

Nur zum Teil. Nichts ist schwieriger, als alte Gewohnheiten zu ändern. Wir wissen alle, dass es nicht der Gesundheit förderlich ist, Schokolade zu essen, sich nicht zu bewegen und dazu noch einen guten Rotwein zu trinken. Das ist potenziell lebensbedrohlich. Und selbst auf diesem wichtigen Gebiet ändert der überwiegende Teil der Menschen sein Verhalten nur sehr, sehr langsam.

Nun gibt es ja seit einigen Jahren verschiedene Tonnen für verschiedene Müllarten. Wird denn da einigermaßen zuverlässig getrennt?

Wir müssen einfach mal gucken, von welchem Niveau wir kommen. Meine Frau ist schon immer schwer genervt. Egal, wo wir im Urlaub hinfahren, ich entdecke überall Mülldeponien, Schrottplätze und ähnliches. Je südlicher Sie kommen, desto spannender wird es. Wenn Sie sehen, was da an Mülltrennung fabriziert wird, dann liegen wir doch ziemlich weit vorn. Die Deutschen sagen ja ein, ihr größter Beitrag zum Umweltschutz sei, dass sie den Müll vernünftig trennen. Aber das hat auch 20 Jahre gedauert.

Nun soll bei uns demnächst eine weitere Abfalltonne hinzukommen, die Wertstofftonne. Was soll da rein?

Bislang kommen die Verpackungen, die ein Lizenzzeichen vom Dualen System haben, in den gelben Sack. Und dann gibt das Beispiel vom Gartenschlauch oder dem Plastik-Quietsche-Entchen, die nicht in den Sack gehören, weil sie keine Verpackung sind. Das ist natürlich Unsinn. Die Idee der Wertstofftonne ist, dass da Verpackungsmaterialien und - wie heißt das so schön - stoffgleiche Nichtverpackungen hineinkommen. Man behebt damit einen Webfehler des Dualen Systems. Aber der Gesetzgeber wird vermutlich noch drei bis fünf Jahre brauchen, bis es so weit ist.

Wie sehr würde das die Restmüllmenge, die dann in der MVA verbrannt werden muss, noch einmal verringern?

Man geht davon aus, dass man fünf bis zehn Kilogramm pro Einwohner und Jahr aus dem Restmüll herauskriegen könnte.

Was können wir außerdem noch tun, um die Menge zu reduzieren?

Bio ist ein ganz großes Thema. Wir haben eine flächendeckend eingeführte Biotonne. Aber die Mengen sind ausbaufähig. Im Restmüll sind immer noch zu viele organische Stoffe. Sie können am Abfall genau sehen, ob ein Müllwagen seine Tour im ländlichen oder im städtischen Bereich hat. Die Städter werfen einfach mehr Bioabfall in die Restmülltonne. Da ist 40 bis 45 Prozent Organik drin. Speisereste zum Beispiel: Die gehören in die Biotonne, aber wandern in der Regel in die Tonne, die als nächstes abgeholt wird. Ist morgen die Restmülltonne dran, geht es da rein. Das will man schnell weghaben, weil es vor sich hingammelt und zu stinken beginnt. Man muss da für Verständnis werben. Wir wollen ja etwas erreichen: Kompost aus Biomüll herzustellen, ist hundertprozentig sinnvoll. Das ist ein gut anwendbares Material. Selbst Biolandwirte verwenden heute Kompost aus der Biotonne.

Früher war der Absatz sehr schwierig.

Anfangs haben wir ja noch Geld dazubezahlt, damit wir es loswurden. Da waren die Düngemittelpreise im Keller. Jetzt ist das Produkt Biokompost konkurrenzfähig. Nehmen wir nur das Beispiel Phosphat. Ohne den Pflanzennährstoff geht in der Landwirtschaft nicht viel. Aber die Phosphataufkommen der Erde sind endlich. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, in 30 Jahren ist Schluss mit dem Phosphatabbau. Was machen wir dann? Da ist Bioabfall der Klassiker, weil man ihn über Vergärung oder Kompostierung als Düngemittel wieder in den Stoffkreislauf zurückbringen kann.

Bis Ende 2011 muss die AWSH entscheiden, ob der Entsorgungsvertrag mit der MVA Stapelfeld verlängert oder gekündigt wird. Brauchen Stormarn und Herzogtum Lauenburg die Mülle überhaupt noch?

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Wir werden das tun, was wichtig ist: gründlich nachdenken.

Aber die Restmüllmenge wird doch bis Ende 2016 - so lange läuft der Vertrag mit der MVA auf jeden Fall noch - deutlich gesunken sein?

Wenn Sie das so sehen. Wir haben mit dem Aufsichtsrat einen Weg vereinbart. Wir gucken uns an, welche Restabfallmengen wir ab 2017 zu erwarten haben. Dann müssen unter anderem die Fragen beantwortet werden, ob man an den Verträgen etwas ändern und ob man Müllmengen auch woanders loswerden kann. Da bitte ich um Verständnis, dass ich erst den Aufsichtsrat informiere - und dann Ihre Leser.

Welche Rolle spielt der Abfall in 20 oder 40 Jahren?

Wenn man sich die ganz langfristigen Entwicklungen anguckt, dann ist es so, dass irgendwann mal alles Kupfer aus dem Boden geholt ist - um nur ein Beispiel zu nennen. Jetzt gibt es gerade eine Diskussion darüber, dass seltene Erden zu Ende gehen, dass Deutschland einen Vorrat aus seltenen Erden anlegen soll. Die braucht man unter anderem für die Produktion von Solarzellen. Das bedeutet doch, dass wir das, was wir in unseren Produkten haben und in unserem Gebäudeinventar, in Zukunft optimal nutzen müssen. Bei den derzeitigen Kupferpreisen kann man schon darüber nachdenken, ob es sich lohnt, das Zeug wieder aus dem Abfall rauszuholen. Außerdem müssen wir unsere Produkte anders gestalten. Muss ich in jedes Spielzeug irgendwelche Akkus einbauen? Muss ich Produkte kaufen, denen man gleich ansieht, dass sie nur eine Lebensdauer von sechs Monaten haben? Muss ich mir einen Fernseher kaufen, weil die neue Generation von Flachbildmonitoren einen schicken schwarz glänzenden Rand hat?

Aber unsere Konsumgesellschaft basiert ja darauf, das mehr als das Notwendige gekauft wird.

Klar. Aber dennoch müssen wir dafür sorgen, dass wir langlebige Produkte haben. Wir sollten die Produkte zumindest so gestalten, dass Recyclingprozesse einfacher werden. Wir müssen nicht immer alles verschweißen, verkleben oder verbacken. Da haben wir dann 37 verschiedene Materialien, die man hinterher nie mehr auseinander bekommt. Wir als Abfallwirtschaft können immer nur mit dem arbeiten, was übrig geblieben ist. Wir sind kein Wirtschaftszweig, der besonders sexy oder toll ist. Wir kümmern uns um den Rest.

Was geschieht mit unserem besonders wertvollen Elektroschrott?

Ein Großteil wird nach Afrika exportiert. Unser eigener Rohstoff, verbaut in Handys, Küchenmaschinen und Nasenhaarschneider, wird einfach so weggeben.

Mein alter Computer landet in Afrika?

Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Abfälle gehen nun mal den Weg des niedrigsten Preises. Die AWSH sammelt die Geräte nur ein. Die Hersteller lassen sie dann in zertifizierte Verwertungsbetriebe bringen. Die Industrie sitzt also auf den Rohstoffen, deren Mangel sie beklagt. Dennoch landet der Elektroschrott irgendwie in Afrika. Ich finde, dagegen muss man etwas tun.

Können wir uns aufwendige und überdimensionierte Verpackungen, wie wir sie heute immer noch im Supermarkt sehen, in ferner Zukunft noch leisten?

Sicher nicht. Nicht bei der heutigen Rohstoffsituation, nicht bei der exorbitant wachsenden Weltbevölkerung. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen bescheidener werden.