Eine Glosse von Martina Tabel

Ich sah sie schon kommen. Spontan wollte ich die Straßenseite wechseln. Aber das ging nicht. Ich wollte ja nicht auffallen. Ich wollte nicht einmal gesehen werden. Also wandte ich mich schnell meinem Begleiter zu, den Kopf so stark zur Seite gedreht, dass sie unmöglich mein Gesicht sehen konnte. Sie kam näher. Als wir auf gleicher Höhe waren, sah mich die Frau unverwandt an. Sie schien nicht im Geringsten zu bemerken, wie vertieft ich gerade in mein Gespräch war. "Guten Tag, Frau Tabel", sagte sie freundlich und schaute mir direkt in die Augen. "Hallo, wie geht's", erwiderte ich betont lässig und beschleunigte meinen Schritt, um keinesfalls auf eine Antwort reagieren zu müssen. Ich hatte keine Ahnung, wer die Frau war. Und ich war felsenfest davon überzeugt, sie wusste, dass ich es nicht wusste. Nichts wie weg. Nur keine Peinlichkeit. Eine Woche später dasselbe Spiel. Bis jetzt war sie auf meinem Weg zur Mittagspause doch nie aufgetaucht. Warum jetzt gleich zweimal so kurz nacheinander? Und in den nächsten Wochen noch zweimal. Es wäre ein Leichtes gewesen, zu sagen: Tut mir leid, aber ich kann Sie gerade nicht einordnen. Helfen Sie mir ein bisschen? Bis heute weiß ich nicht, wer die Frau ist. Ich weiß nur, sie sieht nett aus - und ich sah ziemlich blöd aus. Jetzt hoffe ich auf eine neue Gelegenheit. Und darauf, dass ich die Chance nutze, auf sie zuzugehen - wer immer sie auch sein mag.