Eine Glosse von Lena Thiele

Es braucht wirklich nicht viel, damit ich gerührt bin. Eine selbstlose Entscheidung eines Serienarztes zum Beispiel, ein liebevoll zubereitetes Menü eines TV-Kochs, eine schwedische Prinzessin vor dem Altar. All diese oberflächlichen Medienreize lassen mein Herz warm werden. Und wenn es ganz dicke kommt, kullern auch einmal die Tränen. Ich dachte also, ich sei emotional so verflacht, dass ich zu echter Rührung gar nicht mehr fähig sei. Doch dann lag da diese Karte in meinem Briefkasten. Ein lila Blumenfoto auf lila Tonkarton. Selbst gebastelt. Ich war gerührt.

Jemand dachte offenbar an mich. Mit goldenem Stift stand ein persönlichen Gruß auf der Innenseite. Jetzt befürchtete ich eine Enttäuschung. Bestimmt hatte der Verfasser dieser goldenen Zeilen nur meinen Briefkasten verwechselt. Doch dann las ich den Text - der mit "oh, Frau Lena Thiele" begann - und war nun vollends gerührt.

Der Schreiber war eine Schreiberin - meine Nachbarin und ebenfalls eine Frau Thiele. Ich kannte sie nicht, sie kannte mich nicht. Und die Postbotenvertretung kannte offenbar uns beide nicht. So war ein Brief an mich bei ihr gelandet und sie hatte ihn versehentlich geöffnet. Doch anstatt ihn mir kommentarlos in den Briefkasten zu werfen - wie es sicher in manch anderer Nachbarschaft passiert wäre - hinterließ sie mir dieses große goldene "Sorry" in der Post. Das alles geschah vor ein paar Monaten. Doch die lila Blumen blühen immer noch.