Bank-Geheimnisse: Wir treffen Stormarner an ihrem Lieblingsplatz. Heute: Andrea Gallinat, Gründerin des Fördervereins für Therapeutisches Reiten

Bargteheide. Andrea Gallinat versteht ihren Sohn genau. Sie weiß, was er sagen will. "Ich bin eng mit ihm verbunden", sagt die Bargteheiderin. Andere Menschen können hingegen nur ahnen, was Leonard meint. Der junge Mann gibt unverständliche Laute von sich. Sein Kopf fällt zur Seite weg. Der 14-Jährige ist seit seiner Geburt schwer mehrfach behindert.

Timmi interessiert das nicht. Timmi ist eine Pferdedame, zehn Jahre alt und ebenso gelassen wie aufmerksam. Das Shetlandpony spürt intuitiv, wen es auf dem Rücken trägt und schaukelt den Jugendlichen, der seinen Rücken nicht gerade halten kann, behutsam über den Reiterhof. Leonhard atmet den Duft des Fells ein, lässt sich wiegen wie bei einem Wüstenritt, fühlt die Wärme des Tieres und gluckst vor Vergnügen. Immer mehr Laute kommen über seine Lippen. Die Shetland-Dame reagiert auf seine Bewegungen. Sie versteht ihn auf ihre Weise. Sie weiß auch ohne Worte, was los ist: Leonard ist glücklich.

"Ich gehöre nicht zu denjenigen, denen ihr krankes Kind zu viel wird. Ich liebe meinen Sohn. Und ich will, dass es ihm gut geht", sagt Andrea Gallinat. Oft geht es ihm nicht gut. Leonards Gesundheitszustand ist labil. Er kam als Frühchen zur Welt und erlitt einige Wochen später eine Gehirnblutung. Von da an änderte sich das Leben für das Ehepaar Gallinat und ihre Tochter radikal.

14 Jahre ist das her. Vor elf Jahren kam Andrea Gallinat das erste Mal auf den Reiterhof von Astrid Stiller. Als sie sah, wie ihr Sohn von einer Krankengymnastin gehalten auf dem Pferd lag, wie er die Nähe zu dem Tier genoss, war für sie klar: Das ist die optimale Therapie. "Krankengymnastik ist wichtig, aber mit Schmerzen und Stress verbunden. Während dies hier die pure Lebensfreude ist. Das ist der Unterschied", sagt die Bargteheiderin. Timmi scheint zuzuhören und schiebt neugierig den Kopf dazwischen. Ganz so, als wollte das Shetlandpony - eines von zwölf Therapiepferden auf dem Hof - seinen Senf dazugeben.

Es gibt noch einen Unterschied zur klassischen Methode, einen ebenso entscheidenden: Die Krankengymnastik wird von den gesetzlichen Kassen übernommen, die Reittherapie nicht. Dabei sind die Kosten mit circa 37 Euro für die klassische Behandlung und rund 40 Euro für das therapeutische Reiten durchaus vergleichbar. Am Geld dürfe es nicht liegen, sagte sich die Andrea Gallinat und gründete einen Förderverein. Als betroffene Mutter wusste sie, wie sinnvoll und wertvoll gerade die Hippotherapie sein kann.

Leonard hat gelernt, seinen Kopf besser zu halten. Seine gesamte Rückenmuskulatur wurde gestärkt. Andrea Gallinat: "Und außerdem hat er im Umgang mit dem Tier noch ganz andere Dinge gelernt und wichtige Erfahrungen gemacht." Wenn das Pferd stillsteht, geht es eben einfach nicht weiter. "Da nützt alles nichts. So ein Tier hat auch seinen eigenen Kopf. Es ist unglaublich, die Wirkung zu beobachten", sagt die 44-Jährige.

2003 startete der Förderverein, mit sieben Mitgliedern. Mehr sind es in den vergangenen Jahren nicht geworden. "So ist das nun mal, wenn Arbeit droht", sagt die Bargteheiderin und schmunzelt, "aber toll ist, dass auch Reiter ohne Handicap dabei sind und unsere Sache unterstützen."

Der Verein lebt von den Spenden. 2007 waren es 8000 Euro, in den vergangenen beiden Jahren jeweils nur 2500 Euro. Das schwankt. Und das macht die Sache kompliziert. Vor vier Jahren konnte der Verein mit Spendengeld einen Lifter anschaffen. Wie dringend der gebraucht wird, ist deutlich auf dem Reit- und Therapiehof von Astrid Stiller zu sehen. Vor kurzem ist sie mit dem Hof nach Elmenhorst gezogen, mit ihren Pferden und allem Drum und Dran. Nur der Lifter ist noch nicht da. Eine mobile Rampe muss jetzt für die Übergangszeit erst einmal reichen. Es ist kein leichtes Unterfangen, auf diese Weise den etwas anderen Reitern aufs Pferd zu verhelfen. Gut, dass der Lifter bald kommt.

Leonard gehört seit kurzem nicht mehr zu den Reitern. Die Hüfte würde ihm einfach zu wehtun. Zu seiner Riesenfreude darf er manchmal bäuchlings über den Pferderücken liegen. Und wenn das nicht geht, steht er mit seinem Rolli vor den Boxen und schnuppert so viel Pferdeluft ein, wie es nur irgendwie geht. Wenn die Tiere kapieren und ihm auch noch die Mohrrübe vom Schoss wegknabbern, lacht er wieder und erzählt auf seine Weise vom Glücklichsein.

Nachts muss Andrea Gallinat mehrfach raus, um ihn umzubetten. "Damit er sich nicht wund liegt", sagt die alleinerziehende Mutter, die mit Leonard und ihrer 16-jährigen Tochter Luisa vor zweieinhalb Jahren von Bad Oldesloe nach Bargteheide gezogen ist, in eine behindertengerechte Wohnung. "Vorher musste ich Leonard immer ein paar Stufen tragen", sagt Andrea Gallinat. Das ging nicht mehr.

Sie beklagte sich nicht darüber. Sie berichtet nur. Und sie unternimmt etwas. Die Gründung des Vereins ist ein Beispiel. Der Umzug ein anderes. Und die tägliche Organisationsleistung, ihre tageweise Arbeit als Verwaltungsbeamtin in Lübeck und die familiären Anforderungen unter einen Hut zu kriegen, ist das beste Beispiel überhaupt.

Die Vereinsarbeit hat bei Andrea Gallinat eine generelle Frage aufgeworfen: Leben mit Behinderten, wie funktioniert das eigentlich in unserer Gesellschaft?" Ihre persönliche Antwort hat sie längst gefunden. Sie ist berührend einfach: mit Liebe und Zuwendung.

An die Zukunft denkt die Bargteheiderin lieber nicht. Zurzeit besucht Leonard die Woldenhornschule in Ahrensburg. Aber was kommt danach?

Andrea Gallinat: "Ich bin eigentlich eine schlechte Mutter, weil ich nicht loslassen kann. Aber ich weiß genau, in einem Heim würde er nicht überleben. Ich werde Leonard so lange zu Hause behalten wie es geht." An eine Arbeit in einer Werkstatt ist nicht zu denken. "Leonard kann nur leben", sagt seine Mutter. Und glücklich sein, wenn er Pferdeluft schnuppert.

Wer den "Förderverein für Therapeutisches Reiten in Bargteheide und Umgebung" unterstützen möchte, kann auf das Spendenkonto 900 697 19 bei der Sparkasse Holstein (BLZ 213 522 40) einzahlen. Nähere Informationen per E-Mail und auf der Homepage.

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