Bank-Geheimnisse: Wir treffen Menschen an ihrem Lieblingsplatz. Heute: Die Ahrensburger Pastorinnen Angelika Weißmann und Anja Botta

Ahrensburg. Der Skandal habe sie zusammengeschweißt, sagen Anja Botta und Angelika Weißmann über die evangelische Pastorenschaft in der Schlossstadt. "Wir müssen an einem Strang ziehen", sagt Pastorin Botta, "das ist überlebenswichtig." Gerade hat ihr Kollege Helgo Matthias Haak Klage beim Kirchengericht eingereicht. Er wehrt sich gegen die Weisung der Kirchenoberen, sich nicht öffentlich zu den Geschehnissen in der Kirchengemeinde zu äußern. Was vor Jahrzehnten geschah, löste den bislang größten Missbrauchsskandal der evangelischen Kirche aus. Überschattet die Arbeit aller Ahrensburger Pastoren. Und die beiden Frauen vom Kirchsaal Hagen müssen aushalten, was ihre Vorgänger verursacht haben: Misstrauen.

Der Skandal durchdringe alles, sagt Pastorin Weißmann. "Irgendwann kommt immer das Gespräch darauf, bei Beerdigungen oder Geburtstagsbesuchen." Sie habe die vergangenen Monate als eine Art Trauerprozess erlebt, sagt sie. "Ich fühle Wut, Ablehnung, Resignation." Gegenüber jenen, die den Skandal beförderten - durch ihre Taten, ihr Schweigen, ihr Wegschauen über Jahre hinweg. Die 53-Jährige sagt, sie sei erschöpft. Das ist ihr anzusehen. Das Gute sei, dass im Kollegium nicht alle gleichzeitig einen Tiefpunkt hätten. "Das wechselt, wir bauen uns gegenseitig auf."

Bei einer Versammlung im Kirchsaal hatte sie geäußert, sie wünsche sich "geistliche Aufrüstung". Hat sie diese inzwischen erfahren? "Nicht von dort, wo ich sie erwartet hätte", sagt Angelika Weißmann, "aber von meinen Kollegen hier vor Ort." Dort aber, wo sie herkommen sollte, war Rückzug das Gebot der Stunde. Mitte Juli trat Bischöfin Maria Jepsen zurück. Zwei Wochen später erstattete Pröpstin Margit Baumgarten Selbstanzeige wegen ihres Umgangs mit Kinderpornographie-Fällen in Lütjensee und Alt-Rahlstedt, legte ihre Amtsgeschäfte nieder.

Was hat Anja Botta, die den Kirchsaal seit vier Jahren betreut, in den vergangenen Monaten erlebt? "Teils schenken mir die Gemeindeglieder großes Vertrauen, weil ich 1999 noch nicht hier war", sagt die 37-Jährige. Aber es herrsche auch großes Misstrauen, "aus Unsicherheit, wie viel ich wirklich weiß". Dieses Problem hätten alle amtierenden Pastoren. Botta: "Weil wir zu unserem Kenntnisstand nichts sagen dürfen, denken viele, wir wüssten vielleicht doch mehr. Menschen sprechen mich an mit den Worten: Sie wissen doch, was Pastor K. damals gemacht hat?", sagt Botta. "Wenn ich dann mit Nein antworte, heißt es: Na, dann ist gut." Solche Gespräche endeten abrupt. Damit kann die impulsive Geistliche nur schwer umgehen. Sie sagt: "Das macht mich ratlos. Ich wünsche mir Offenheit von allen Seiten. Das ist die Basis, um hier weiterarbeiten zu können." Die Arbeit mit Menschen sei es auch gewesen, die ihrem Berufswunsch zugrunde gelegen habe, sagt die Mutter eines dreijährigen Sohnes.

Anja Botta, geboren in Münster, wuchs in einer evangelischen Familie auf. Mutter Bürokauffrau, Vater Versicherungskaufmann "und gefühlte 100 Jahre im Kirchenvorstand". Botta: "Ich bin in die Kirche hineingewachsen." Im Konfirmandenunterricht habe es dann mit ihrem Pastor Konflikte gegeben, sie entfernt sich von der Kirche. Nach dem Abitur beginnt sie ein Chemiestudium. Dann kommt ein neuer Pastor in die Gemeinde - und Botta kehrt zurück zu ihren Wurzeln. Nach drei Semestern tauscht sie die Lehre von Stoffen gegen die Religion ein. "Jetzt passt es", habe sie damals gefühlt. Und was verschlug die Westfälin in den hohen Norden? "Meine Landeskirche wusste nicht, wohin mit dem Nachwuchs, da bin ich nach Hamburg gegangen", sagt Botta. Ein paar Mal im Jahr sei sie schon vorher in der Hansestadt gewesen, weil dort Verwandtschaft lebt. Nach ihrem Vikariat hat sie ein dreiviertel Jahr lang eine Funktions-Pfarrstelle in Meldorf inne. "Eine ökumenische Stelle, bei der ich Partnerschaftsgruppen betreute", sagt Anja Botta. Doch sie will als Pastorin arbeiten, "mit allem, was dazugehört". Als 2006 im Ahrensburger Kirchsaal Hagen die Stelle von Pastor Friedrich Hasselmann frei wird, nutzt sie die Chance.

Es ist das Jahr, in dem die evangelische Gemeinde ihr erstes gemeinsames Fest feiert. Bis dahin feierte jeder Bezirk für sich selbst: Schlosskirche, Johanneskirche und Kirchsaal Hagen. "Über Jahrzehnte waren die Bezirke sehr eigenständig", sagt Angelika Weißmann, die 1999 mit einer halben Pfarrstelle im Hagen einsteigt. Sie teilt sich mit Britta Sandler, heute Pastorin in Lütjensee, die Stelle von Dieter K.

Hat die Eigenständigkeit der Bezirke der Vertuschung der Missbrauchsfälle Vorschub geleistet? "Eindeutig", sagen beiden Pastorinnen wie aus einem Mund. "Doch wir sind eine Gemeinde", sagt Angelika Weißmann. "Ich verkörpere die Gesamtgemeindlichkeit: "Ich lebe im Gartenholz, arbeite im Kirchsaal Hagen, und mein Mann ist Pastor in der Schlosskirche." Die Einheit umzusetzen, sei bis heute nicht einfach. Doch sie lebe die Zusammengehörigkeit beharrlich vor. Das gehöre zu ihrem Selbstverständnis als Pastorin.

Angelika Weißmann wächst im nordhessischen Witzenhausen auf. Der Vater ist Schneider, die Mutter Sekretärin. Beide engagieren sich in der Kirche. Angelika Weißmann macht mit beim Kinder- und Jugendgottesdienst. "Mein Berufswunsch ergab sich so", sagt die dreifache Mutter. Einzig die alten Sprachen im Studium seien quälend gewesen: Latein, Hebräisch und Alt-Griechisch. Auch sie kann den Einsatz als Pastorin kaum erwarten - und muss sich doch gedulden. Als ihr künftiger Mann, den sie während des Studiums in Hamburg kennenlernt, 1984 seine erste Stelle antritt, habe es von der Landeskirche geheißen "Einer reicht". Nach dem Vikariat geht es nach Plön. 1996 ziehen die Weißmanns nach Ahrensburg. Ihr ist bewusst, dass sie ständig unter Beobachtung ist, wenn sie sich durch die Stadt bewegt. "Pastorin zu sein und Privatmensch, das geht Hand in Hand", sagt Weißmann, die in ihrer Freizeit gern Krimis liest und im Sommer schwimmen geht. Lange Jahre sang sie im Chor, "aber das kriege ich zeitlich nicht mehr hin wegen meiner Amtshandlungen." Woraus schöpft sie Kraft für ihren Alltag? "Ich bin nicht so ein Urlaubsmensch", sagt Weißmann, die ihre Gedanken gern beim Bügeln ordnet. "Ich ziehe meine Kraft aus Kinderbibeltagen oder dem Weltgebetstag."

Es sei nicht immer leicht, sich abzugrenzen, sagt indes ihre Kollegin. Anja Botta tankt Kraft beim Nordic Walking im Tunneltal. Und bei Mann und Sohn. "Aber wenn ich Erholung will, muss ich wegfahren."

Fühlen sich die beiden noch wohl in ihrem Amt? "Wohlfühlen geht nicht", sagt Angelika Weißmann, "aber was jetzt geschieht, ist Teil meines Amtes." Anja Botta stimmt zu, sagt: "Vieles ist unangenehm, aber nicht unerträglich. Ich habe die feste Zuversicht, dass wir die Geschehnisse aufarbeiten können."