Jersbeker Bildhauer Georg Engst kämpft für Werke, die bei der Bebauung öffentlichen Raums verschwinden

Jersbek. Sie verschwinden. Täglich. Überall in Deutschland. Sie werden eingemottet, auf den Schrott geworfen, mit der Motorsäge zerlegt oder vom Presslufthammer zertrümmert. Lautlos geht das nicht vonstatten und doch oft unbemerkt. "Rund 1000 Kunstwerke gehen auf die Weise jedes Jahr in Deutschland verloren", schätzt der Jersbeker Bildhauer Georg Engst.

Skulpturen, Reliefs und Brunnen müssen weichen, wenn Krankenhäuser gebaut, Banken modernisiert, Schulen erweitert oder Firmengebäude abgerissen werden: Städteplaner und Bauherren haben Vorrang. Die zunächst vom Gesetzgeber geforderte Kunst im öffentlichen Raum hat im zweiten Angang das Nachsehen. Engst: "So gehen wertvolle Zeitdokumente unwiderruflich verloren." Seine Figurengruppe vor der Postbank in der City Nord in Hamburg: abgesägt. Sein Marmorrelief für die Hamburger Filiale der Bank of America: mit dem Presslufthammer zertrümmert. Seine für die Frankfurter Lurgi-Gesellschaft angefertigte Holz-Intarsienwand: weggestemmt. Seine 17 Meter lange Intarsienarbeit für das Krankenhaus in Hamburg-Othmarschen: übertapeziert, übergepinselt und schließlich abgehauen.

Zehn Werke von Engst sind bereits zerstört worden oder auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Das schmerzt. Auch wenn er sich damit in der besten und vor allem in einer großen Leidensgemeinschaft befindet. Die Plastik "Leuchtfinger" des renommierten Frankfurter Bildhauers Hermann Goepfert stand vor dem HEW-Kundenzentrum an der Spitalerstraße in Hamburg. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt. Eine Arbeit des Documenta-Künstlers Fritz König stand auf dem Mittelstreifen der Autobahn, kurz vor Berlin. Auch sie ist verschwunden.

Dass jetzt eine Arbeit von Georg Engst wieder aufgetaucht ist, freut ihn umso mehr. Zu übersehen war sie eigentlich nicht: 3,60 Meter hoch, 750 Kilogramm schwer. Und doch lag die Bronzeskulptur mit dem Titel "Balance" drei Jahre auf dem Bauhof einer Abrissfirma - von Baggern aus dem Gleichgewicht gebracht. Am Wochenende wurde sie wieder aufgestellt, am alten Ort nahe dem Hamburger S-Bahnhof Bahrenfeld.

Jahrzehnte hatte die Skulptur im Innenhof Asche AG gestanden, bis das pharmazeutische Unternehmen den Firmensitz aufgab. Die Behrendt Wohnungsbau KG kaufte das Gelände und riss die Gebäude ab. Die Skulptur verschwand gleich mit. Ein Journalist stöberte den wertvollen "Müll" auf der Schrotthalde auf. Das Buch "Plastische Kunst in Hamburg" von Heinz Zabel hatte ihn auf die Spur gebracht. Einmal wiederentdeckt, bekam die völlig verdreckte und mit grüner Patina angegriffene Bronze Unterstützer. "Martina Rieckmann von der Behrendt Wohnungsbau hat sie gerettet", sagt Georg Engst. Alle Tage kommt das nicht vor. Grund für das Fernsehen, die Aktion zu begleiten und das Aufstellen des Kunstwerks aus der Jersbeker Werkstatt zu filmen. Am Mittwoch, 27. Oktober, wird das NDR Fernsehen den Beitrag im Hamburg Journal ausstrahlen.

Für den großen Tag ihrer "Wiedergeburt" war die Bronze in der Gießerei Wittkamp in Elmenhorst (Lauenburg) aufpoliert worden - unter fachlicher Beratung von Georg Engst, finanziert von der Wohnungsbaugesellschaft, die sich nun mit Kunst am Bau schmücken kann. Eine neue Arbeit in Auftrag zu geben, wäre erheblich teurer gewesen. Rund 150 000 Euro würde ein Auftraggeber heute dafür bezahlen, überschlägt der Jersbeker die Kosten.

So gehen mit dem Verschwinden von Kunstwerken im öffentlichen Raum nicht nur ideelle, sondern auch beträchtliche materielle Werte verloren. Engst: "Das Relief für die Bank of America war eine meiner absoluten Lieblingsarbeiten. 2,50 Meter breit und fünf Meter hoch. Aus 30 Zentimeter starkem griechischem Marmor." Würde er den Auftrag heute bekommen, müsste die Bank 150 000 Euro hinlegen. Würde die Hamburger Postbank die beseitigte Figurengruppe jetzt haben wollen, wären bis zu 100 000 Euro fällig.

"Die meisten Architekten kümmert es nicht, ob die Skulpturen erhalten bleiben. Die Bauherren haben ohnehin andere Sorgen. Und die Künstler wissen nichts davon oder aber es interessiert sie nicht. Die Arbeit war ja schon bezahlt worden. Wichtiger ist es den meisten, neue Aufträge zu kriegen", sagt Georg Engst ohne Vorwurf.

Er kennt die Existenzangst der Kollegen nur zu gut. "Freischaffende Künstler sind wirtschaftlich nicht abgesichert. Sie müssen sich von Auftrag zu Auftrag bewähren, während die laufenden Kosten bleiben. Die Krankenversicherung will Geld, die Telekom, das Finanzamt, die Gemeinde. Am Schluss haben die meisten Künstler nicht mal eine Rente", sagt Engst, der mit seinen 80 Jahren immer noch arbeitet. "Zurzeit arbeite ich für Berlin, kostenlos", sagt der Jersbeker mit ironischem Unterton. Engst beteiligt sich an einem Wettbewerb für den Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes. Im Restaurant des Gebäudes soll ein Kunstwerk stehen. Der Jersbeker will ein dreiteiliges Aluminium-Relief anfertigen, das mit der Form und der Symbolik des Tischtuches spielt. Engst: "Seit 14 Tagen zeichne ich, fertige Modelle an und fahre nach Berlin. Alles auf meine Kosten." Und alles bei ungewissem Ausgang. 500 Künstler haben sich beworben.

Gerade deswegen lautet sein Appell an die Kollegen: "Tut was. Kümmert euch!" Dass sich der Einsatz für verschwundene Kunstwerke auch finanziell lohnen kann, zeige das "wunderbare Beispiel" der Bildhauerin Margot Eberle. Georg Engst kennt sie seit dem Studium bei Anton Hiller in München. Eines Tages rief sie in Jersbek an: In Ettenheim sollte ein Krankenhaus gebaut werden. Ihr Brunnen stand im Weg. Das Kunstwerk wurde platt gemacht. Die Bildhauerin war empört und ratlos. Engst wusste Rat und ermutigte sie. So konnte sie den Architekt der Klinik davon überzeugen, dass die Bürger an dieser Stelle ein Kunstwerk haben wollten und nun auch weiterhin haben sollen. Der Investor gab schließlich den Auftrag für eine neue Arbeit. Die 82-Jährige Margot Eberle schuf eine vier Meter hohe Bronze: zwei Menschen Kopf auf Kopf. Engst: "Ein tolles Thema. Das hat was mit Vertrauen zu tun."

Für den Jersbeker gilt aber auch, wachsam zu sein und sich zu informieren. "Die Künstler müssen über ihre Rechte Bescheid wissen", sagt der Jersbeker. Viele Jahre war er im Vorstand der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst. "Das hat mich schlau gemacht", sagt der Bildhauer - und aufmerksam. So aufmerksam, dass sich andere Künstler an ihn wenden. Margot Eberle ist ein Beispiel. Anatol Buchholtz ein anderes. Der langjährige Präsident des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) in Bonn kämpft um den Standort einer Brunnenplastik in Helmstedt. Sie ist von ihrem Platz verbannt und an einer Hauswand als eine Art Zwischenlager abgestellt worden. "Natürlich kümmere ich mich", sagt Engst, der sowohl im Hamburger als auch im schleswig-holsteinischen BBK Mitglied ist und sich kulturpolitisch einmischt. Eine seiner Forderungen: Künstler müssen für ihre Arbeit Geld bekommen. Das klingt banal, ist es aber nicht. Wenn eine verschwundene Skulptur repariert und wieder aufgestellt werden soll, dann möchte er für die fachliche Begleitung ein Honorar haben. "Da bin ich wie eine Autowerkstatt", sagt der Künstler. Kollegen, die sich darum nicht kümmern, gehen leer aus.

Nur gegen eines hilft nichts - Eigentumsrecht geht vor Urheberrecht.

Das birgt Sprengkraft, denn es heißt im Klartext: Wer ein Kunstwerk kauft, darf es zwar nicht umsetzen, beschmieren oder beschädigen, aber plattmachen ist erlaubt. Der Eigentümer darf zerstören, was ihm gehört - auch wenn es ein Zeitdokument ist.