Schule war doch nicht so blöd. Diese Erkenntnis hat sich vier Monate nach den Entlassungsfeiern bei vielen Ex-Abiturienten durchgesetzt

Ahrensburg. Jahrelang war alles ernst und blöd: Früh aufstehen, in die Schule gehen, lernen. Plötzlich ist alles noch viel ernster geworden: Geld verdienen. Oder Zivildienst machen. Oder einen Studienplatz bekommen. Oder sich im Ausland behaupten. Und für all das womöglich noch früher aufstehen. Vor vier Monaten hatten die Stormarner Abiturienten ihre Entlassungsfeier. Bei manchem von ihnen hat sich danach schnell die Erkenntnis durchgesetzt, dass früher vielleicht doch nicht alles so blöd gewesen ist und dass das Leben nach der Schule nicht leicht ist.

Niels Goll, 20, aus Jersbek hat das auch erfahren. "Ich vermisse die Leute am meisten", sagt er und meint seine Mitschüler, "und sogar ein paar Lehrer." Nach dem Abitur ging er für drei Monate nach Brasilien. Selbst im Schatten des Zuckerhuts war nicht alles Zuckerschlecken für den Stormarner. An der Copacabana in Rio de Janeiro umzingelten ihn zwei Räuber und forderten sein Geld. Nachdem sie das hatten, wollten sie auch noch sein T-Shirt. Niels blieb allein an Brasiliens schönstem Strand zurück, ohne Geld und ohne Hemd. Er hatte bereits in der elften Klasse ein Jahr in Brasilien verbracht und spricht Portugiesisch. Deshalb habe er sich nicht gefürchtet. "Das ist Alltag in Brasilien. Wenn man ihnen das Geld gibt, tun sie einem nichts."

Die nächste Zeit ist schon durchgeplant. Zum 1. November beginnt Niels Goll seinen Zivildienst im Kinderhaus Blauer Elefant in Bargteheide. Ab dem Wintersemester 2011 will er dann Volkswirtschaftslehre studieren. Später möchte er einmal ein Unternehmen leiten. " Nach der Schule beginnt der Ernst des Lebens", sagt er. "Jetzt erwarten meine Eltern, dass ich mehr Pflichten und Aufgaben übernehme."

Robin Rasch aus Bargteheide vermisst die Schule ebenfalls. Er leistet bereits seinen Zivildienst ab. Und das gefällt ihm gar nicht. "Ich habe das Gefühl, zu verblöden. In der Schule habe ich das Lernen genossen, die Atmosphäre und die Gemeinsamkeit mit den anderen Schülern." Schule habe ihm Spaß gemacht, sagt der 20-Jährige, zumal er mehr Zeit gehabt habe, um etwas mit seinen Freunden zu unternehmen.

Seinen Zivildienst macht er in Nicaragua. In seinem Dorf ist er der Fußballtrainer für die Jugend. Er lebt in einer Wellblechhütte bei einer Gastfamilie. "Wir haben keinen Stromanschluss und kein fließendes Wasser" sagt Robin, der als Junge für die Fußball-Kreisauswahl Stormarn gespielt hat. Für die Rückkehr nach Bargteheide hat er schon Pläne. "Ich will Sport- und Spanischlehrer werden oder Sportwissenschaften studieren." Robin sagt, er sei fauler geworden. "Bei dem Gedanken an die Zukunft vergeht mir manchmal die gute Laune."

Ricarda Gümmer aus Bargteheide, die in Tübingen studiert, sieht dem Leben nach der Schulzeit da weniger pessimistisch entgegen. "Das Studium ist viel interessanter und zeitlich besser strukturiert", meint die 20 Jahre alte Medizinstudentin. Sie hält die Professoren für gute Pädagogen. Nach ihrem Abschluss ist sie viel gereist und hat ein Praktikum im Ahrensburger Krankenhaus gemacht. Trotz des schwierigen Studiums schätzt sie ihre momentane Freiheit. "Ich kann das tun, was ich will. Das ist ein neues Leben, mit neuen Leuten."

Patrick Magiera aus Elmenhorst ist dagegen regelrecht froh, aus der Schule raus zu sein. Er möchte Polizist werden. "Gerade mache ich ein freies Jahr, in dem ich mich auf die Einstellungsverfahren bei der Polizei vorbereite". Zusätzlich verdient er sich durch Nebenjobs Geld und konzentriert sich auf den Sport. Er spielt für die U 21 Auswahl des VfB Lübeck in der Schleswig-Holstein Liga. Sein Ziel ist: in die 1. Herrenmannschaft der Regionalliga zu kommen.

Selbst wenn manche der ehemaligen Abiturienten die Schule als Lehranstalt nur bedingt vermissen, so eint sie alle doch eines: Die alten Freunde fehlen. Bente Funke aus Ahrensburg geht es so. Zurzeit pendelt sie zwischen Ingolstadt und München und macht ein duales Studium - eine betriebswirtschaftliche Lehre in Kooperation mit Siemens. Bente möchte Betriebswirtin bei Siemens werden, nachdem sie ihren Bachelor in BWL und ihre Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen hat. Vor einigen Wochen ist sie nach Ingolstadt gezogen. "Ich putze, ich wasche, und ich koche", sagt die allein lebende 19-Jährige, die ihren Alltag nun selbst bewältigen muss. "Ich würde zwar nicht sagen, dass ich vor dem Abi nicht selbstständig war. Jetzt bin ich es aber noch ein Stückchen mehr." Ihr Abitur habe ihr lediglich das Studium ermöglicht.

Wenn sich die Abiturienten in etwas einig sind, dann ist es das: Sie hatten während ihrer Schulzeit eine Menge Spaß. Die Mädchen und Jungen, die im Mai noch die Schulbank drückten, müssen jetzt das Leben eigenständig meistern. Und sie kommen, ob es ihnen nun gefällt oder nicht, ganz gut klar. Robin, der vor einigen Monaten im Deutschunterricht Faust rezitierte, kämpft sich nun durch den nicaraguanischen Regenwald. Und Niels, wieder mit Hemd, lässt sich von der atemberaubenden Stimmung im Maracana-Stadion in Rio mitreißen. Er sagt: "Für mich ist das Abitur das Tor zur Welt."