Stormarner reagieren mit Unverständnis auf Horst Seehofers Zuwanderungs-Thesen

Bad Oldesloe. Mit Unverständnis reagieren Stormarner Politiker und Integrationsbefürworter auf die Diskussion um einen möglichen Zuwanderungsstopp, wie ihn CSU-Chef Horst Seehofer gefordert hatte. Besonders Ausländer aus "fremden Kulturkreisen" wie der Türkei oder arabischen Ländern hätten Integrationsprobleme.

"Das ist ein Zungenschlag, der zunehmend unangenehm und ausländerfeindlich wird", sagt Heiko Winckel-Rienhoff, Vorsitzender der Linken-Fraktion im Stormarner Kreistag. "Solche Aussagen machen eine sachliche Diskussion kaputt." In Stormarn gebe es jedoch viele gute Ansätze zur Integration, betont der Fraktionschef. "Hier sehe ich keine gravierenden Probleme." Der politische Ansatz, die Zuwanderung auf qualifizierte Fachkräfte zu beschränken, sei "widersprüchlich", sagt Winckel-Rienhoff. "Man will nur die Sahnehäubchen unter den Migranten."

Karl-Reinhold Wurch, Fraktionschef der FDP, sagt zwar: "Von einem generellen Stopp halte ich gar nichts." Er plädiert für eine "intelligente Zuwanderungspolitik". Maßstäbe, wer ins Land kommen dürfe und wer nicht, seien wichtig. Dazu gehörten zum Beispiel gut ausgebildete Fachkräfte, aber auch Flüchtlinge. Wichtig sei vor allem eine verlässliche Einwanderungspolitik, so Wurch. "Wir brauchen einen Konsens, auf den sich Zuwanderer einstellen können." Die polarisierenden Äußerungen Seehofers sehe er deshalb kritisch. "Dafür habe ich kein Verständnis. Als verantwortungsvoller Politiker sollte er nicht auf den Zug von Thilo Sarrazin aufspringen." Der Vorstoß des CSU-Politikers sei bloß ein Versuch, Stimmen auf der rechten Seite zu fischen, sagt der Stormarner Grünen-Fraktionschef Stefan Kehl. "Das ist eine virtuelle Debatte." Hilfreicher als solche polarisierenden Äußerungen seien konkrete Investitionen in die Bildung von Kindern gleich welcher Herkunft, zum Beispiel der Ausbau des Krippenangebots. "Es ist wichtig, dass auch muslimische Kinder früh in den Kindergarten kommen. Nur wer die Sprache kann, hat Chancen im Land."

Statt Fronten aufzubauen, sollte in die Bildung aller Menschen und in die Integration der Ausländer investiert werden, sagt auch Joachim Mendel, Vorsitzender der SPD-Fraktion. "Die Äußerungen von Herrn Seehofer sind kontraproduktiv." Auch die Kürzungen des Landes im Bildungsbereich passten nicht dazu. Die Vorstellung, dem Fachkräftemangel ohne Zuwanderung zu begegnen, sei "utopisch", so Mendel. Bei einer Arbeitslosenquote von vier Prozent sei dies in Stormarn unrealistisch.

Der Kreis sei bereits jetzt vom Fachkräftemangel in allen Branchen betroffen, sagt Matthias Schulz-Kleinfeldt, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck. "Die Wirtschaft ist deshalb auch auf die Kompetenz von Facharbeitern mit Migrationshintergrund angewiesen."

Unternehmen und Staat seien zur Integration und Weiterqualifizierung dieser Mitarbeiter verpflichtet. Dabei gibt es jedoch laut Schulz-Kleinfeldt noch Hindernisse. "So sollten zum Beispiel die akademischen Abschlüsse von Einwanderern aus Osteuropa künftig unbürokratisch anerkannt werden."

Junge Zuwanderer seien heute überwiegend gut gebildet und weiterhin "durstig nach Bildung", sagt Kirstin Schwarz-Klatt von der Migrationssozialberatung Nordstormarn des Diakonischen Werkes. "Die Forderungen treffen nicht den Handlungsbedarf. Die Arbeitsmigration, von der Horst Seehofer spricht, gibt es so nicht mehr." Heute kämen vor allem Familienmitglieder und Asylbewerber ins Land.

Bei der Integration der Kinder und Enkel der türkischen Gastarbeiter habe es durchaus politische Versäumnisse gegeben, sagt Schwarz-Klatt. "Aber undifferenzierte Aussagen tragen nicht zu einer sachlichen Debatte bei."

Hans-Peter Weiß vom Interkulturellen Gesprächskreis Stormarn setzt sich mit Taten dafür ein, dass Menschen, die bereits im Land sind, eine "Kultur der Nachbarschaft" entwickeln. Die Zunahme des Rechtspopulismus in Europa sei "erschreckend", sagt Weiß. "Dieses in den Raum gestellte Gewäsch der Politiker ist ärgerlich. Ich versuche vor Ort, Verständigung zu bewirken."

Seehofer hatte dem Focus gesagt: "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen."