Im Live-Rollenspiel verwandeln sich Jugendliche in Mönche, Händler und Räuber. Ein Wochenende ohne Handys, Uhren und PC, aber voller Kreativität.

Lütjensee. Gar seltsame Gestalten streifen durch das Gelände des Jugendgästehauses in Lütjensee: anmutige Elben, finstere Räuber, geheimnisvolle Magier, schachernde Kaufleute, friedliche Reisende, buckelige Hexen, in schwarze Kutten gehüllte Mönche. Die Herbstsonne sendet ihre wärmenden Strahlen hinab auf Awanor, das Fantasy-Land, in das sich das Jugendgästehaus für zwei Tage verwandelt hat. Rund 50 Kinder und Jugendliche tauchen beim Live-Rollenspiel des Jugend-Fantasie-Clubs Farmion aus Reinfeld ein in eine andere Welt.

Svea, 13, verkörpert einen Zwerg. Fenja, 15, hat sich die für einen Elb typischen spitzen Ohren über die eigenen gestülpt. Jana, 15, trägt ein langes, über der Brust geschnürtes Kleid und ist ein Menschenkind. An Live-Rollenspielen haben sie bislang noch nicht teilgenommen. Die drei Jugendlichen sind schwer begeistert. "Das ist echt super", sagt Fenja, "man fühlt sich wie im Mittelalter." Es stört sie nicht im Geringsten, dass in Awanor Zeit keine Rolle spielt, Uhren nicht erlaubt sind und Handys auch nicht. Dafür kann sie ihre Fantasie spielen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen.

Neulinge können sich im Kostümfundus des Vereins Farmion bediene

Das beginnt beim Festlegen der Rollen. "Jeder Mitspieler denkt sich die Figur aus, die er verkörpert", erklärt Nico Kasperzak, 24, zweiter Vorsitzender von Farmion und einer der Spielleiter an dem Wochenende. Und jeder Teilnehmer sucht sich ein Kostüm aus, das seinem Spielcharakter entspricht. Neubürger von Awanor können sich aus dem Fundus des Vereins bedienen. Die Alteingesessenen haben ihre eigenen Verkleidungen.

So wie Lars, der Elb. Er trägt einen langen schwarz-glänzenden Mantel mit breiter Schulterpasse. In dem breiten Gürtel steckt ein Schwert. Unter seinen blonden Locken blitzen die spitzen Ohren hervor. Lars heißt eigentlich Marco, ist 16 und lebt in Reinfeld. Er macht seit fünf Jahren bei den Rollenspielen mit und entwickelt seinen Spielcharakter von Mal zu Mal weiter.

"Das ist nicht ungewöhnlich, dass Mitspieler ihre eigene Persönlichkeit erfinden und richtige Lebensläufe konstruieren", sagt Vorstandsmitglied Marco Egemann, 20. Er ist an diesem Wochenende einer von 25 so genannten NSCs, Nicht-Spieler-Charaktere, die als Statisten die Fantasy-Welt mit Leben füllen und die Rahmenhandlung begleiten. Die SCs, das sind die Spielercharakter, müssen nämlich bei jedem Liverollenspiel eine Aufgabe lösen. Dieses Mal machen die Spieler auf ihrer Reise durch das Awanor-Land Aqueron Rast in einem Kloster, in dem Mönche des Drachenordens leben. Sie verehren Gwyndris, ein feuerspeiendes, 25 Meter langes Ungetüm, das glühende Augen, scharfe Krallen und ein riesiges Maul hat. Das unheimliche Tier ist krank und hat sich hinter die Klostermauern zurückgezogen. Die Spieler sollen den Mönchen helfen, die Heilmittel zu finden. Dabei müssen sie die Hinweise richtig deuten, die auf dem Gelände versteckt sind.

Den Drachen haben zwei Mitglieder in 350 Arbeitsstunden gebaut

Unter anderem bleibt den Mitspielern der Gang auf den Friedhof nicht erspart, wo eine Räuberbande und Geister ihr Unwesen treiben. Vielleicht bekommen sie bei dem Händler und Alchemisten nicht nur Waffen, Rüstzeug und diverse Tränke, sondern auch einen wertvollen Tipp? Oder helfen sie am Ende den Mönchen nicht, sondern erliegen den Verheißungen der Drachentöter.

"So ein Wochenende ist wie ein Kurzurlaub", sagt Tobias Stahl, 23. Mit Marcel Kindereit, 22, hat er den gewaltigen Drachen gebaut, aus Pappmaché und Stoff, in rund 350 Arbeitsstunden. "Raus aus dem Alltag, rein in die Natur, viel Bewegung und der Fantasie freien Lauf lassen", das sind für Kristina Nemitz, 22, mehr als genug Gründe, beim Liverollenspiel mitzumachen.

"Wir bieten Kindern und Jugendlichen eine Alternative zum Computer. Beim Rollenspiel können sie aktiv an den Abenteuern der Fantasy-Welt mitwirken", sagt der zweite Vereinsvorsitzende Nico Kasperzak. Der Jugend-Fantasie-Club Farmion wurde bereits 1994 von sechs Rollenspielern ins Leben gerufen. Heute hat der Verein 84 aktive Mitglieder.

www.farmion.de