Im Lütjenseer Kinderporno-Skandal gibt es erstmals einen Verdacht, dass der gefeuerte Kantor rückfällig geworden sein könnte

Lütjensee. Die Empörung in Lütjensee über das Schweigen des Kirchenvorstands im Fall des wegen Kinderpornografie vorbestraften Kantors ist groß. Jetzt hatte eine Mutter den Mut, öffentlich einen konkreten Anfangsverdacht zu äußern. Mitte 2008 habe sie erstmals Veränderungen an ihrem Kind bemerkt und daraufhin ärztlichen Rat eingeholt, sagte die Frau, die selber Ärztin ist, bei der Fragestunde zu Beginn der jüngsten Kirchenvorstandssitzung. Der Kollege habe nichts festgestellt, hatte aber auch keinen Anhaltspunkt, an dem er hätte ansetzen können. "Hätte ich damals von den pädophilen Neigungen des Kirchenmusikers gewusst, wäre das etwas anderes gewesen. Ich hätte meine Tochter noch viel aufmerksamer beobachtet", sagte die Frau, "diese Chance haben Sie mir und allen anderen Eltern durch ihr Schweigen genommen." Ihre Tochter zeige jetzt keine Symptome mehr, dennoch will sie professionelle Hilfe suchen. Und sie hofft, dass sich ihr Verdacht nicht bestätigt.

So wie diese Mutter sind viele Eltern zutiefst besorgt, seit sie in diesem Sommer den wahren Grund für die fristlose Kündigung des ehemaligen Kirchenmusikers im März 2009 erfahren hatten. Pastorin Britta Sandler war damals zu Ohren gekommen, dass der Mann wegen Besitzes kinderpornografischer Bilder zu einer Bewährungsstraße verurteilt worden war. Zu dem Zeitpunkt arbeitete der Kantor bereits fast neun Monate in Lütjensee und Großensee mit Kindern. Der Kirchenvorstand wurde informiert, die Leitung der Kindertagesstätte ebenfalls. Gegenüber der Gemeinde aber schwiegen alle eisern.

Warum? Diese Frage treibt besorgte Eltern und Gemeindemitglieder seitdem um. "Es gibt eine klare Rechtslage, die uns verboten hat, an die Öffentlichkeit zu gehen", sagte Pastorin Sandler. Eine Erklärung, die sie bereits vor vier Wochen bei der öffentlichen Vorstandssitzung äußerte und die schon damals die Eltern nicht überzeugte. Da half es auch wenig, dass der Kirchenvorstand seine tiefe Betroffenheit und innerliche Zerrissenheit zum Ausdruck gebracht hatte. "Sie verstecken sich hinter diesem Grund", warf Gerhard Lerch, ein besorgter Großvater, dem Vorstand vor.

"Zum Wohle unserer Kinder hätten wir von Ihnen Zivilcourage erwartet. Sie hätten keine Namen nennen müssen. Sie hätten uns Eltern aber darauf aufmerksam machen können: Achtet auf Eure Kinder", sagte eine Mutter. Niemand könne ihr sagen, ob in Lütjensee etwas vorgefallen sei oder nicht.

Etliche Eltern waren zur jüngsten Vorstandssitzung gekommen. Pastorin Sandler wies gleich zu Beginn darauf hin, dass die Fragestunde "satzungsgemäß auf eine halbe Stunde festgelegt sei". "Wir wissen, dass Sie viele Fragen haben, für die hier heute keine Zeit ist", sagte sie. Sie schlug einen weiteren Gesprächstermin vor: Am Freitag, 8. Oktober, um 19 Uhr soll im Gemeindesaal mehr Zeit sein. "Wir werden alles tun, um Ihre Fragen zu beantworten, um Ihnen ein Stück weit weiterzuhelfen", sagte die Pastorin.

Der Schaden, den der Vorstand mit seinem Schweigen angerichtet hat, ist nach Meinung vieler Betroffener groß. Es habe einen Riss in der Gemeinde gegeben. "Der Vertrauensbruch ist groß. Der hört nicht auf. Ihr Schweigen hat Menschen verletzt und ihren Glauben an Kirche verlieren lassen", sagte Manon Sobina mit tränenerstickter Stimme. Die Kirche sei ein Teil ihrer Heimat gewesen. Jetzt müsse sie mit ansehen, wie sie heruntergewirtschaftet werde. "Wir können den tiefen Riss nur über schonungslose Aufklärung kitten", sagte Manon Sobina zum Kirchenvorstand, "das gebe ich Ihnen mit."