Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn geht auf Sommertour. Nach Heidekamp zieht es auch die Menschen der umliegenden Orte

Heidekamp. "Da kommt Sven." Stephan Thews, 45, ist vor die Gartenpforte getreten, blickt die Straße hinunter und legt die rechte Hand ans Ohr. Längst hat er dieses Geräusch vernommen, das die Stille im Neubaugebiet im Heidekamper Osten zu stören scheint und das hier doch so vertraut klingt. Es knattert und pocht - zunächst von Ferne ganz leise - im Takt und schwillt rasant an. Und dann kommt Sven. Sitzt auf einem froschgrünen Fendt-Traktor, biegt in die Straße Kamp ein und winkt freundschaftlich herüber.

Der Bürgermeister ist auf Tour durchs Dorf, und wie so oft hat Sven Müller dafür sein Lieblingsfahrzeug aus der Garage geholt. "Das ist ein sogenannter Geräteträger. Zwei Zylinder, 25 PS", sagt er später. Es ist der erste Traktor, den sein Vater gekauft hat, 1962 ein Neufahrzeug, seit 48 Jahren im Familienbesitz. Es ist der Traktor, mit dem Friedhelm Müller, weil er einem Auto ausweichen musste, 1983 die einzige Telefonzelle im Dorf umfuhr. Dass es in Heidekamp heute keinen öffentlichen Münzfernsprecher mehr gibt, ist allerdings nicht auf diesen kleinen Zwischenfall zurückzuführen.

Friedhelm Müller fährt inzwischen nicht mehr mit dem Fendt, der aus einer Zeit stammt, als er noch Landwirt war. Er sitzt im Wohnzimmer seines Hofes an der Heilsaustraße und erinnert sich an jene Zeit, als er 1930, vierjährig, Neubürger in Heidekamp wurde. "Wir kamen aus dem niedersächsischen Dedendorf her. Mein Vater hatte den Hof im Zuge einer Zwangsversteigerung günstig erstanden", sagt er. Deutschland steckte mitten in einer Wirtschaftskrise, das hatten auch Heidekamper Bauern zu spüren bekommen. "Das war die Zeit, in der viele Höfe die Besitzer wechselten", sagt Neidhart Poedtke, 78, der Autor der 2000 erschienenen Dorfchronik.

Auch in den zurückliegenden Jahren ist die Landwirtschaft in Heidekamp einem Wandel unterworfen gewesen. "Als Bauer muss man sich heute überlegen, ob man den Betrieb ganz groß aufzieht oder sich doch lieber eine Nische sucht", sagt Christine Scholvien, 40. Sie kam 1974 als Kind nach Heidekamp. Ihre Eltern, Berliner Fabrikanten, siedelten auf den Marienhof um, den der Urgroßvater um die Jahrhundertwende als Feriendomizil gekauft hatte. Und Christine Scholvien entschied sich Ende der 90er-Jahre für die Nische. Seitdem führt sie eine Pferdepension und gibt Reitunterricht. Ihr Mann Thorsten, 42, betreibt vom Hof aus ein Fuhrunternehmen.

Friedhelm Müllers Betrieb galt zeitweise als "Modell der sozialen Verantwortung auf Höfen", denn er und seine Frau Helga, 84, ernährten die Eltern und fünf Kinder. Das jüngste ist der heutige Bürgermeister. "Schweine, Kühe, Ackerbau: Es war ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch", sagt Helga Müller. "Doch so etwas können kleine Höfe nicht mehr leisten." 1986 fuhren sie die letzte Ernte ein.

Zu jenem Zeitpunkt waren der einstige Neubürger Friedhelm Müller und seine Frau längst im Dorf etabliert. Heute blickt der 84-Jährige auf eine 60-jährige Mitgliedschaft in der Feuerwehr zurück. 40 Jahre saß er im Heidekamper Gemeinderat, gründete in den 70er-Jahren den CDU-Ortsverband, gehörte mehr als 30 Jahre lang dem Kirchenvorstand in Reinfeld an. Helga Müller organisierte unterdessen Kindergottesdienste, war die Initiatorin eines Jugendclubs und des Seniorenclubs, saß im Kreistag und in der Synode des Kirchenkreises Segeberg.

Sie haben sich immer für andere eingesetzt, sie haben aus Überzeugung überall mitgemischt. "Die Gesellschaft braucht ehrenamtliches Engagement", sagt Helga Müller. Und ihr Mann ergänzt: "Wer sich nicht einbringt, bleibt ein Einzelgänger. Wir haben den Neubürgern immer gesagt: Geh' in die Feuerwehr, dann bist du mittendrin."

Mittendrin zu sein, muss dabei nicht zwangsläufig bedeuten, auch in Heidekamp zu wohnen. Viele der Einwohner der unmittelbar angrenzenden Dörfer Binnenkamp und Pasewerk nämlich sind fester Bestandteil der Heidekamper Dorfgemeinschaft, obwohl sie offiziell Bürger der Stadt Reinfeld sind. "Wir sind die sogenannten Buten-Heidekamper", sagt Hugo Rauser, 70. Der pensionierte Postbeamte, der 1952 nach Binnenkamp kam, trat 1963 lieber in die Heidekamper Feuerwehr ein als in die Reinfelder.

Stephan Thews aus dem Neubaugebiet im Osten Heidekamps hat am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, nicht mittendrin zu sein. Die Straße heißt Kamp, sie verschwenkt ziemlich genau in der Mitte wenige Meter nach rechts. Was hinter der Verschwenkung kommt, haben die Alteingesessenen lange "Neuer Kamp" genannt: das Neubaugebiet aus den späten 90er-Jahren. Hier zog Stephan Thews 1999 mit seiner Frau Kirsten, 42, in eine Doppelhaushälfte. "Die Verschwenkung war jahrelang wie eine unsichtbare Schranke. Wir waren hier vollkommen außen vor." Vor drei Jahren trat Thews in die Feuerwehr ein. "Seitdem sind sprichwörtlich alle Schranken gefallen."

Auch Ulf Wittkopf, 36, und Bettina Petersen, 24, gehören zu den Neubürgern. Beide leben seit drei Jahren im Dachgeschoss eines Zweifamilienhauses am Kamp. "Es ist schwer, in einer so kleinen Gemeinde Fuß zu fassen. Irgendwann haben wir uns dann getraut, mal zum Tannenbaumverbrennen zu gehen", sagt Petersen. "Da haben uns die Leute erst mal angeschaut und gefragt, wer wir eigentlich sind und was wir wollen." Dass die angehende Verwaltungsfachangestellte und der Industriemeister Pfadfinder von Kindesbeinen an sind, gefiel den Heidekampern aber. Also gründeten beide den Pfadfinderstamm "Fealóce", der heute rund 50 Mitglieder zählt.

Um die älteren Heidekamper kümmert sich immer noch der 1977 von Helga Müller gegründete Seniorenclub, dessen Geschicke heute Elsbeth Meyer, 74, und Renate Willes, 75, lenken. Gerade haben beide einen Ausflug quer durch den Kreis Ostholstein organisiert. "Die Älteren kommen nicht mehr so oft raus, man sieht sich seltener", sagt Elsbeth Meyer. Beide Frauen kennen sich ihr Leben lang, sie gingen schon gemeinsam zur Schule, als Heidekamp noch eine Schule hatte und der Lehrer Otto Braasch hieß.

Es ist derselbe Otto Braasch, der 1958 die Heidekamper Speeldeel gründete, ohne es auch nur zu ahnen. "Zum 50-jährigen Bestehen der Feuerwehr wollten einige Heidekamper ein niederdeutsches Theaterstück aufführen", sagt Ute Schulz, 57, die die Schauspieler inzwischen leitet. 43 Stücke hat die Gruppe inzwischen aufgeführt. Die nächsten Vorstellungen sind am 23. und 24. Oktober jeweils um 15 Uhr im Bürgerhaus. "Es geht um einen Bürgermeister, der ein Tyrann ist und in seine Schranken gewiesen wird", sagt Reinhard Wetendorf, 48, der diesen Bürgermeister spielt.

Der echte Bürgermeister, der beileibe kein Tyrann ist, sitzt inzwischen im Bürgerhaus. Stephan Thews aus dem Neubaugebiet ist auch wieder da. Er trägt die Uniform des stellvertretenden Wehrführers und freut sich, mit Jannik Lebek, Daniel Ganzel, Benjamin Reimer und Katharina Schreiber vier neue Anwärter vorstellen zu können. Die Dorfgemeinschaft funktioniert. Bürgermeister Müller wünscht sich, dass das so bleibt. Doch an welchen Stellschrauben müssen die Politiker im Dorf drehen, damit der Ort zukunftsfähig, damit die Bevölkerungsstruktur aber auch homogen bleibt? Das soll nun ein externer Gutachter klären. Ergebnisoffen.

Es ist Abend geworden über Heidekamp. Der Bürgermeister verabschiedet sich. Draußen vor dem Bürgerhaus beginnt es zu rattern und zu pochen. Zunächst laut, dann immer leiser. "Da fährt Sven", sagt Stephan Thews.