Zahl der Patienten mit Burn-out-Syndrom und Depressionen steigt in Bargfelder Fachklinik drastisch

Bargfeld-Stegen. Oft beginnt es mit Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, Magenbeschwerden. Immer mehr Menschen in Stormarn, die wegen solcher körperlichen Beschwerden zum Arzt gehen, sind völlig "ausgebrannt". Sie leiden unter dem sogenannten Burn-out-Syndrom. Dahinter verbirgt sich ein allgemeiner Erschöpfungszustand, der schlimmstenfalls in eine Depression führen kann.

"Wir haben immer mehr Patienten mit affektiven Erkrankungen", sagt Prof. Matthias Lemke, Ärztlicher Direktor des psychiatrischen Heinrich-Sengelmann-Krankenhauses in Bargfeld-Stegen. Unter den Gefühlsstörungen steige die Zahl der Depressionen besonders stark. "Vor zehn Jahren hatten etwa 15 Prozent unserer Patienten Depressionen. Heute behandeln wir 45 Prozent wegen Depressionen, Angststörungen oder Erschöpfungszuständen." Die Zahl der aufgrund einer Psychose behandelten Patienten sei hingegen um ein Drittel gesunken. In der Fachklinik einschließlich der beiden Tageskliniken und Ambulanzen in Ahrensburg und Reinbek werden jährlich knapp 3000 Patienten behandelt.

In Stormarn ist die Zahl derer, die sich wegen psychologischer Erkrankungen in Krankenhäusern behandeln lassen mussten, in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Laut Statistikamt Nord kamen im Jahr 2008 mehr als 3100 Menschen in Kliniken. Vier Jahre zuvor waren es 2455. "Es handelt sich vor allem um drogen- und alkoholbedingte Psychosen, aber auch um Burn-out-Fälle und Demenzerkrankungen", sagt Thorsten Erdmann vom Statistikamt. Die größte Gruppe von Betroffenen sind Männer zwischen 40 und 45 Jahren, 231 wurden stationär behandelt. Bei den Frauen war die Gruppe der 50- bis 55-Jährigen besonders stark vertreten. Nicht selten endet eine Erkrankung in der Arbeitsunfähigkeit: Allein bei den Kunden der Techniker Krankenkasse gingen im Vorjahr in Stormarn 69 Männer und 106 Frauen vorzeitig in den Ruhestand. Die Kosten für die Behandlungen von psychischen Erkrankungen sind bundesweit seit 2002 um 32 Prozent auf 28,7 Milliarden Euro gestiegen. Der Durchschnitt aller Krankheiten liegt bei 16 Prozent.

Ein Burn-out könne jeden treffen, sagt Dr. Matthias Lemke. "Aber es ist gut behandelbar." Die Ursachen seien vielfältig. Belastende Ereignisse wie Missbrauch oder Krieg könnten auch nach vielen Jahren eine Depression auslösen. "Solche Erlebnisse hinterlassen Narben, nicht nur auf der Seele, sondern auch im Gehirn", sagt Lemke. Auch die genetische Veranlagung spiele teilweise eine Rolle, außerdem die Jahreszeiten - manchen Menschen reagieren auf den dunklen Herbst mit depressiven Verstimmungen. Vor allem aber seien Menschen gefährdet, die einen hohen Anspruch an sich selbst stellten, zu Kontrolle und Perfektionismus neigten. Lemke: "Die Persönlichkeitsstruktur spielt eine große Rolle."

Dazu kommen die täglichen Belastungen in der mobilen und flexiblen Welt von heute. Trennungen und persönliche Krisen seien ein großer Faktor. Alleinerziehende litten unter einer Doppelbelastung, die nicht zu unterschätzen sei, sagt Lemke. "Und im Arbeitsleben sind wir mit immer schnelleren Veränderungen konfrontiert, die Anforderungen werden höher", sagt Lemke. Besonders betroffen seien engagierte Menschen aus sozialen Berufen, zum Beispiel Lehrer oder Ärzte und Krankenschwestern. "Wer immer mehr arbeitet ohne Ausgleich, der bekommt irgendwann Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Und aus dem berühmten Hamsterrad kommt man nicht mehr allein raus - irgendwann ist Schluss. Dann kommt die völlige Erschöpfung, die viele Patienten beschreiben."

Die innere und äußere Dauerbelastung führt zum Burn-out. Wobei dieses Syndrom keine anerkannte Diagnose ist, sondern eher ein Prozess, der zu psychischen Erkrankungen führen kann. Das könne lebensbedrohlich werden, sagt Lemke. "Eine Depression geht sehr tief in die Persönlichkeit. Den Betroffenen fehlt der Antrieb, alles wird schwer. Sie haben keine Gefühle mehr für ihnen nahestehende Menschen. Sie denken, sie werden verrückt." Das ganze Leben ist aus dem Gleichgewicht geraten. "Die Lebensbalance ist enorm wichtig, um gesund zu bleiben oder es wieder zu werden", sagt Lemke. Das betrifft nicht nur die Work-Life-Balance, das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit. Auch ein ausgewogenes Verhältnis von Veränderung und Konstanz, Ruhe und Aktivität, Geselligkeit und Zeit für sich selbst sei wichtig. Entscheidend sei, dass ein Mensch sich darüber klar sei, was ihm gut tue.

Eine Therapie kann dabei helfen, die eigenen Fähigkeiten und Werte wieder zu erkennen. "Der Patient hat das Gefühl, er kann nicht mehr, und ihm fehlt der Zugang zu seinen Kompetenzen", sagt Lemke. In Gesprächs-, Musik-, Gestaltungs- oder Bewegungstherapien soll dieser Zugang wieder hergestellt werden. Ob Antidepressiva sinnvoll sind, wird individuell entschieden. Darüber hinaus geht es darum, die Lebenssituation so zu verändern, dass Belastungen nachlassen. Im Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus gehört auch die spirituelle Ebene zur Therapie.

"Wir haben zunehmend Patienten mit Sinnfragen", sagt Lemke. "Diese Menschen haben alles und leben gut. Aber sie spüren eine innere Leere, fragen sich: Wozu mache ich das alles?" Es fehle die Stimmigkeit, wie der Arzt es nennt. "Das bedeutet: Ich verstehe, was ich tue im Leben. Ich kann es handhaben. Und es macht Sinn." Dieses Verständnis müsse ein ausgebrannter Mensch neu entwickeln. Außerdem müssten die Menschen lernen, Freude am Leben zu haben, sagt Lemke. "Stimmigkeit und Lebensfreude - das ist die beste Vorbeugung gegen Burn-out."

Lesen Sie morgen, wie eine Burn-out-Patientin aus Ahrensburg mit der Krankheit umgegangen ist.