Ahrensburger Gemeinde speist Hilfsfond für Missbrauchsopfer ausschließlich aus Steuermitteln. Vorerst zumindest

Ahrensburg. Viele Mitglieder der Ahrensburger Kirchengemeinde fallen in diesen Tagen regelrecht vom Glauben ab. Das Standesamt hat allein in den vergangenen vier Wochen 68 Austritte registriert - das sind fast dreimal so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Nun sollen die verbleibenden Mitglieder mit ihren Steuerbeiträgen für die Folgen des Missbrauchs durch den Ruhestandspastor Dieter K. zahlen. Mit einem Hilfsfond für Missbrauchsopfer will der Kirchenvorstand, wie berichtet, als erste kirchliche Stelle den Opfern finanzielle Unterstützung anbieten. Er ist als Soforthilfe gedacht, um beispielsweise therapeutische Beratung oder Anwaltskosten zu bezahlen. Der Fonds soll anfänglich mit 10 000 Euro aus Kirchensteuermitteln ausgestattet werden. Später soll dieses Startkapital - wenn nötig - durch Spenden aufgestockt werden.

Wer hat in welcher Zeit und in welcher Weise seine Pflichten versäumt?

"Der Anfangsbetrag wird von der Kirchengemeinde unter den aktuellen und besonderen Umständen aus vorhandenen Rücklagen in den Haushalt eingestellt", bestätigte Pastor Helgo Matthias Haak, Vorsitzender des Kirchenvorstands gegenüber der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn. Haak geht davon aus, dass der Kirchengemeinde durch die Missbrauchsfälle "außerordentliche finanzielle Belastungen" entstehen werden. Sobald jedoch klar sei, "welche kirchlichen Stellen zu welcher Zeit und in welcher Weise ihre Pflichten versäumt haben", müsse entschieden werden, wer letztendlich diese Sonderkosten zu tragen habe. "Ich gehe fest davon aus, dass die Kirchengemeinde Ahrensburg nach Klärung der Verantwortlichkeiten den geringsten Teil der Lasten wird tragen müssen." Deshalb sei es vertretbar, jetzt die Soforthilfe aus Haushaltsmitteln anzubieten.

Im Interesse der Opfer sei das Angebot zudem dringend geboten. "Da sich bisher keine kirchliche Stelle konkret dazu erklärt hat, zum Opferschutz nicht nur gute Worte, sondern auch Geld einzusetzen, wollte unser Kirchenvorstand hier ein Zeichen setzen." Die damalige Bischöfin Maria Jepsen hatte zwar im Abendblatt-Interview im Juli Entschädigungszahlungen für die Opfer in Aussicht gestellt. Doch kurz darauf legte sie ihr Amt nieder - und ihre Ankündigung wurde nie konkretisiert. Die Idee eines Hilfsfonds bewerte die Nordelbische Kirche positiv, sagte ihr Sprecher Norbert Radzanowski auf Anfrage dieser Zeitung. "Sinn macht dieser Fonds, wenn aus ihm Menschen in einer Art Ersthilfe eine therapeutische Unterstützung ermöglicht wird." Auch beim Kirchenkreis Hamburg-Ost stößt die Initiative der Gemeinde auf Zustimmung. "Wir begrüßen diesen Fonds", sagt Sprecherin Susanne Gerbsch. Er könne den Anstoß geben, dass sich auch über Ahrensburg hinaus potenzielle Opfer meldeten, so Gerbsch. Auch Opferanwältin Gisela Friedrichs vermittele therapeutische Hilfe.

Das Geld aus dem Fonds ist für schnelle Soforthilfe, zum Beispiel für psychologische oder anwaltliche Beratung, gedacht. Gerade bei psychischen Problemen sei es wichtig zu vermeiden, dass Opfer lange warten müssten, weil die Kostenübernahme noch nicht feststehe. Ist es aber überhaupt möglich, sich auf eine auf eigene Kosten begonnene Therapie im Nachhinein von der Krankenkasse erstatten zu lassen?

"Der gesetzlich Versicherte sollte auf keinen Fall eine Behandlung auf Privatrechnung durchführen und die Kosten auslegen", sagt AOK-Sprecher Jens Kuschel. Da der Patient dann eine Privatrechnung erhalte, müsse er möglicherweise mehr bezahlen, als ihm später von seiner Kasse erstattet werden könne. Dringende Therapien könnten jedoch nach Absprache mit dem behandelnden Arzt sowieso sofort begonnen werden, längere Therapien müssten zunächst beantragt werden.

Es sei zwar eine gute Sache, dass die Kirchengemeinde mit dem Hilfsfonds helfen wolle, sagt Volker Clasen, Sprecher der Techniker Krankenkasse. "Aber wir zahlen alles, was medizinisch notwendig ist. Und das geht auch relativ zügig." Stellt ein Arzt fest, dass eine Therapie notwendig sei, werde die Behandlung sofort bezahlt. Werde beispielsweise eine Kur beantragt, betrage die Bearbeitungszeit etwa zwei Wochen. Die Behandlungsmöglichkeiten reichten von einer ambulanten Kurzzeittherapie über 20 Sitzungen mit Kosten von etwa 1600 Euro über einen stationären Klinikaufenthalt, der 110 bis 200 Euro am Tag kostet, bis hin zu einer stationären Reha oder Kur über vier bis sechs Wochen. Kosten: 5000 bis 6000 Euro.

Die Krankenkasse prüft in der Regel, ob sie für diese Kosten denjenigen in Regress nehmen kann, der die medizinischen Probleme verursacht hat. Nicht immer erfahre die Kasse es jedoch, wenn Missbrauch der Grund für eine Therapie sei, sagt Clasen. "Wenn wir das aber wissen, stellen wir Ersatzansprüche gegen den Verursacher." Sollte der Ahrensburger Ruhestandspastor also doch noch verurteilt werden, müsste er möglicherweise für die Behandlungskosten aufkommen.

"In der Entschädigungsfrage wird es um ganz andere Summen gehen"

Indes erneuert der Ahrensburger Kirchenvorstand seine Kritik an der Aufklärungsarbeit der Nordelbischen Kirche. Der Ende Juli vorgelegte Zwischenbericht sei enttäuschend. "Dieser Bericht trägt - nach fünf Monaten Ermittlungsarbeit - nicht das Geringste zur Aufklärung der Taten sexuellen Missbrauchs und der in diesem Zusammenhang zu untersuchenden innerkirchlichen Vorgänge bei", sagte der Vorstandsvorsitzende Pastor Haak. "Wir nehmen wahr, dass die Opfer den Bericht als eine weitere Demütigung empfinden." Er rechne auch mit Zivilklagen der Opfer. Der Hilfsfonds, für den es bereits erste Anfragen gebe, sei nur für die Soforthilfe gedacht. "In der Entschädigungsfrage wird und muss es um ganz andere Summen gehen."

In der Katholischen Kirche dauern die Ermittlungen wegen Missbrauchsvorwürfen an. Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat zwar das Verfahren gegen einen ehemaligen Kaplan der Ahrensburger St.-Marienkirche wegen Verjährung eingestellt, sagt Andreas Herzig, Sprecher des Erzbistums Hamburg. Der Mann hatte gestanden, 1975 im Pfarrhaus an der Adolfstraße einen Jungen mehrfach missbraucht zu haben. Der Geistliche war nach Bekanntwerden der Vorwürfe in den Ruhestand versetzt worden, darf keine Gottesdienste mehr halten. "Jetzt wird geklärt, ob er weiter Priester sein kann", sagt Herzig. Zurzeit würden Daten gesammelt, dann werde in Rom über die Zukunft des Geistlichen entschieden. Herzig: "Dürfte er sein Amt nicht mehr ausüben, wäre das eine sehr hohe Strafe." Das Erzbistum hat eine Projektabteilung für Prävention eingerichtet, die betroffene Gemeinden betreut. Herzig: "Wir hoffen, dass sich mögliche weitere Opfer melden."

www.erzbistum-hamburg.de