Schleswig-Holsteins Finanzminister Wiegard spricht im Abendblatt-Interview über Dunkelziffern, Schuldenberge und Zinslasten.

Ahrensburg. Rainer Wiegard (CDU, 61) ist einer der Architekten des umfangreichsten Sparpakets in der Geschichte des Landes Schleswig-Holstein. Als Finanzminister muss er zugleich dafür sorgen, dass nun mit der Umsetzung begonnen wird. Das erste Etappenziel soll 2020 erreicht sein. Das Hamburger Abendblatt sprach mit Rainer Wiegard über die Mammutaufgabe Haushaltssanierung - und über den Kampf gegen Steuerhinterzieher. In diesem Jahr wird ein neuer Rekord bei den Selbstanzeigen erzielt. Was den Bargteheider zu der Aussage veranlasst: "Die Dunkelziffer ist offenbar erheblich höher, als wir bisher vermutet haben."

Hamburger Abendblatt:

Herr Wiegard, das Sparpaket des Landes Schleswig-Holstein hat eine starke Stormarnsche Prägung: Zwei Stormarner waren an der Entstehung maßgeblich beteiligt.

Finanzminister Rainer Wiegard:

Ja. Insgesamt waren wir fünf, zwei kommen aus Stormarn: Tobias Koch und ich. Das war für dieses Projekt sehr gut.

Ziel ist es, 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen: Einnahmen und Ausgaben in der Waage. Wie haben sich die Einnahmen in diesem Jahr bislang entwickelt?

Die Einnahmen verlaufen sehr gemischt. Bei den örtlichen Steuereinnahmen, also dem, was in Schleswig-Holstein hereinkommt, lagen wir Ende Juni gegenüber dem Vorjahr mit knapp fünf Prozent im Plus. Aber das, was davon bei uns nach Abrechnung des Länderfinanzausgleichs verbleibt, ist etwa zehn Prozent weniger. Wir rechnen für 2010 und 2011 jeweils mit einer runden Milliarde Euro weniger Einnahmen als ursprünglich veranschlagt.

Sowohl Schleswig-Holstein als auch Hamburg haben in ihren Sparpaketen den Posten Kooperationen hineingepackt. Wo können die beiden Länder Gewinn bringend zusammenarbeiten?

Zwischen Hamburgs Finanzsenator Carsten Frigge und mir gibt es direkte Gespräche über sehr konkrete Möglichkeiten einer noch intensiveren Zusammenarbeit der beiden Länder. Da wird ohne Tabus über Ressortgrenzen hinweg gedacht. Dabei wollen wir auch sehen, was relativ schnell gemacht werden kann.

Was könnte denn relativ schnell gemacht werden?

Es geht um die Frage, wo Aufgaben an zwei Stellen wahrgenommen werden, die auch an einer Stelle erledigt werden könnten. Wir gehen da jetzt mit einem leicht veränderten Ansatz ran. Bisher war es ja so, dass bei den Kooperationen immer zwei Säulen stehen blieben, eine in Schleswig-Holstein und eine in Hamburg. Beispiel Statistikamt: Das hat weiterhin zwei Standorte, Kiel und Hamburg. Carsten Frigge und ich sind uns einig, dass wir zu einer veränderten Form der Zusammenarbeit kommen müssen, bei der nur eine Säule übrig bleibt, die dann für beide Länder arbeitet. Da gibt es verschiedene Aufgabenbereiche, die die beiden Länder wechselseitig füreinander übernehmen könnten.

Welche Aufgaben sind das?

Ich will der Diskussion nicht dadurch vorgreifen, dass ich jetzt einzelne Punkte benenne. Aber sie sind schon sehr konkret. Klar ist, dass wir zum Beispiel darüber reden müssen, ob wir in bestimmten Teilen eine gemeinsame Landesplanung machen. Es ergibt ja nicht allzu viel Sinn, mit der Planung an der Landesgrenze aufzuhören. Andere Frage: Können wir Wirtschaftsförderung in Teilen gemeinsam betreiben, ohne dass eine Seite befürchten muss, dabei benachteiligt zu werden? Dabei darf man aber nicht nur die Metropolregion im Auge haben, sondern beide Länder in ihrer Gesamtheit. Schleswig-Holstein endet - auch bei gemeinsamer Sicht - nicht am Nord-Ostsee-Kanal.

Nun ist die Idee, mit Kooperationen Geld zu sparen, ja nicht neu. Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass das jetzt klappt?

Ich glaube, dass sich die Sichtweise in Hamburg geändert hat. Wir hatten in den letzten fünf Jahren doch eine Reihe von Projekten auf der Agenda, die letztlich daran gescheitert sind, dass man in Hamburg gesagt hat: 'Wir wollen unseren Teil doch lieber selbst machen'. Da ist eine neue Erkenntnis entstanden.

Beim Gastschulabkommen ist davon nichts zu spüren. Da geht es seit Jahren zwischen den Ländern nicht voran.

Man darf nicht jede Aufgabe in sich selbst lösen wollen. Wir müssen eine ganzheitliche Sichtweise wählen. Hamburg hilft uns natürlich, indem die Stadt Schüler übernimmt. Auf der anderen Seite stellen wir zum Beispiel Flächen zur Ablagerung des Hamburger Hafenschlicks zur Verfügung. Man muss sich fragen: Wo ist der Ausgleich in der Region? Es hat doch keinen Sinn, mit dem spitzen Bleistift nachzurechnen, was jeder einzelne Schüler aus Schleswig-Holstein die Hamburger kostet.

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Kann Schleswig-Holstein auch intern durch Zusammenlegung von Verwaltungsaufgaben Geld sparen?

Wir wollen bei vielen Aufgaben, die derzeit beim Land angesiedelt sind, gucken, ob wir sie mit ähnlichen Aufgaben auf kommunaler Ebene zusammenführen können - und ob dabei Synergieeffekte entstehen. Insgesamt führt kein Weg daran vorbei, dass das Land seine regelmäßigen Einnahmen und Ausgaben endlich zur Deckung bringt. Da muss man nur mal auf die Zinszahlungen gucken, die wir heute für die Altschulden der früheren Regierungen zu leisten haben. Wenn das in Zukunft so weiterläuft, kann das keine Generation mehr bezahlen. Was könnten wir mit mehr als einer Milliarde alles finanzieren, wenn wir das Geld nicht für Zinsen auf alte Schulden ausgeben müssten.

Richtig gut geht es dem Land aber erst dann, wenn der Schuldenberg abgebaut ist. Ist 2020 also nur eine Zwischenetappe beim Konsolidierungskurs?

Ja, das ist natürlich die eigentliche Kernaufgabe: schuldenfrei werden. Wir haben jetzt fast 27 Milliarden Euro Schulden, wenn wir die ausgelagerten Schulden einbeziehen. Dafür zahlen wir rund 1,1 Milliarden Euro Zinsen im Jahr. Die Schulden haben sich in den letzten 40 Jahren aufgebaut, massiv in den letzten 20 Jahren. 2020 werden wir bei rund 33 Milliarden Euro liegen. Bei einer schlechten konjunkturellen Entwicklung könnten es auch bis zu 45 Milliarden sein. Was das dann an Zinslast bedeutet, kann man sich vorstellen.

Minister für härtere Strafen

Wie lange wird es dauern, bis die Schulden abgebaut sind?

Wenn man meinen Vorschlägen folgt, sind wir im Jahr 2070 so weit. Das ist eine Strecke, die einigermaßen realistisch ist. Dann werden die Schulden im gleichen Zeitraum abgebaut, in dem sie aufgebaut wurden. Das würde bedeuten, dass man den Bürgern 2070 sagen könnte: Jetzt sind wir damit fertig, einen Schaden zu reparieren, der vor 100 Jahren seinen Anfang genommen hat. Das muss man sich mal vorstellen.

Verlangt das nicht nach einer ganz neuen Form von Politik, die auf teure Wahlversprechen, auf Wohltaten für bestimmte Wählergruppen verzichtet?

Zu einem wesentlichen Teil ja, jedenfalls was die Ausgabengestaltung betrifft.

Kann man das von heute auf morgen ändern?

Von heute auf morgen nicht, aber die Debatte um die Staatsfinanzen gibt es ja schon etwas länger.

Dennoch hat sich da doch über Jahrzehnte bei Politikern ein Verhalten eingeschliffen, das jetzt plötzlich obsolet ist. Eine Politik der Wahlgeschenke funktioniert nicht mehr.

Die hat ja auch noch nie funktioniert.

Es ist zumindest öfters versucht worden.

Da stimme ich Ihnen zu. Aber ich bin ja nun schon seit ein paar Jahren im Landtag. Ich habe das Gefühl, dass in Schleswig-Holstein das Bewusstsein, wie negativ diese Verschuldung ist, viel ausgeprägter ist als in anderen Ländern.

Ist das nicht frustrierend, eine Arbeit zu machen, die darauf abzielt, in fernster Zukunft mal wieder gesunde Staatsfinanzen zu haben?

Die Arbeit der Finanzminister ist eigentlich immer schon dieselbe gewesen. Sie wird durch das geschärfte Bewusstsein für das Problem jetzt sogar etwas leichter. Früher konnten sich zwei, drei Minister gemeinsam im Kabinett durchsetzen und sagen: 'Wir wollen aber diese zusätzlichen Ausgaben.' Dann musste der Finanzminister zur Sparkasse gehen und das Geld holen. Dieser Weg ist jetzt verschlossen. Das ist eine völlig andere Art der Disziplinierung von Regierungen, als es sie bisher gegeben hat. Und dann kommt bei vielen die Erkenntnis hinzu, dass man schlicht und einfach nicht so weitermachen kann. Ich sage sehr deutlich: Keine Regierung und kein Parlament hat das Recht, heute noch gar nicht geborene Generationen beliebig mit Schulden zu belasten, um sich jetzt einen besseren Lebensstandard leisten zu können.

Trotzdem gibt es eine Menge Proteste gegen die Sparmaßnahmen. Fehlt es da an Einsicht in die finanzielle Notlage?

Das glaube ich nicht. Wenn man heute über den Markt geht und mit den Leuten spricht, dann sagen sie alle: 'Das müsst ihr so fortsetzen, konsequent.' Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit der Meinung ist: Endlich wird damit begonnen, nur noch das Geld auszugeben, das wir auch selbst erwirtschaftet haben.

Der Staat hätte mehr Geld zur Verfügung, wenn alle brav ihre Steuern zahlen würden. Inwieweit helfen Ihnen da die jetzt auftauchenden CDs mit Daten von Steuersündern?

Wir haben in diesem Jahr schon deutlich mehr als 500 Selbstanzeigen allein mit Bezug zu Konten in der Schweiz. Wir rechnen mit mehr als 70 Millionen Euro an zusätzlichen Erträgen. Insgesamt sind in diesem Jahr bis Ende Juli bereits mehr als 1200 Selbstanzeigen eingegangen. Im gesamten vergangenen Jahr waren es nur 714 Anzeigen.

111 Steuerfahnder gibt es in Schleswig-Holstein. Müssen Sie da aufstocken, um den Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen?

Das einfache Hochrechnen bringt uns nicht weiter. Mehr Steuerfahnder erwischen mehr Täter: Diese Gleichung funktioniert so nicht. Wir werden ein 'mobiles Sachgebiet' einrichten, um in besonderen Schwerpunktfällen aktiv zu werden. Zum Beispiel dann, wenn uns Daten von Steuersündern angeboten werden, die es schnell zu prüfen gilt, aber auch bei Betriebsprüfungen oder bei Umsatzsteuersonderprüfungen. Das Sachgebiet soll aus rund 30 Mitarbeitern bestehen.

Wie kann man einem Bürger, der seine Steuern zahlt, erklären, dass ein Steuerhinterzieher ohne jede Strafe davonkommt, wenn er sich selbst anzeigt - obwohl er ja eine Straftat begangen hat?

Die Frage ist ja: Wie kommt man an diese Steuerhinterzieher heran? Ist der Weg, mit hohen Strafen zu drohen, der richtige? Oder ist es besser, die Steuerhinterzieher mit einer unter bestimmten Voraussetzungen gewährten Straffreiheit in die Legalität zu locken? Das ist eine Abwägung, die man alle paar Jahre wieder treffen muss. Ohne Straffreiheit hätten wir diese 500 Selbstanzeigen nicht bekommen. Im Augenblick würde ich deshalb sagen: Diese Regelung passt in die Zeit.

Aber Sie würden sie nicht als gerecht bezeichnen?

Nein.

Wie empfinden Sie das Ausmaß an Steuerhinterziehung, das sich jetzt in der hohen Zahl der Anzeigen dokumentiert?

Das ist sehr erschreckend. Die Dunkelziffer ist offenbar erheblich höher, als wir bisher vermutet haben. Es gibt eine große Zahl von Bürgern, die meinen, sie können sich ihrem Beitrag für die Gesellschaft entziehen, zugleich aber die Leistungen der Gesellschaft ohne Skrupel in Anspruch nehmen. Ich habe deshalb gerade meine Mitarbeiter gebeten zu prüfen, ob die Höhe der Strafen bei Steuervergehen in Ordnung ist. Meine Absicht ist, ein möglicherweise deutlich höheres Strafmaß zu erreichen - im Zusammenhang mit vereinfachten Regelungen bei der Steuerverwaltung. Meine Vorstellungen sind: Wir arbeiten mehr mit Pauschalen, wir haben weniger Ausnahmeregelungen, wir setzen mehr Vertrauen in die, die die Steuererklärung abgeben. Dann müssen wir den Bürgern auch sagen: Bei Betrügern schlägt es richtig zu. Wir wollen mal sehen, was die anderen Länder und was der Bund dazu sagen - und was im Ergebnis dabei herauskommt.