Pastor stellt nach dem Rücktritt der Bischöfin den Ahrensburger Missbrauchsskandal ins Zentrum seiner Predigten

Ahrensburg. "Wir wollen uns als Gemeinde in diesen Tagen offen zeigen, wir wollen nichts verbergen, wir haben nichts zu verbergen", sagt Pastor Helgo Matthias Haak. Zwei Tage nach dem Rücktritt von Bischöfin Maria Jepsen drehte sich in seinen beiden Gottesdiensten am Sonntag im Kirchsaal Hagen und in der Schlosskirche alles um die Missbrauchsfälle um den Pastor Dieter K. in Ahrensburg.

"Einige von uns empfinden vielleicht Scham, dass Ahrensburg und unsere Kirche zurzeit bundesweit in den Schlagzeilen stehen, aber wir dürfen davor nicht weglaufen. Das sind wir denjenigen schuldig, die Opfer geworden sind, und auch der Gesellschaft", sagte Haak, der auch Vorsitzender des Ahrensburger Kirchenvorstands ist. Aussagen wie "Kein Kommentar" dürfe es nicht mehr geben.

Egal ob in der Begrüßungsrede, den Gebeten oder der Predigt - das Thema Missbrauch zog sich durch den gesamten Gottesdienst. "Wie sollen wir mit diesem Wahnsinn umgehen? Das fragen sich ganz viele Menschen und ich auch", so der Pastor weiter. Für viele Menschen am Ort breche nun etwas zusammen. Haak: "Wir sind in Aufruhr, denn wir haben die Richtung verloren. Jetzt herrscht bei uns erst mal ein völliges Durcheinander."

Für seine Predigt stellte sich der Pastor direkt vor die Gottesdienstbesucher. Haak: "Manche Sachen kann man einfach nicht von der Kanzel aus sagen, deshalb bleibe ich heute hier unten." Er forderte, sich mit den Opfern zu beschäftigen. "Über die reden wir gar nicht mehr", so der Pastor, "aber hinter jedem Opfer steckt ein Mensch."

Er habe sich deshalb Gedanken darüber gemacht, was es bedeute, Missbrauchsopfer zu sein. So verliere ein Opfer sein Urvertrauen. Außerdem gebe es immer zweiseitige Reaktionen, wenn es erzähle, was ihm widerfahren sei. Haak: "Einerseits wird es bewundert, andererseits aber auch kritisiert, dass alles übertrieben und das Opfer überspannt sei."

Zudem finde er die Bezeichnung Opfer unangemessen. "Opfer impliziert klein, unterlegen, hilflos, bemitleidenswert. Wir unterstellen ihm Überspanntheit", so der Pastor. Aber das Opfer auch Kraft hätten, habe das Beispiel Ahrensburg gezeigt.

Auch die Frage, warum Missbrauch eigentlich ein Tabuthema sei, warf er auf. Missbrauch sei ein "unangenehmes, sehr nahes, unter die Haut gehendes Thema, dass man gerne wegschiebe", so der Pastor. "Aber wer hat ein Interesse daran, dass es ein Tabu ist?" Er forderte die Gottesdienstbesucher auf, miteinander ins Gespräch zu kommen. Pastor Haak: "Schiebt das Thema nicht wieder unter den Tisch!" Er selbst fürchte die Aufklärung nicht. "Ich will alles wissen, was man noch wissen kann", sagte Helgo Matthias Haak. Erst dann sei es möglich, einen Weg für die Zukunft zu finden.

"Betroffen und erschüttert" - so beschrieben die meisten Gottesdienstbesucher ihre Stimmung, als sie wenig später aus der Kirche traten. Eine Frau schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich kann gar nicht begreifen, dass Frau Emse, nachdem sie 1999 von den Missbrauchsfällen erfahren hat, nichts unternommen hat", sagte sie, "die hätte als erstes zurücktreten müssen und nicht Frau Jepsen." Ihr Mann nickte. "Es ist viel wichtiger, dass diejenigen, die jahrelang etwas verschwiegen haben, endlich von hier verschwinden."

Andere befürworteten dagegen den Rücktritt der Bischöfin. Eine Ahrensburgerin sagte: "Die hat doch auch gelogen, die Frau." Sie beschäftige vor allem die Frage, warum sich die Betroffenen nicht bei ihren Familien zu Wort gemeldet hätten. "Hat das Vertrauen zu den Eltern gefehlt?", fragte sie. "War da niemand, keine Tante oder Mutter, der sie sich anvertraut haben?"

Die Aufklärungsarbeit der Kirche wurde dagegen durchweg positiv wahrgenommen. "Im Vergleich zur katholischen Kirche, wo so gut wie gar nichts passiert, ist die Aufklärungsarbeit, insbesondere die der jungen Pastorenschaft, beispielhaft", sagte ein Ahrensburger Kirchgänger.

Innerhalb der Betroffeneninitiative "Missbrauch in Ahrensburg" fallen die Meinungen zum Rücktritt der Bischöfin unterschiedlich aus. Sprecher Stephan Kohn sagt: "Frau Jepsen trägt vermutlich nur einen vergleichsweise geringen Anteil daran, dass die Missbrauchsfälle in Ahrensburg lange innerkirchlich vertuscht und von der Kirche nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet wurden." Auch nach schriftlichem Kontakt und intensiven persönlichen Gesprächen mit der Bischöfin habe er keine unmittelbare Schuld von Frau Jepsen im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen feststellen können.

Er erkenne in der Reaktion der Kirche, ihre Bischöfin jetzt fallen zu lassen, eine falsche Reihenfolge. Kohn: "Denn die Hauptschuld tragen der Pastor als Täter und alle, die trotz erwiesener Kenntnis der Taten nicht konsequent dagegen vorgegangen sind: die damals zuständige Pröpstin Heide Emse, Pastor Friedrich H. und das disziplinarrechtlich zuständige Kirchenamt."

Auch die Frau, die in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt hatte, Bischöfin Jepsen bereits 1999 auf die Missbrauchsvorwürfe angesprochen zu haben, habe keinen Wert auf den Rücktritt gelegt. Kohn: "Andere aus unserem Kreis haben ihn von Anfang gefordert."