Ahrensburger Mediziner plädieren für Systemänderungen. Anderenfalls drohe der Wegzug vieler Praxen

Ahrensburg. Die Abrechungen kommen alle drei Monate. Und jedes Mal sinkt die fett gedruckte Zahl ein Stückchen weiter. "Seit knapp zwei Jahren bekommen wir jedes Quartal ungefähr fünf Prozent weniger Geld", sagt der Augenarzt Johannes Prädikow, der mit seinen Kollegen Peter Hermjacob und Grit Jendral eine Gemeinschaftspraxis in Ahrensburg betreibt. Zahlte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein der Praxis für das erste Vierteljahr 2009 noch ein Honorar von knapp 75 000 Euro, waren es ein Quartal später nur noch knapp 67 500 Euro. Für die ersten drei Monate dieses Jahres bekamen die drei Mediziner nur noch etwa 57 500 Euro.

Dabei haben sie nicht weniger Kassenpatienten behandelt, sondern deutlich mehr. Bis Ende Juni hatten sie bereits 216 Prozent der Regelleistungen erbracht, die ihnen für das gesamte Jahr bezahlt werden. Das Honorar für die Regelleistungen deckt jedoch nur etwa zwei Drittel der durchschnittlichen Kosten einer Augenarztpraxis dieser Größe. "Wir machen Verlust", sagt Prädikow. Die Ärzte sind deshalb auf Zusatzeinnahmen durch Operationen und Privatpatienten angewiesen.

Man könnte meinen, hier jammern lediglich Mediziner auf hohem Niveau, dass sie zu wenig Geld verdienen. Tatsächlich aber ist die missliche Lage dieser Ärzte ein Symptom für ein ganzes Gesundheitssystem, dass in Schieflage geraten ist. Der Gang zum Arzt wird immer teurer, der von den Firmen und den Bürgern zu füllende Geldtopf aber wächst nicht mit. "Aus dieser Mangelwirtschaft entsteht eine Ökonomisierung des Gesundheitswesen", sagt Johannes Prädikow. Das heißt, das Geld für Behandlungen wird gekürzt.

Es ist ein gesellschaftliches Problem, das sich zwischen den nüchternen Zahlen der Quartalsabrechungen verbirgt. Und da die Lage in Schleswig-Holstein besonders prekär ist - das sogenannte Regelleistungsvolumen, das die Bezahlung festlegt, ist momentan das zweitschlechteste in Deutschland - bekommen auch die Patienten die schlechte Bezahlung der Ärzte zu spüren. Denn viele Fachärzte wandern ab, nach Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist das Regelleistungsvolumen deutschlandweit am höchsten. "In wenigen Jahren werden wir hier keine Augenärzte mehr haben", prophezeit Peter Hermjacob, "die Versorgung in Schleswig-Holstein ist bedroht."

Das Problem ist einfach: Immer mehr Menschen werden krank, und auch die Behandlungskosten steigen - doch das Geld dafür fehlt. Hermjacob: "Es gibt immer mehr ältere Patienten." Behandlungskosten für sie seien beispielsweise bei Augenärzten und Urologen zehnmal so hoch wie bei jüngeren Patienten. Mehr ältere Bürger bedeuten zudem weniger verdienende Beitragszahler. "Die Krankheiten nehmen zu, die Einnahmen nehmen ab", sagt Hermjacob.

Neben der demografischen Entwicklung gibt es einen weiteren Aspekt, der Behandlungen immer teurer macht. Johannes Prädikow nennt ihn die "Schere". Es geht um die Fragen, was möglich ist und was bezahlbar. Durch neue medizinische Möglichkeiten stiegen die Kosten jährlich um 2,5 Prozent, sagt Prädikow. "Die Medizin kann heute mehr leisten, als die Solidargemeinschaft zu zahlen bereit ist." An welchen Stellen aber sollte im Behandlungsbereich gekürzt werden? Wo sollten schärfere Grenzen gesetzt werden, was medizinisch notwendig ist? Schon heute würden nur Behandlungen bezahlt, die "wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig" seien, sagt Hermjacob. "Wir als Mediziner haben aber gelernt, immer das Beste anzubieten." Die Idee, zum Beispiel teure Operationen nur bis zu einer bestimmten Altersgrenze durchzuführen, sei deshalb unpopulär.

Dass die Finanzierung nicht gesichert ist, liegt laut Hermjacob vor allem an den zu geringen Einnahmen durch Krankenkassenbeiträge. Die Bundesregierung hat zwar gerade eine Erhöhung des Beitragssatzes von 14,9 auf 15,5 Prozent des Bruttolohns beschlossen. Das grundsätzliche Problem der hohen Kosten kann damit laut Prädikow aber nicht behoben werden. "Um den derzeitigen medizinischen Entwicklungsstand zu halten, müssten die Krankenkassenbeiträge jedes Jahr um ein bis zwei Prozent steigen." In zehn Jahren würde der Beitrag bei mindestens 35 Prozent liegen. Alternativ könnten die Kosten über Steuern gedeckt oder die Eigenverantwortung der Patienten erhöht werden: Alles, was über eine von der Krankenkasse bezahlte Basisleistung hinausgehe, müsste der Patient bezahlen.

Ob sich die Situation verbessert, ist fraglich. "Mit den jetzt erhöhten Beiträgen wird die Elf-Milliarden-Euro-Lücke bezahlt, das geht nicht in die ambulante Versorgung", sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. Auch dort ist man nicht zufrieden mit dem System. "Das auf Bundesebene beschlossene Konzept ist zu starr, regionale Besonderheiten werden nicht berücksichtigt", sagt Dethlefsen. Es sei zudem zu kompliziert. Weder verstünden Ärzte das Honorarsystem noch wüssten Patienten, was ihre Behandlung kostet. In vielen Fällen werden es mehr als die knapp sieben Euro pro Monat sein, die beispielsweise Augenärzte pro Patient bekommen. "Das ist richtig wenig Geld", sagt Dethlefsen. Er betont, dass auch andere Fachgruppen betroffen seien. "Wir haben ein permanentes Problem der Unterfinanzierung. Viele Ärzte arbeiten über die Budgetgrenzen hinaus." Die ständigen Kürzungen machten den Arztberuf immer unattraktiver. Dethlefsen: "Es wird schwieriger werden, medizinischen Nachwuchs zu bekommen."

Auch die Ahrensburger Ärzte kritisieren, nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird. "Momentan wird eine Fünf-Minuten-Medizin gefördert", sagt Hermjacob. Die Augenärzte bekommen für jeden Patienten knapp 20 Euro im Quartal - egal, wie und wie oft derjenige behandelt wird. "Das ist, als wenn ein Feuerwehrmann 200 Liter zum Löschen bekäme - und den Rest müsste er selbst bezahlen", sagt Johannes Prädikow. Die Mediziner fordern statt der Pauschalen eine leistungsgerechte Bezahlung. "Das wäre die gerechteste Lösung", sagt Hermjacob.

Zudem müsse das Gesundheitssystem transparenter werden. Von den Kosten einer medizinischen Behandlung hätten die meisten Patienten keine Vorstellung. Bekämen sie eine Rechnung und ließen sich daraufhin die Kosten erstatten, wäre das System transparenter. "Es gibt immer mehr Möglichkeiten", sagt Peter Hermjacob. "Aber mehr Leistung kostet auch mehr."