Die Glinder Filiale der insolventen Drogeriemarktkette schließt. Das Schicksal der Beschäftigten ist ungewiss

Glinde. Die Kasse klingelt unermüdlich. Bis an die Regalwand am anderen Ende des Ladens reihen sich die Kunden mit voll gepackten Wagen - ein ungewohntes Bild. In der Schlecker-Filiale am Glinder Markt herrscht Ausverkauf. "30 % auf alles" verkünden rot leuchtende Preistafeln auf Angebotstischen draußen vor der Tür, in den Schaufenstern und im Laden. Die Glinder Filiale ist eine von rund 60 Schlecker-Märkten in Schleswig-Holstein und die einzige in Stormarn, die geschlossen wird. Letzter Öffnungstag soll Sonnabend, 24. März, sein.

"So viele Kunden hab ich hier in einem Jahr nicht gesehen wie heute an einem Tag", sagt Ingrid Steinkraus. Die Kassiererin sitzt seit 8 Uhr an der Kasse, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Wie ein Roboter hämmert sie nach jedem Artikel, den sie an den alten Scanner hält, einen Rabatt von 30 Prozent in die vergilbten Tasten. "Leider geht es bei der Kasse nicht anders, ich muss auf jeden Artikel einzeln Nachlass geben", sagt die 60 Jahre alte Kassiererin schon fast entschuldigend.

Sie versucht, die Ruhe zu behalten. Es ist laut im Laden, ein Kind heult, es will nicht länger in der Schlage warten. Aber schneller geht es eben nicht. Steinkraus ist allein in dem Geschäft. Sie hat Durst, sie hat Hunger, ihr Arm schmerzt von der einseitigen Belastung. Und eigentlich müsste sie auch mal auf die Toilette. Wie viele andere Schlecker-Geschäfte im Land ist auch diese Filiale seit Jahren nur mit einem Mitarbeiter pro Schicht besetzt. "Es ist bewundernswert, mit welch stoischer Ruhe die Frau einen Kunden nach dem anderen seit Stunden abfertigt, obwohl sie mit dem Andrang vollkommen überfordert ist", sagt Kundin Maike Gutjahr anerkennend. 20 Minuten hat sie angestanden, um gemeinsam mit ihrer Tochter heruntergesetzte Artikel zu kaufen. Wann sie das letzte Mal in dem Laden war, daran kann sie sich nicht erinnern. Weil ihr das Personalkonzept der Drogeriekette schon immer gegen den Strich ging, war sie seit Jahren nicht bei Schlecker einkaufen.

Selten hatte deswegen auch Kundin Kirsten Schmitz den Weg in den Drogeriemarkt mit 90er-Jahre-Charme gesucht. "Die Mitarbeiter müssen gleichzeitig beraten, kassieren, Waren einlagern und einsortieren - und das immer allein. Schlecker spart Personalkosten seit Jahren auf Teufel komm raus, hinzu kommt noch das Missmanagement. Und die vielen vor allem älteren Verkäuferinnen müssen nun dafür die Rechnung zahlen", schimpft Schmitz, die Ingrid Steinkraus beim Abschied die Hand gibt und ihr "alles Gute" wünscht. Drei Tüten voll mit Taschentüchern, Putzmitteln und Pflegeprodukten schleppt sie aus dem Laden.

Und schon hat der nächste Kunde eine neue Shampoo- und Duschbad-Pyramide auf dem kurzen Warenband aufgebaut. "Das ist Akkordarbeit hier", sagt Steinkraus und bittet ihren Bekannten Peter Steinke, vorübergehend die Tür zu schließen. "Ich brauche eine ganz kurze Pause. Ich bin in zwei Minuten wieder da", ruft sie ihm zu. Wie es für sie und ihre beiden Glinder Kolleginnen nach dem 24. März weiter geht, ob sie für das Unternehmen weiter arbeiten können oder sie sich arbeitslos melden müssen, weiß Steinkraus eine Woche vor dem Aus nicht. "Mit uns hat niemand gesprochen", sagt sie resigniert und tippt erneut unermüdlich die Rabatttaste, das Minuszeichen, die "3" und die "0" in die gelbe Kasse ein. Erst seit November ist sie in der Glinder Filiale. Zuvor arbeitete sie 20 Jahre lang in einem Schlecker-Markt in Lohbrügge. "Der hat aber schon letztes Jahr dicht gemacht. Und nun..." Sie bricht ab, stürzt sich lieber weiter in Arbeit. So lange sie noch welche hat. Große Hoffnungen, auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch Fuß fassen zu können, hat sie nicht mehr. "Ich bin 60 Jahre alt" - das muss als Erklärung genügen. Dann fügt sie doch noch hinzu - ohne aufzublicken: "Ich muss eigentlich noch bis Dezember 2016 arbeiten. Jetzt habe ich Angst, vor der Rente noch auf Hartz IV abzurutschen."

Schlecker erklärte, man habe gegenüber den Mitarbeitern deutlich gemacht, dass die Schließung des Marktes nicht zwangsläufig mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergehen müsse. Die wirtschaftlich unvermeidlichen Entlassungen würden einem Sozialplan folgen, dessen Ausgestaltung noch Teil der Gespräche zwischen dem vorläufigen Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz und dem Schlecker-Gesamtbetriebsrat sowie der Gewerkschaft Ver.di sei. Ob die Verhandlungen erfolgreich sind, es am Ende eine Auffanggesellschaft geben wird, daran zweifelt Steinkraus jedoch.

Nur knappe hundert Meter Luftlinie, auf der anderen Seite des Glinder Markplatzes, leuchtet ein anderer Drogeriemarkt. Er hat ebenfalls weiße Buchstaben auf blauem Hintergrund - und an diesem Tag weniger Kunden. Ein ungewohntes Bild.