Wie steht der neugewählte Probst zu dem Umgang mit den Ahrensburger Missbrauchsfällen? Ein Gespräch mit Hans-Jürgen Buhl.

Ahrensburg. Sein Aufstieg ist mit einem Abstieg verbunden. Hans-Jürgen Buhl, derzeit noch Leiter der Organisationsentwicklung des Kirchenkreises Hamburg-Ost, muss sein Büro in der dritten Etage des schmucklosen Verwaltungsgebäudes in Hamburg-St. Georg aufgeben und ein Stockwerk tiefer ziehen, auf die Propst-Etage des Kirchenkreises. Von dort aus will er in Zukunft den Bezirk Rahlstedt-Ahrensburg lenken, möglicherweise sucht er sich ein Zweitbüro in Ahrensburg.

Hamburger Abendblatt: Herr Buhl, nach dem Missbrauchsskandal und der Debatte der letzten beiden Jahre ist der Kirchenbezirk Rahlstedt-Ahrensburg wohl nicht der einfachste. Warum haben Sie sich dennoch gerade dort um die Stelle des Propstes beworben?

Hans-Jürgen Buhl: Der Bezirk ist mir durch meine frühere Arbeit vertraut. Im Jahr 2010 habe ich in Ahrensburg den Krisenstab zum Thema Missbrauch geleitet. In Rahlstedt habe ich als Gemeindepastor gearbeitet, von 1982 bis 1994. Das Areal ist mir also bekannt. Außerdem: Woher wissen Sie, dass die anderen Bezirke einfacher sind? Im Bezirk Alster-Ost wäre der Posten des Propstes mit dem des Hauptpastors an der Hauptkirche St. Jacobi verbunden gewesen. Da hätte ich aber sehr in der Öffentlichkeit stehen müssen, das entspricht mir nicht.

+++ Ein Mann mit Taktgefühl +++

Ihr neuer Bezirk ist sehr groß, er hat elf Gemeinden und fast 80 000 Mitglieder. Wird Ahrensburg wegen der Missbrauchsdebatte nicht sehr im Vordergrund stehen?

Buhl: Es ist schon eine Herausforderung, dem ein Stück entgegenzutreten. Denn an anderen Stellen brennt es auch. Andererseits haben wir so einen schwerwiegenden Fall von Missbrauch durch einen Pastor noch nie gehabt. Ich kann und werde nicht an der Tatsache vorbeigucken, dass Ahrensburg in dieser Sache unsere Aufmerksamkeit braucht.

Wie weit ist der Prozess der Aufarbeitung aus Ihrer Sicht? Noch am Anfang? Oder geht er schon dem Ende entgegen?

Buhl: Dass wir am Ende stehen, können wir wirklich nicht sagen. Wir proben ja immer noch, wie das geht - mit öffentlichen Veranstaltungen zum Beispiel. Auf der einen Seite ist das Bemühen da, das Thema weiter in der Öffentlichkeit zu diskutieren, um irgendwann voranzukommen. Auf der anderen Seite herrscht noch viel Unsicherheit. Etwa darüber, wie man damit umgehen soll, wenn plötzlich der ehemalige Pastor Friedrich Hasselmann mit seinem Rechtsanwalt auf einer Veranstaltung auftaucht. (Anm. d. Red.: Hasselmann wird vorgeworfen, in den Fällen der 1970er- und 1980er-Jahre Mitwisser zu sein).

Der Ahrensburger Pastor Helgo Matthias Haak darf jetzt, nach einem Beschluss des Kirchengerichts, seine Version der Vorkommnisse von 1999 öffentlich machen. Er wirft der damaligen Pröpstin Heide Emse vor, dass sie von den Vorwürfen gegen Pastor Dieter Kohl wusste, den Vorstand aber nicht informiert hat. Zwischen beiden ist nun ein Kampf um die Meinungsherrschaft entbrannt. Hilft das bei der Aufarbeitung?

Buhl: Das öffentliche Ringen um das Rechthaben ist aus meiner Sicht nicht gut. Gut ist aber, dass dieser Maulkorb weg ist. Wenn jemand eine andere Erinnerung hat, dann sollen er oder sie das sagen dürfen. Wenn Unruhe in der Öffentlichkeit ist, dann ist das ein Signal dafür, wie sehr sich die Menschen damit beschäftigen. Ich wäre nicht derjenige, der sagt, das sollte verhindert werden. Denn das ist nicht zu verhindern.

+++ Nach Missbrauchskandal: Streit um die Aufarbeitung +++

Es gibt in dieser Sache zwei Lager in der Kirche, die sehr unterschiedlicher Meinung sind. Wie wollen Sie die zusammenführen?

Buhl: Vor zwei Jahren habe ich versucht, eine möglichst neutrale Rolle einzunehmen. Ich war immer wieder Ansprechpartner des Opfervereins und des Kirchenvorstandes. Jetzt mache ich den Sprung vom Berater hin zum Vorgesetzten. Da muss ich ausprobieren, ob das in der Wahrnehmung einen Unterschied macht. Es gibt natürlich auch Grenzen des Amtes. Ich bin der Vorgesetzte von Herrn Haak, deshalb kann ich mit ihm über die Angelegenheit sprechen. Ich bin aber nicht der Vorgesetzte der emeritierten Ex-Pröpstin Heide Emse, das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich. Ich muss mich also darauf konzentrieren, was in Ahrensburg jetzt und heute passiert.

Gibt es für die Kirche noch etwas zu tun, um die Missbrauchsopfer von damals zu entschädigen?

Buhl: Ich glaube schon, dass es noch viel zu tun gibt. Da ist zum einen das Thema Prävention. Die Verantwortung, die Pastorinnen und Pastoren haben, soll durch Selbstverpflichtungen neu in den Fokus rücken. Zum anderen diskutiert die Kirche gerade über finanzielle Entschädigungen. Die Kirche könnte beispielsweise Opfer unterstützen, die Therapien brauchen. Da sollten wir nicht auf Cent und Euro gucken.

Wie wollen Sie das Vertrauen in die Kirche zurückgewinnen, das die Menschen verloren haben?

Buhl: Ich denke, dass sich etwa die Jugendarbeit verstärkt dem Thema Missbrauch widmen sollte. Mit Klaus Fuhrmann haben wir in der Kirchengemeinde Ahrensburg ein Mitglied, das in der Jugendarbeit tätig ist und das auch in unserem Arbeitskreis Prävention eine ganz wichtige Rolle spielt. Prävention kann schon im Kindergarten anfangen, etwa, indem Kinder dazu erzogen werden, Nein sagen zu können. Das sollte im Konfirmandenunterricht weiter gehen. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass pädophiles Verhalten sofort im Kern erkannt und verhindert wird.

Eine andere Entwicklung, der die Kirche entgegen treten könnte, sind rechtsradikale Tendenzen in der Gesellschaft. In Ratzeburg gibt es ein Bündnis gegen Rechts, die Pröpstin Frauke Eiben wirkt darin mit. Im Kreis Stormarn ist unter dem Namen Arabues ein ähnliches Bündnis aktiv. Könnten Sie sich vorstellen, es zu unterstützen?

Buhl: Absolut. Meiner Meinung nach muss die Kirche in dieser Frage klar Flagge zeigen. Wenn von der Seite des Stormarner Bündnisses Interesse besteht, bin ich gern gesprächsbereit.

Die Arbeit der Kirche wird letztlich auch durch das Geld bestimmt, das sie ausgeben kann. Wie sehen die Finanzen Ihres Bereiches aus?

Buhl: Ich sehe im Kirchenkreis Hamburg-Ost zur Zeit keinen Spardruck, da sind wir gut aufgestellt. Anders ist es in einzelnen Gemeinden, etwa in Ahrensburg. Ein Kostenfaktor sind die vielen Gebäude, die unterhalten werden müssen. Wir werden gemeinsam sehen müssen, wie wir mit dem Spardruck umgehen. Teilweise haben Gemeinden früher so reagiert, dass sie Personal abgebaut haben. Meine Aufgabe ist es aber auch, dafür zu sorgen, dass die Menschen ihre Arbeit tun können, ohne dabei auszubrennen.