Schiffe bergen, Bohrinseln aufstellen: Der Ammersbeker Offshoretaucher Claus Mayer ist mit seiner Firma weltweit im Einsatz.

Ammersbek. Ein gewöhnlicher Arbeitstag. Claus Mayer steht auf dem Grund der Nordsee, in 50 Metern Tiefe, die deutsche Küste ist 190 Kilometer entfernt. Sein Auftrag: Inspektion einer Öl- und Gasplattform. Ein Schiffskran hatte ihn in der engen Taucherglocke auf die Arbeitstiefe herabgelassen. Wichtig sind besonders die Füße. Stehen sie schief, könnte die gesamte Plattform eines Tages wegsacken.

Er arbeitet konzentriert und zügig. Bloß keine Zeit verlieren, denn der finanzielle Aufwand für Offshoretaucher ist enorm: Jeder seiner Atemzüge kostet 50 Euro. Nach spätestens 70 Minuten muss er wieder hoch aufs Schiff, rein in die Druckkammer und drei Stunden lang rumsitzen - solange dauert die Dekompressionsphase.

Ein paar Tage später in seinem Büro in Ammersbek. Im Wasser wirkt Claus Mayer in voller Montur wie ein Außerirdischer. Jetzt, am Schreibtisch, sitzt ein mittelgroßer Mann mit Vollbart, den Kopf voller krauser Haare, und erzählt von seiner Ausbildung bei den Forschungstauchern auf Helgoland. "Die Anfangszeit war hart. Hab' das Tauchen ja nicht in einem Baggersee gelernt, sondern in der rauen Nordsee. Hab' früh gelernt, mich unter Wasser wie ein Fisch zu bewegen." Die heutigen Taucher, meint er, bewegen sich häufig wie Fußgänger unter Wasser. "Die meisten können nicht mal richtig schwimmen." Sollte man aber, wenn man, wie er, sogar mit Weltraumflügen zu tun hatte und die Antriebsraketen der "Ariane V" vor der brasilianischen Küste aus dem Atlantik fischte, die an 1000 Quadratmeter großen Fallschirmen hängen, bevor sie ins Meer stürzen.

Wäre die Formulierung nicht so banal, könnte man sagen: Dieser Mann ist mit allen Wassern gewaschen. Er lebt im Standby-Modus, eilt von Hotel zu Hotel, von Land zu Land und macht einen Job, für den nur zwei Dutzend Männer auf der Welt ausgebildet sind. Zum Beispiel für Schweißarbeiten unter Wasser, wenn gesunkene Schiffe in einzelne Teile zerlegt werden müssen. "Man kann auch mit einem Pott Farbe unter Wasser gehen oder unten Feuer machen." Bisher gab es keinen Job, den er nicht erledigen konnte.

Er war in Kairo (Wassereinbruch in einem U- Bahn-Schacht), zwischendurch ein Tunnelbau im Iran, weiter nach Saudi-Arabien, danach Peking. Vorletztes Jahr jettete er siebeneinhalb Mal um den Globus. Seine Firma Nordseetaucher gilt international als Top-Adresse und wird immer dann gerufen, wenn irgendwo schwierige und gefährliche Unterwasseraufgaben zu lösen sind. Die Folge: Er ist mit einem Dutzend Projekten gleichzeitig beschäftigt, macht Inspektionen und hat nicht mal mehr unter Wasser Ruhe. Selbst dort ist er über Sprechfunk erreichbar. Fast 40 Taucher sind für ihn im Einsatz, und irgendwo brennt's immer. Er sagt: "Uns Deutsche zeichnet der Perfektionismus in der Technik aus. Deshalb will man uns überall haben".

Von seinen 60 Lebensjahren verbrachte Mayer mindestens zwei Jahre unter Wasser. 12.000 Tauchgänge hat er absolviert, mehr als jeder andere Profitaucher hierzulande, in Tiefen bis zu 600 Metern, bei einem Wasserdruck von 60 bar (Normaldruck an Land: ein bar). Kein Mensch vor oder nach ihm tauchte unter Arbeitsbedingungen jemals so tief. Vor 80 Jahren lag der Tiefenrekord bei 75 Metern. Tiefer ging's nicht, weil die Taucher, die reinen Sauerstoff benutzten, jedesmal ohnmächtig wurden. Erst als zwei Amerikaner Ende der 30er-Jahre auf die Idee kamen, statt Sauerstoff ein Sauerstoff- Helium- Gemisch zu atmen, das selbst unter hohem Druck keine toxische Wirkung zeigt, war der Weg zur Tiefentaucherei frei.

"Fünf Tage brauchten wir allein fürs Runterkommen", erinnert sich Mayer an die Zeit in der Test-Station eines Forschungszentrums. "Und 35 Tage für den Aufstieg, jede Stunde 75 Zentimeter". Die langen Aufenthalte im Überdruck hat er bisher ohne Folgen überstanden. Nur zweimal in all den Jahren geriet er unter Wasser ernsthaft in Gefahr.

Fragt man, welche Bedeutung Wasser für ihn hat, schmunzelt er wie jemand, der die Frage schon kennt, bevor sie gestellt wird. "Ganz einfach. Wasser ist für mich ein Hindernis auf dem Weg zur Arbeit." Soll heißen: Jenseits der Sporttauchergrenze existiert eine Welt mit fremden Gesetzen. "Wenn es ein Hobby gibt, das man besser nicht zum Beruf macht, dann ist es das Tauchen", sagt er und seine Stimme klingt plötzlich ziemlich gereizt. "Wir brauchen handwerkliche Multitalente und keine Fischestreichler, die von bunten Korallenriffen schwärmen." Beim Thema Hobbytaucher kommt er richtig in Fahrt. "Ich habe die ganze Welt unter Wasser kennengelernt, vom Eismeer bis zu den Tropen, und habe überall mit eigenen Augen gesehen, welche Schäden diese Leute in der Jahrtausende alten Natur anrichten."

"Mein Lieblingstauchplatz sind Kernkraftwerke", sagt er unvermittelt, als wollte er schnell von diesem Thema wegkommen. Muss man dabei nicht Angst vor Radioaktivität haben? "Wer so fragt, hat in der Schule nicht aufgepasst", kanzelt er den Frager ab. "Strahlung wird in einer Flüssigkeit, die zu 100 Prozent mineralfrei ist, nie weiter als ein bis zwei Meter übertragen." Hält der Taucher mindestens eine Körperlänge Abstand zu den Brennstäben, kann nichts passieren. Er überlegt. Wie soll er das einem Laien erklären? "Die Flüssigkeit in den Lagerbecken mit den verbrauchten Uranbrennstäben ist glatt wie ein Film, blaugrün, wunderbar klar und an die 30 Grad warm. Badewannengefühl, sehr angenehm."

Für Jobs in Kernkraftwerken gibt's keinen Euro extra. Geld, meint er, sollte in diesem Beruf sowieso nie das Wichtigste sein. "Wichtiger ist die Liebe zur Taucherei. Man muss diese Arbeit mögen, und die Technik. Man muss wissen, wie was funktioniert und wie man es reparieren kann."

Selbst wenn es um Drecksarbeit in Klärwerken und engen Abwasserrohren geht. "Du steckst buchstäblich in der Scheiße, hast null Sicht, der Klärschlamm ist so dick wie Ketchup." Aber genau das, erklärt er, macht einen guten Taucher aus: Dass er seine Arbeit verrichtet, obwohl er nichts sieht. "Du musst deine Augen in den Fingerspitzen haben... Wie ein Blinder." An den glitschigen Wänden erspürt er mit geschlossenen Augen selbst feinste Risse, während seine Hände im Kot versinken. "Zum Glück riechst du unterm Helm nichts davon."

Bei der Verabschiedung zeigt er auf eine kleine Glasvitrine, in der eine Flasche Champagner liegt, Marke Heidsieck, Jahrgang 1907, auf elf Grad gekühlt. Genau die Temperatur, die er vorfand, als er sie vor der finnischen Küste in 64 Meter Tiefe aus dem Bauch des Schoners "Jönköping" holte, der 1916 von einem deutschen U- Boot versenkt worden war. Der Schoner hatte mehrere tausend Flaschen Schampus geladen, bestimmt für die Armee des Zaren. "Der Champagner ist exzellent, das haben mir auch Fachleute bestätigt." Die gleichbleibende Temperatur und der Wasserdruck in 64 Metern, der genau dem Druck in den Flaschen entsprach und die Korken fest im Flaschenhals hielt, sorgten für eine perfekte Konservierung.

"So eine Schatzsuche ist immer ein Highlight", meint er, "kommt nicht alle Tage vor." Das andere Extrem ist, Leichen zu bergen, aus einer gesunkenen Yacht, einem Fischkutter oder einer Fähre. Auch beim "Estonia"- Untergang war er dabei. Welche Herausforderung bleibt noch für ihn? "Na ja, in den Weltraum fliegen, das wär' schon was. Würde gern mal den Globus von oben sehen. Den Blick von unten kenn' ich schon."