Peter Cordts aus Reinbek bekam vor 31 Jahren die Niere eines jungen Mannes. Doch die Zahl der Organspender und Transplantationen sinkt.

Reinbek. Immer weniger Menschen sind bereit, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden. Die Zahl der Organspender sank in Deutschland 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 Prozent. Das berichtet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Demnach wurden 2010 in Norddeutschland 906 Transplantationen vorgenommen. 2011 waren es nur noch 823.

Bundesweit warten zurzeit rund 12 000 Menschen auf ein lebensrettendes Organ. "Wir nehmen den Rückgang sehr ernst und arbeiten mit den Kollegen in den Kliniken unermüdlich an Möglichkeiten und Wegen, um mehr Menschen mit einer Transplantation zu helfen", sagt Prof. Dr. Günter Kirste, medizinischer Vorstand der DSO. Statistisch gesehen stirbt in Deutschland etwa alle acht Stunden ein Mensch, dem mit einem Spenderorgan hätte geholfen werden können.

Ein Grund für den Rückgang könne darin liegen, dass die Zahl der Patientenverfügungen steigt. Kirste: "Immer häufiger scheinen Patientenverfügungen eine Organspende auszuschließen, weil der Patient sich nicht explizit dazu geäußert hat und gleichzeitig intensiv-medizinische Maßnahmen ablehnt."

In der Region Nord spendeten 2011 pro eine Million Einwohner 14,6 eines oder mehrere Organe. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 14,7.

Einer, dem eine Organspende das Leben gerettet hat, ist Peter Cordts aus Reinbek. Seit 31 Jahren lebt er mit einer gespendeten Niere. "Das ist ein Rekord. Nur ganz selten funktionieren die Spenderorgane so lange", sagt der heute 71-Jährige. Schon als Kind hatte er einen schweren Verkehrsunfall. Die Verletzungen führten 20 Jahre später zum Nierenversagen. "Beide Organe setzten aus. Nichts ging mehr", sagt Peter Cordts. Das war drei Tage nach seinem 31 Geburtstag. Weil seine Kinder erst vier und sieben Jahre alt waren, bekam Cordts eine besondere Chance. "Damals gab es so gut wie keine Klinikplätze für Dialyse-Patienten", erinnert sich seine Frau Margit. Wenige ausgewählte Patienten erhielten die Ausrüstung und Schulung für eine Heimdialyse. Der junge Familienvater war dabei.

Zu Hause in Reinbek richtete das Ehepaar einen Dialyseraum ein. "Alles musste genau nach Vorschrift sein. Wir brauchten einen besonderen Elektroanschluss, denn das sieben Zentner schwere Gerät verbrauchte viel Strom", sagt Peter Cordts. Dreimal pro Woche schloss er sich für jeweils zehn Stunden an die Maschine an, um sein Blut reinigen zu lassen. Hinzu kamen eine Stunde Vor- und eine Stunde Nachbereitung.

"Ich hing immer nachts an der Dialyse, denn tagsüber musste ich arbeiten", sagt der Buchdruckermeister. Achteinhalb Jahre lang ging das so. Während der Behandlung litt Cordts unter Krämpfen, konnte kaum essen und trinken. Eine Belastung für die ganze Familie. "Diese Zeit möchte ich nicht wieder erleben", sagt Margit Cordts.

Jahrelang hieß es, Peter Cordts könnte kein Spenderorgan bekommen. Aufgrund des Verkehrsunfalls hatte er viele Narben auf der Bauchdecke, die - so die damalige Überzeugung - eine Operation verhinderten. "Ich habe nicht locker gelassen, und schließlich hat ein Arzt mich noch einmal untersucht", sagt der Reinbeker. Die Mediziner nahmen einen kleinen Eingriff vor, danach stand einer Transplantation nichts mehr im Wege. Doch bis das passende Organ verfügbar war, vergingen fast drei Jahre.

Mitten in der Nacht kam der Anruf. Ein 18 Jahre alter Junge war verstorben, seine Niere passte zu 100 Prozent. "Damals musste es für eine Transplantation eine komplette Übereinstimmung geben. Heute gibt es modernere Medikamente, die einiges ausgleichen können", sagt Margit Cordts, die ihren Mann an jenem Sonnabendmorgen bei Schnee und Glatteis ins Krankenhaus fuhr. Am 10. Januar 1981 setzen die Ärzte Peter Cordts das Organ ein. Über den Spender erfuhr er nichts. Das ist auch heute noch üblich. Mittlerweile bedankt sich allerdings ein Koordinator der DSO bei den Angehörigen und informiert auf Wunsch über die Transplantationsergebnisse.

Bis heute funktioniert die Spenderniere einwandfrei. "Seit ich das Organ habe und die Dialyse nicht mehr brauche, haben wir als Familie viel mehr Freiheit", sagt der 71-Jährige. Alle sechs Wochen muss Cordts zur Untersuchung. Morgens und abends nimmt er Medikamente. Seine eigenen Nieren hat der Reinbeker noch. Sie schrumpfen allerdings langsam, sind mittlerweile kleiner als Haselnüsse. Trotz seiner Krankheit sagt Cordts von sich, "auf der Sonnenseite" zu stehen "So etwas kann jeden aus heiterem Himmel erwischen. Ich habe versucht, das Beste aus meiner Situation zu machen." Er sei dankbar über jeden Menschen, der sich zu einer Organspende bereit erkläre.

Finanzielle Entschädigungen gibt es nicht, da das Transplantationsgesetz vorschreibt, dass die Bereitschaft zur Spende nicht von wirtschaftlichen Überlegungen abhängig sein dürfe. Hat der Verstorbene zu Lebzeiten keinen Organspendeausweis ausgefüllt, entscheiden die Angehörigen über das Thema. Dies passiert derzeit nach Angaben der DSO in neun von zehn Fällen.

"In einer aktiven und nachdrücklichen Ansprache der Bevölkerung liegt die Chance, die Diskrepanz zwischen in Umfragen geäußerter Zustimmung und dokumentiertem Willen im Organspendeausweis zu schließen", sagt Dr. Thomas Beck, kaufmännischer Vorstand der DSO. Liegt eine Zustimmung schließlich vor, werden die Organe untersucht. Die Ergebnisse gehen an die Organvermittlungsstelle Eurotransplant, die einen passenden Empfänger ermittelt.

Kriterien wie Dringlichkeit, Gewebeübereinstimmung und Erfolgsaussicht entscheiden über die Vergabe. Der DSO-Vorstand ist überzeugt, dass das Potenzial für eine Steigerung der Organspende in einer Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern liegt. Dafür hat die Stiftung das Projekt Inhousekoordination gestartet, das eine engere Verzahnung der DSO mit den Kliniken gewährleisten soll.

Peter Cordts und seine Frau Margit haben selbst schon lange Organspendeausweise. "Es ist schade, dass die Bereitschaft zur Organspende zurückgeht", sagt Peter Cordts. Der Reinbeker ist der Meinung, in Deutschland sollten dieselben Regelungen gelten wie in Österreich. "Dort ist jeder Mensch automatisch Organspender. Es sei denn, er lehnt es ausdrücklich ab."