Beim Thema Wirtschaft sind Robert Habeck (Grüne) und Jost de Jager (CDU) uneins. Alter Streitpunkt: Zubetonieren oder Natur bewahren?

Ahrensburg. Angela Merkel findet sie "ganz interessant" - die Idee führender Christdemokraten in Schleswig-Holstein, mit einer Annäherung an die Grünen für eine Alternative zum schwächelnden Koalitionspartner FDP zu sorgen. Das ist eine etwas zwiespältige Formulierung. Nicht alles, was wir als "ganz interessant" bezeichnen, ersehnen wir uns von ganzem Herzen.

Nur wenige Tage nach der Merkel-Aussage saß nun der führendste Christdemokrat, der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat Jost de Jager, gemeinsam mit dem grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck auf dem Podium des Ahrensburger Peter-Rantzau-Hauses. Es war "ganz interessant". Die grüne Landtagsfraktion hatte den Abend organisiert. Thema: Wirtschaftswachstum. Mitdiskutanten waren der IHK-Präses Christoph Andreas Leicht, Carola Ketelhodt, Geschäftsführerin des Biolandverbands, Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB-Bezirks Nord und der wirtschaftspolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Andreas Tietze.

Die Beschwörung des Wachstums gehört seit jeher zum heiligen Kern jedes CDU-Programms. Die Verteufelung dieses Wachstums gehört seit jeher zum Credo der Grünen. Eine der frühen Kernaussagen der Partei, die nun auch schon seit beinahe 30 Jahren im Bundestag sitzt, lautete: Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Doch seitdem wird fröhlich weiter gewachsen.

Dass Politiker heute klüger sind, war im Peter-Rantzau-Haus zu erleben. Jost de Jager sprach fast so häufig wie Robert Habeck von "qualitativem Wachstum". Habeck wiederum führte ein "grünes Wirtschaftswachstum" ins Feld, dessen denkbare Begrenzung weder er noch sein Fraktionskollege Tietze ernsthaft thematisierten. Wachstum also - aber welches? Da gingen die Meinungen zwischen Schwarz und Grün doch sehr auseinander. Habecks Idee, mit einem regionalen Wohlfahrtsindex zwischen gutem und schlechtem Wachstum zu unterscheiden, fand auf dem Podium nicht viel Zustimmung. Pfeilgerade steuerten die Diskutanten auf einen alten Streitpunkt zu: den Konflikt zwischen den Zubetonierern und den Naturbewahrern. Jost de Jager: "Ein Verzicht auf Infrastrukturmaßnahmen, die für die Wettbewerbsfähigkeit wichtig sind, können wir uns nicht leisten." Andreas Tietze: "Straßen sind schlecht, weil sie Boden versiegeln - auch dann, wenn Elektroautos darauf fahren." Jager: "Es wird weiterhin notwendig sein, Straßen zu bauen - wegen der wachsenden Verkehre." Zuruf aus dem Publikum: "Die schaffen Sie doch erst mit Ihren Straßen." Jager: "Ich würde aus den Grünen jetzt gern mal ein klares Bekenntnis zum Straßenbau herauskitzeln."

Er kitzelte vergebens. Tietze wich geschickt aus und sagte: "Lassen Sie uns nicht über einzelne Straßen reden, sondern über neue Formen des Wirtschaftswachstums." Sehr einig waren sich die Noch-nicht-Koalitionäre in der Frage der Energiewende. Windenergie ist das Paradebeispiel der Grünen für gutes, für neues Wirtschaftswachstum. Robert Habeck: "Weil Windenergie müllfrei entsteht, wird sie im nationalen Wohlfahrtsindex stärker gewichtet als in der derzeit verwendeten Messgröße für Wirtschaftswachstum, dem Bruttoinlandsprodukt. Da wird jede erzeugte Stunde Strom gleich bewertet - egal, ob sie aus Atomkraft oder aus der Windkraft kommt." Jost de Jager wies darauf hin, dass mit dem Ausbau der Windkraft die Notwendigkeit verbunden ist, neue Überlandleitungen zu bauen. "In einigen Teilen von Schleswig-Holstein wird die Lebensqualität durch die Energiewende nicht steigen", sagte er.

Um 22 Uhr endete die Veranstaltung. Die rund 50 Zuhörer gingen oder fuhren nach Hause. Auf dem Weg nach Hamburg eine Begegnung: Rotorblätter für Windanlagen, jedes 50 Meter lang, wurden in einem langen Konvoi über die A 1 transportiert. Gutes Wirtschaftswachstum auf schlechtem Wirtschaftswachstum: Das kann klappen.