Politiker, Kaufleute und Bürger kritisieren nach Nazi-Demo Stillschweige-Abkommen von Bürgermeister und Polizei

Bargteheide. "Die kamen in Polizeibegleitung. Das sah aus wie ein Rollkommando. Warum wussten wir nichts davon? Ich hatte ein Gefühl der Ohnmacht", sagt ein Bargteheider, der namentlich nicht genannt werden will und beschreibt, was er am Wochenende in der Bargteheider Innenstadt erlebt hat. 50 Rechte waren aufmarschiert. Mit schwarzen Fahnen, Spruchbändern und einer Reichskriegsflagge zogen die Autonomen Nationalisten durch die Straßen. Um 12 Uhr hatte der bundesweit bekannte Rechtsextreme Christian Worch die Kundgebung eröffnet. "Das ist eine Riesensauerei. Es erfüllt uns mit großer Sorge, dass sich Chaoten Bargteheide als Boxring aussuchen", sagt Bürgermeister Henning Görtz. In einer Erklärung mit den Fraktionen und dem Bürgervorsteher heißt es: "Wir verurteilen Demonstrationen rechtsextremistischer Gruppierungen unter Führung Lübecker NPD-Funktionäre in Bargteheide genauso wie Gewalt oder Sachbeschädigung in der politischen Auseinandersetzung."

Der Bürgermeister kündigt nun an, verstärkt gemeinsam vorzugehen. Im Vorwege des Aufmarsches der Neonazis gab es diese Gemeinsamkeit nicht. Niemand wusste etwas: nicht die Bürger, nicht die Geschäftsleute, nicht die Fraktionsvorsitzenden, nicht der Bürgervorsteher. Die Polizei hatte Stillschweigen empfohlen, um Ausschreitungen zu vermeiden. Das Rathaus folgte dem Rat. Bürgermeister Görtz sieht sich durch den Demo-Verlauf bestätigt. "Ich stehe zu der Entscheidung. Wir hätten sonst noch mehr Gewaltbereite von außen angelockt." So habe ein Zusammenstoß von Rechten und den sich spontan versammelnden linken Gegendemonstranten verhindert werden können. Polizeisprecherin Sonja Kurz: "Wir hatten die Situation im Griff." 60 Beamte waren im Einsatz. Von den Kommunalpolitikern hingegen kommt Kritik. "Ich finde es unmöglich, dass wir nicht im Vorwege informiert wurden", sagt SPD-Fraktionschef Jürgen Weingärtner. Die Polizei-Taktik habe sich im Nachhinein allerdings als richtig erwiesen, sagt Weingärtner und fügt hinzu: "Dass es zu dieser Demonstration gekommen ist, hat aber auch damit zu tun, dass die Ereignisse vorher in der Presse aufgebauscht wurden."

Fakt ist: Zweimal war das linksorientierte Autonome Jugendhaus Bargteheide Ziel von Angriffen gewesen. Und am Rande des Stadtfestes zum 40. Geburtstag Bargteheides hatten mutmaßlich Linksextreme rechte Jugendliche angegriffen. Vier junge Leute wurden verletzt, zwei wurden im Krankenhaus behandelt. "Ich hätte mir gewünscht, vorher über die Demonstration Bescheid zu wissen. Das ist immer besser, als von anderer Seite überrascht zu werden", sagt auch Bürgervorsteher Horst Kummereincke (CDU). "Dass die Presse Ursache für die Demonstration war, soweit würde ich nicht gehen", sagt er. Das Problem sei da. Und es sei schrecklich, dass braunes Gedankengut wieder Fuß fassen könne. "Rechten und linken Pöbel können wir hier nicht gebrauchen. Leider können wir ihn nicht verbieten. Ich bin ratlos und habe keine schlüssige Antwort, was wir tun können."

"Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. Ein Verbot ist nur möglich, wenn sich im Vorfeld schlimme Ausschreitungen ankündigen. Das war hier nicht der Fall. Wir haben uns eine Gefahrenprognose von der Polizei geben lassen", sagt Anja Kühl, die Leiterin des zuständigen Kreisordnungsamtes. Bargteheide hatte die Anmeldung der Demonstration am 17. Juni an den Kreis weitergeleitet. Kühl: "Es gibt keine Informationspflicht. Aber meistens informiert die Polizei." In diesem Fall nicht.

Die Vorsitzende der Bargteheider Grünen, Ruth Kastner, hält das Vorgehen für einen unglaublichen Vorgang, der an einen Obrigkeitsstaat erinnere: "Da taucht der braune Mob auf, und Polizei und Rathaus beschließen, das müssen die Bürger nicht wissen. Das geht so nicht. Es gibt zwei Wege, die nicht helfen: Gewalt und Verschweigen."

Überrascht von der Demonstration waren auch die Geschäftsleute, die das Geschehen in der Nähe des Stadthauses verfolgten. "Ich wusste nicht, dass die rechte Szene in Stormarn so gut organisiert ist. Die Passanten machten alle einen total geschockten Eindruck. Das Rathaus hätte uns informieren müssen", sagt Martina A. (48). "Schweigen nützt nur den Extremen. Sonst haben wir aus der Geschichte nichts gelernt", sagt sie. Ihren Namen nennt sie trotzdem lieber nicht.

Wenn Michael B. (58) vorher erfahren hätte, dass die Nazis auf dem Marktplatz demonstrieren wollen, hätte er seinen Gastronomiebetrieb an diesem Tag geschlossen. Die Situation sei angsteinflößend gewesen. "Die Rechten und die vermummten Linken standen sich gegenüber, die Polizei in voller Montur dazwischen." Es sei traurig, dass es solche Strömungen überhaupt gebe. "Und ich bin enttäuscht, wie die Stadt mit diesem Thema umgeht."

"Wir sind aus Hamburg weggezogen. Und jetzt scheint uns das hier einzuholen", sagt Claudia R. (40). "Es ist eine Frechheit, dass diese Demo nicht angekündigt wurde. Wir wohnen im Stadtkern und würden vor allem unsere Kinder von diesen Orten fernhalten." Vielleicht wollten die Politiker das idyllische Bild der Stadt schützen, mutmaßt die dreifache Mutter. "Frechheit! Für jede Kleinigkeit gibt es einen Aushang, so eine rechte Demo müsste auch angekündigt werden", empört sich Offsetdrucker Walter G. (56). Von den Politikern erwarte er überparteiliche Zusammenarbeit: "Man sollte einen Sonderausschuss gegen Extreme einrichten."

"So etwas kennt man bislang ja nur aus Hamburg", sagt Ina Max (43) aus Hammoor. Trotzdem sehe sie keine Gefahr für einen Rechtsruck in der Stadt, weil die meisten Demonstranten aus dem Umland gekommen seien.

In einer Erklärung der Jusos Stormarn heißt es: "Stormarn hat ein ernstes Nazi-Problem. Es muss alle Parteien, Wählergemeinschaften und die Gesellschaft erschüttern. Wir fordern alle Demokraten auf, sich den neuen Nazis aktiv entgegenzustellen."