In unserer Serie stellen wir Menschen aus Stormarn auf ihrer Lieblingsbank vor. Heute ist es eine echte Weltreisende.

Bargteheide. Die "MS Europa" oder die "Queen Mary" können sie nicht reizen. "Das sind doch keine Schiffe. Das sind luxuriöse Dörfer, die auf dem Wasser schwimmen. Wozu brauche ich an Bord einen Balkon. Das ist doch..." Hedda Neidl kriegt den Satz nicht zu Ende und fasst sich an den Kopf.

Eine Minigolf-Anlage, eine Kletterwand, zwölf Restaurants? Die Bargteheiderin kann auf all diese Annehmlichkeiten verzichten. Ein Kolbenfresser, ein kaputter Fahrstuhl oder eine Sicherheitsübung sind für sie der eigentliche Reiz. An Bord eines Frachters sind unvorhergesehenen Dinge im Preis inbegriffen. So ist Hedda Neidl schon 26 Mal in See gestochen. Immer auf einem Frachtschiff. An Bord kein Beauty-Salon, sondern Autos, Tonnen von Bananen oder Berge von Containern - und maximal zwölf Mitreisende.

Was die schönste Reise war? "Die Fahrt durch den Suez-Kanal. 2006". Die Antwort kommt prompt. Wegen der Landschaft, der Kultur, der exotischen Getränke? "Nein, die Klima-Anlage war ausgefallen. Es war so unglaublich heiß. Man kriegte sich gar nicht wieder ein." Für so etwas hat die 65-Jährige einen Sinn. Das fordert heraus.

1970 setzte Hedda Neidl das erste Mal ihren Fuß auf die Gangway eines Frachters. "Ich habe damals in einer Spedition gearbeitet. Und die war an ein Frachtschiffreisebüro angeschlossen. Ein toller Zufall. Gott sei Dank."

Die erste Reise führte nach Murmansk. Wochenlang war sie dem Visum für Russland hinterher gerannt. Als sie dann dort einliefen, war es keinen Pfifferling mehr wert. Ein anderes Schiff blockierte den Kai. Als sie drankamen, war das Visum abgelaufen, der Landgang gestrichen. "Pech", sagt Neidl, "aber es war aufregend. Überall in dem U-Boot-Hafen patrouillierten schwer bewaffnete Männer."

Und aufregend ging es weiter. "Vor Norwegen bekam die Maschine einen Kolbenfresser. Stundenlang dümpelten wir auf offener See. Nach sechs Stunden hatte ich keine Kraft mehr, mich festzuhalten", erzählt Hedda Neidl. Sie ging in die Koje. An der Luke wurde es abwechselnd hell und dunkel - und der Bargteheiderin mulmig. Schrecken konnte sie das alles nicht. Seitdem hat sie fast jedes Jahr angeheuert: Costa Rica, Grönland, Kolumbien, Sri Lanka, Afrika, USA. Manchmal ging Hedda Neidl dabei als Mannschaftsmitglied durch. "Wenn ich der einzige Passagier war, wurde ich als Küchenhilfe oder so deklariert. Sonst hätte ich als Fracht gegolten. Und das hätte gekostet." Ein Bett, ein Schreibtisch, eine Sitzecke, Kühlschrank und Fernseher. "Die Kajüten sind sparsam, aber nett ausgestattet. Entscheidend ist die Etage. Je höher, desto besser", sagt Hedda Neidl. Einmal "thronte" sie oben im fünften Stock. Darüber waren die Offiziere und die Brücke. Zum Maschinenraum führen zwei Treppen nach unten. "Es waren elf Stockwerke. Dann fiel der Fahrstuhl aus. Die armen Stewards." Die mussten bei Seegang den Offizieren das Essen auf dem Tablett entgegenjonglieren. Die Bargteheiderin hatte auch ohne Super-Fitnesstudio ihr Training.

Im nächsten Jahr will Hedda Neidl wieder los. Wohin, weiß sie noch nicht. Nur, dass es sonnabends wieder Eintopf geben wird. "Das ist auf allen Frachtern dieser Welt so." 110 Euro rechnet sie pro Tag. Früher waren es 70 Mark. Aber da gab es auch nur Waschbecken und keine Badezimmer.

Für Hedda Neidl ist es die optimale Art zu reisen. "Und mit den anderen Passagieren kann man Pferde stehlen."

Allerdings müsse man etwas mit sich anfangen können und Organisationstalent besitzen, allein für die Suche nach den Ablegestellen in Gent, Genua oder sonst wo. Legt das Schiff an, gehe die Suche weiter. Um nach St. Petersburg reinzukommen, lief die Bargteheiderin eine Stunde. Unterwegs sah sie verlassene Fabriken, vernagelte Häuser, Armut. "Aber darum geht's ja. Ich will die Welt doch wirklich kennenlernen."

Und ist sie eigentlich auch schon einmal seekrank geworden? "Ja", sagt Hedda Neidl, "auf der Fahrt von Travemünde nach Rodby. Und diese Reise hatte ich auch noch gewonnen." Dann lieber wieder mit einem Pott hinaus aufs offene Meer, dem Abenteuer entgegen.